Betrugsopfer (84) wurde zum Schwerstpflegefall – Zwei Männer angeklagt

von Redaktion

Alte Dame wurde von „falschen Pflegekräften“ bestohlen – Rechtsgespräch zum Auftakt blieb ohne Ergebnis

Traunstein/Rosenheim – Eine alte Dame (84) aus dem Landkreis Traunstein ist ein Schwerstpflegefall mit Pflegestufe 5. Die Angehörigen führen ihren völligen körperlichen Zusammenbruch auf eine Bande „falscher Pflegekräfte“ zurück, die bei der Frau 30000 Euro Bargeld erbeutete. Seit gestern muss sich ein rumänisches Ehepaar (beide 39) aus Duisburg wegen schweren Bandendiebstahls in 25 Fällen mit einem Schaden von über 100000 Euro und 13 Versuchstaten vor der Neunten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Barbara Miller verantworten.

Der Fall der 84-Jährigen ist tragisch. Sie kann nicht mehr sprechen, nicht mehr essen, trägt eine Magensonde – alles Folgen eines schlimmen Schlaganfalls während ihrer polizeilichen Vernehmung. Den Beamten gibt die alte Dame keine Schuld, wohl aber der kriminellen Organisation, die sie bestohlen hat. Die alte Dame und ihr Mann sind die Hauptgeschädigten einer Betrugsserie, die sich ab Mitte April 2024 bis November 2024 über ganz Deutschland erstreckte.

Täter bitten zu „Kraftübungen“

Während eine angebliche „Pflegekraft“ in entsprechender Kleidung, manchmal begleitet von einer „Praktikantin“, zum Beispiel „Kraftübungen“ mit einer Bewohnerin oder einem Bewohner durchführte, durchsuchten ein oder mehrere andere Personen die Räume. Sie nahmen Bargeld und Schmuck mit, den sie später in Leihhäusern zu Geld machten. Sieben weibliche wie männliche Tatbeteiligte sind inzwischen bekannt und teils in Untersuchungshaft. Nach Worten des Sachbearbeiters der Kriminalpolizei Traunstein muss es weitere Täter geben.

Die Tatorte in den Landkreisen Traunstein und Rosenheim suchte die Bande Mitte Juni 2024 heim. Der Gesamtschaden hier ist in der Anklage von Staatsanwalt Florian Krug und Lisa Böhm mit mehr als 32000 Euro beziffert. Die Geschädigte lebt in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen. Sie und ihre Familie vermuten, dass die Diebe über die nicht videoüberwachte Tiefgarage in das Gebäude gelangten. Die 84-Jährige mache sich selbst riesige Vorwürfe, wie sie auf die kriminelle Masche hereinfallen konnte, schilderte ihre Tochter am Rand der Verhandlung. Selbst in den Zeugenstand treten kann die Hauptgeschädigte nicht mehr ob ihres gesundheitlichen Zustands.

Die Diebesserie der Angeklagten zusammen mit anderen begann Mitte April 2024 in Kirchheim unter Teck in Baden-Württemberg, ging im Juni 2024 weiter im Raum Augsburg, Schwäbische Alb und wieder zurück nach Baden-Württemberg. Nächster Wirkungskreis im negativen Sinn waren Sachsen und die Oberpfalz. Nach dem Chiemgau waren Orte im Schwarzwald an der Reihe, gefolgt vom Gebiet Heilbronn und Tübingen. Im Juli 2024 schlug die Bande erneut in Sachsen zu, danach in Niedersachsen und ein weiteres Mal in Baden-Württemberg. Mal erbeuteten die Täter Bargeld und Schmuck, dann blieben sie erfolglos. Die Neunte Strafkammer versuchte im Vorfeld wie gestern, zu einer verfahrensverkürzenden Einigung mit Staatsanwalt und den Verteidigern zu kommen. Ein Teil der Vorwürfe könnte mit Blick auf die verbleibenden Komplexe eingestellt werden, betonte Vorsitzende Richterin Barbara Miller. Der Verteidiger der 39-jährigen Angeklagten wollte auf eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich, also von maximal zwei Jahren, hinaus. Dazu sahen die Ankläger Florian Krug und Lisa Böhm angesichts des „Modus operandi“ der Bande keine Chance. Sie sprachen von vier Jahren Freiheitsstrafe für die Frau. Ihr Ehemann, bei dem die Beweislage ziemlich gut ist, könnte nach Einstellung einiger Vorwürfe mit einer Haftstrafe zwischen fünfeinhalb und sechs Jahren rechnen – immer unter der Voraussetzung eines Geständnisses und einer gewissen Schadenswiedergutmachung, führte Frau Miller aus. Der Staatsanwalt würde diesen „noch nicht offiziellen Vorschlag“ des Gerichts mittragen. Eine Einigung erfolgte nicht. Ob Geständnisse im Raum stehen, blieb offen.

Zeugen berichten von weiteren Fällen

Die ersten Zeugen der Kripo Traunstein berichteten gestern von weiteren Fällen, etwa im Raum Prien, die gar nicht in die Anklageschrift eingeflossen seien. Anhand von Finger- und Genspuren sowie Handyüberwachungen hätten die Angeklagten ermittelt werden können, informierte der Hauptsachbearbeiter. Die Bande habe untereinander ständig kommuniziert. Zahlreiche Fahrzeuge seien im Einsatz gewesen, häufig an- und umgemeldet worden: „Wir gehen von rund 100 Zulassungen aus.“ Ein Fahrzeug sei in Tschechien aufgefallen. Im November 2024 seien zwei Wagen von Stuttgart aus nach Baden-Württemberg und nach Wolfratshausen gefahren. Das Ehepaar sei am 11. November festgenommen worden. Bei der Wohnungsdurchsuchung habe man 72 Schmuckstücke sichergestellt und Fotos bundesweit an verschiedene Dienststellen versandt. Insgesamt habe die Kripo Traunstein so 37 Fälle mit einem Schaden von 136000 Euro zusammengetragen.

An den nächsten Verhandlungsterminen sagen Polizisten aus ganz Deutschland aus. Wann Geschädigte in den Zeugenstand treten, ist noch unklar. Einige Opfer sind bereits verstorben. Monika Kretzmer-Diepold

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