Rosenheim/München – Am Ende konnte man sich darin einig sein, dass man sich nicht einig ist. Der Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen hatte in das Hotel „Bayerischer Hof“ nach München geladen, zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Alpenquerender Verkehr – Lebensader für den europäischen Verkehr“.
Man sprach im noblen Ambiente gepflegt miteinander, Vertreter aus Wirtschaft, Logistik, Politik. Geholfen hat es wenig: Eine Lösung für den Alpentransit ist auch nach diesem Gespräch nicht in Sicht.
„Das System ist kurz
davor, zu kollabieren“
Dabei ist die Lage dramatisch. Stephan Doppelhammer, Moderator der Runde und Hauptgeschäftsführer beim Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen, warnte: „Das System ist kurz davor, unter der Last seiner eigenen Baustellen zu kollabieren.“ Die Herausforderungen wären selbst in wirtschaftlich blühenden Zeiten groß, wenn genug Geld in den Kassen ist. An der Brennerautobahn wird gebaut und repariert, vermutlich auf Jahrzehnte hinaus. Die Tauernautobahn bleibt ein Hindernisparcours. Und die Deutsche Bahn ist als Ganzes ein Sanierungsfall. Und dann wären da Nachtfahrverbote und Blockabfertigung in Tirol.
Tirols Verkehrslandesrat René Zumtobel mag das Wort „Blockabfertigung“ nicht, wie er in der Runde zugibt, er spricht lieber von Dosierung. Und von seiner Verantwortung den Tiroler Bürgern gegenüber. Schließlich sei er nicht nur für Verkehr, sondern auch für Umwelt und Natur zuständig. Und da müsse er auf Menschen und Grenzwerte achtgeben.
Er zeigte sich also unnachgiebig, was Tiroler Transitbeschränkungen betrifft. Auch wegen der Klage Italiens vorm Europäischen Gerichtshof. Man werde nichts auf den Tisch legen, solange die Angelegenheit nicht juristisch geklärt sei, sagte Zumtobel. Außerdem könne man das Problem durch cleveres Management des Verkehrs besser lösen. „Die Alternative ist aus meiner Sicht ein digitales Verkehrsmanagementsystem, besser bekannt unter dem Namen Slotsystem.“
Verkehrsminister ist
„nur der Postbote“
Freilich weiß auch er, wo die Hindernisse liegen. Für ein Slotsystem bräuchte es einen Vertrag, und den müssten die nationalen Verkehrsminister schließen. Bei Matteo Salvini in Italien scheint da besonders wenig Bereitschaft zu herrschen, aber auch von Ampel-Minister Volker Wissing (parteifrei) war nichts zu dieser Lösung zu hören gewesen. Macht es sein Nachfolger Patrick Schnieder (CDU) besser? Er sei in der Angelegenheit „nur der Postbote“, ließ derweil Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter wissen. „Ich reiche die Briefe weiter.“ Ansonsten habe er da nicht viel zu sagen. Immerhin: Bei seinem Wien-Besuch nahm Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker das Versprechen ab, sich bei der Regierung in Rom für das Slotsystem einzusetzen.
Für ein Slotsystem wären allerdings auch bauliche Voraussetzungen nötig. Das merkte Georg Dettendorfer an, Chef der Spedition Johann Dettendorfer in Nußdorf und IHK-Vizepräsident. Für die Lkw bräuchte es Standplätze. Überhaupt sei vorausblickende Planung das Gebot der Stunde. Das meinte auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Wirtschaft, der Verantwortungsgefühl und Überblick anmahnte. „Ich bitte jeden politisch Verantwortlichen um Mut“, sagte Brossardt.
Ob Brennerbasistunnel oder Slotsystem: Für die aktuellen Probleme im Verkehr in der Region Rosenheim kommen diese Lösungen nicht schnell genug. Wie soll das werden, wenn die Bahn 2027 und 2028 die Strecke München–Salzburg saniert? Im selben Zeitraum wird ja auch noch die Eisenbahnstrecke über den Brenner überholt, ihre Kapazitäten sinken auf die Hälfte.
Schnelle Entlastung, das wäre es. Thomas Baumgartner, Vizepräsident des italienischen Frächterverbandes und ehemals CEO der Spedition Fercam, fordert daher nochmals ein Entgegenkommen der Tiroler bei ihren Verboten. „Der Brenner-Korridor hat durch diese Verbote nur noch 50 Prozent seiner eigentlichen Kapazität. Wenn diese Kapazität auf 100 Prozent erhöht werden würde, bräuchten wir keine Blockabfertigung mehr“, sagte Baumgartner.
Kritik an Tirols
starrer Haltung
Auch Baumgartners Kollegen kritisierten Zumtobel für die starre Tiroler Haltung. Georg Dettendorfer berichtete von enormen Belastungen durch die Blockabfertigung. „Wir erreichen dann unser Logistikzentrum nicht.“ Das sei „Standortgefährdung“.
Christian Huber von Huber-Logistik in Albaching kritisierte die Tiroler Rosinenpickerei. Alle Alpenregionen profitierten enorm von Handel und Transit. „Wer profitiert, muss auch Belastungen tragen.“
Gütertransport: Die
Schweiz macht es vor
Einig waren sich die Teilnehmer der Runde darin, dass mehr Güter auf die Schiene verlagert werden müssten. Zumtobel wies darauf hin, dass die Schweiz drei Viertel der Güter auf der Schiene transportiere und nur noch 25 Prozent auf Lkw. „Am Brenner ist das Verhältnis umgekehrt.“ Auch Dettendorfer sprach sich vehement für die Bahn aus. Und warnte davor, Straße gegen Schiene auszuspielen.
Bringt der Brenner-Nordzulauf irgendwann mal die nötigen Kapazitäten? Bis 2026 werde der Bundestag eine Entscheidung fällen, sagte Bauminister Bernreiter. „Dann muss das Planfeststellungsverfahren angegangen und durchgezogen werden.“ Die für die Verlagerung notwendigen Terminals seien jedenfalls bereits in Planung und im Fall von Augsburg bereits im Bau. Von Erleichterungen vor Anfang der 2040er-Jahre sollte man dennoch nicht träumen.