Was macht denn das Militär da oben?

von Redaktion

Kampenwand und Chiemgauer Berge – Soldaten unterwegs im Wandergebeiet

Bad Reichenhall/Aschau – „Jessas!“ entfährt es einer älteren Dame, als sie den Gipfel des Vogelspitz hoch oberhalb von Reichenhall erreicht hat und sich auf einer Sitzgelegenheit am Kreuz niederlassen möchte. Sie klingt eher erstaunt als erschreckt, und ihre Verwunderung ist angesichts des Geschehens vor ihren Augen leicht nachzuvollziehen. Eine Gruppe von acht, neun Soldaten in Flecktarn tut Geheimnisvolles. Die Uniformierten kauern oder stehen, sie notieren Zahlen, sprechen über Funk oder beobachten das Tal durch Ferngläser. Alles Kanadier und US-Soldaten, erfährt die Frau. „Wirklich?“ fragt sie und reißt die Augen auf.

Begegnungen wie die eben geschilderte konnte man in den Bergen zwischen Reichenhall und Kampenwand hoch über Aschau in den vergangenen Tagen öfter erleben. Denn die Bundeswehr hatte zum Standort der Gebirgsjägerbrigade 23 in Reichenhall und auch in die Region Rosenheim zur Übung gebeten. Und Freunde hat sie sozusagen auch dazu eingeladen. „Mountain Hornet“, heißt die Übung, „Berg-Hornisse“. Und da feilten Spezialisten an ihren Fähigkeiten.

„Berg-Hornissen“
im Übungseinsatz

Die Soldaten am Vogelspitz zum Beispiel: JTACs, „Joint Terminal Attack Controller“ oder „Fliegerleitoffiziere“: Speziell ausgebildete Soldaten, die von einer vorgeschobenen Position aus ihren Job tun. Und der besteht darin, Aktionen von Militärflugzeugen und den Einsatz von Artillerie zur Unterstützung der eigenen Truppen am Boden zu koordinieren.

JTACs sind gut ausgebildet und fit. Sie müssen nervenstark, präzise und schnell sein. Sonst können sie im Fall des Falles ihren Kameraden am Boden nicht das Leben retten. Sie entscheiden, wer, wann und wo Unterstützung leistet. Und mit was. „Sie sind die Dirigenten, die den Takt und die Melodie vorgeben“, sagt Oberstleutnant Sebastian Zäch, Presseoffizier bei „Mountain Hornet“.

Dazu nutzen sie ein umfangreiches Instrumentarium. Sie setzen Fernglas, Kompass und topografische Karten ein. Oder auch Drohnen. Zur Aufklärung ebenso wie zum Markieren von Zielen. Oder auch zum Abwerfen von „Wirkmitteln“. So nennt die Bundeswehr generell Waffen und Munition. In diesem Fall: Bomben und Raketen. Es gab mal Zeiten, da plante man in Deutschland lediglich mit unbewaffneten Drohnen. Mit Flugkörpern zum Aufklären. „Das war damals politisch so gewollt“, sagt Zäch.

Es war die Zeit, da Deutschland seine Panzer einmottete. Und die Gebirgsdivision zur Brigade schrumpfte. Die Bundeswehr schien der Politik nur noch lästig zu sein. Mit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich diese Sichtweise geändert. Nicht nur, was den massenhaften Einsatz von Drohnen betrifft.

Dieses Mal wird nur
mit Daten geschossen

Echte Geschosse lenken sie bei „Mountain Hornet“ freilich nicht ins Ziel – geschossen wird sozusagen nur mit Daten: Wenn die beim Empfänger ankommen, und dieser Empfänger die entsprechenden Koordinaten in den Computer eingibt, gelangt das Geschoss im Ernstfall ohnehin ins Ziel. Treffsicherheit ist in modernen Zeiten keine Frage der ruhigen Hand, sondern der Aufbereitung von Daten.

Manchmal wird der Pilot auch vor die Aufgabe gestellt, sein Ziel aus der Luft zu beschreiben – damit die unten checken können, ob er auch das richtige Ziel überflogen hat. Schließlich gehört zum Job der JTACs, dass die Wirkmittel nicht auf die eigenen Truppen einwirken.

Eine kleine, aber feine Truppe übte in den vergangenen Tagen in den bayerischen Bergen. Nicht allein JTACs der Gebirgsjäger, sondern auch besagte US-Soldaten und Kanadier, dazu andernorts Slowenen, Dänen, Tschechen, Österreicher und Schweden. Auch aus der Bundeswehr kommen Gäste: Gemeinsam mit ihren Kameraden aus anderen Nato-Armeen und den Gebirgsjägern üben JTACs der Kommando Spezialkräfte Marine. Nicht, um in die „bayerische Gebirgsmarine“ eingegliedert zu werden, wie der OVB-Reporter kalauert. Sondern für einen ernsten Zweck. Schließlich haben nicht nur die US-Truppen und die Briten Marines, sondern auch die Deutschen. Nur dass die Marine-Infanteristen da „Seebataillon“ und KSM heißen.

Auch Flieger sind dabei. Auf einmal ist es, als reiße der Himmel entzwei. Etwas donnert über der Wolkendecke über uns hinweg. Tornados. Sie sind Teil der Übung. Weil die Piloten in den Tälern und über den Spitzen der Berge nochmals mehr gefordert sind als über einer Ebene, ist die Gebirgsübung für sie so wichtig. Auch über den Chiemsee jagten die Jets, bis zu etwa 200 Metern Höhe überm Wasser. So nah, dass ein Urlauber, auf einer Luftmatratze auf dem Chiemsee treibend, die Schrauben an der Unterseite der Flügel erkennen könnte. Lärm im Ferienparadies – vielleicht will man bei der Bundeswehr Signale aussenden, die weit über Bayern gehört werden. Neben den älteren Tornados sind auch Eurofighter in der Luft unterwegs.

Ein exklusiver Club
übt in den Bergen

Von den Spezialisten, die zusammen im Süden Bayerns trainieren, geht eine gewisse Geschlossenheit aus. Man begreift sich als exklusiver Club. Die Soldaten bei „Mountain Hornet“ sind bereits gut ausgebildet, die meisten von ihnen daher Offiziere. Und nun üben sie komplexe Vorgänge gemeinsam ein, lernen voneinander und perfektionieren das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Streitkräften. Routinen gleichen sich an. Vereinheitlichung ist wichtig. Schließlich könne man im Ernstfall vorher nicht unbedingt wissen, neben wem man steht, sagt Zäch, „das kann ja schon ganz schön durchgemischt werden“.

Was vermutlich genauso wichtig ist: Die Spezialisten aus verschiedensten Ländern knüpfen Bande untereinander. Man kennt sich, schätzt einander. Dieser inoffizielle Faktor kann die Zusammenarbeit nur verbessern. Die Übung der Spezialisten – ist sie so etwas wie ein Klassentreffen? Zäch grinst. „Ja, ein bisserl.“ Auch für ihn selber. Er hat eine Firma in Ingolstadt, hat sich für die Übung gut zwei Wochen freigenommen. Es ist nicht nur Pflichtbewusstsein, das ihn in die Berge jagt. Auch US-Soldaten und Kanadier verstehen sich. Zumindest bei dieser Übung.

Dass US-Präsident Donald Trump sich für Kanada als neuen Bundesstaat der Vereinigten Staaten interessiert und die Kanadier von Trump nicht begeistert sind, spielt bei gemeinsamen Outdoor-Aktivitäten in Oberbayern keine Rolle. „Das Verhältnis ist ziemlich kumpelhaft“, hat Gebirgsjäger-Hauptmann Max – seinen Nachnamen will er für sich behalten – beobachtet.

Berge mit besonderen
Herausforderungen

Warum man in den Bergen übt? Weil unwegsames Gelände, steile Pfade, enge Täler und schroffe Felsen für alle Teilnehmer die Herausforderungen steigern. Und weil auch die Gebirgsjäger eine besondere Truppe sind. „Gewöhnt an extreme Verhältnisse und an extremes Wetter“, sagt Zäch, „und dafür auch speziell ausgebildet.“

Es ist diese Vielseitigkeit, die Gebirgsjäger für entlegenste Einsätze qualifiziert. Und es soll – so stellen es sich offenbar die Planer vor – auch diese Vielseitigkeit sein, die diese besondere Truppe so anschlussfähig für die Soldaten befreundeter Staaten macht. Üben im schwierigen Gelände: Es ist das Richtige für ein Klassentreffen, dessen Schüler eine ganze Dienstzeit lang lernen müssen.

Die Übung endet einige Tage später. Keine besonderen Zwischenfälle, erst recht keine Unfälle, berichtet Sebastian Zäch zufrieden. Einige Flüge mussten ausfallen, wegen des unwirtlichen Wetters mittendrin. Die Herausforderungen durch das Wetter habe es gegeben, sie hätten die Soldaten aber nicht vor besondere Schwierigkeiten gestellt.

Am Ende dann noch: ein geselliges Zusammensein. Die Verkehrssprache Englisch soll schließlich nicht das einzig Verbindende unter den Soldaten der Nato-Partner bleiben.

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