Rosenheim/Traunstein/Wasserburg/Mühldorf – Übervolle Wartezimmer, Aufnahmestopp, lange Wartezeiten für einen Termin: Viele kennen das Problem, auch in der OVB-Region. Dabei gilt unsere Region in vielen Bereichen als überversorgt. Wie kann das sein?
Beispiel Hautärzte: Hier haben unsere Recherchen bei den Niedergelassenen, die über das Online-Termin-Portal „Doctolib“ erreichbar sind, ergeben, dass die Situation im Berchtesgadener Land besonders krass ist: Hier warten Kassenpatienten, die sich über das Portal neu vorstellen, beispielsweise bei einem Dermatologen in Freilassing, bis zu neun Monate auf einen Termin.
Diskrepanz zwischen
Theorie und Praxis
Doch im Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) (Stand Januar 2025) wird der Landkreis Berchtesgadener Land als „überversorgt“ ausgewiesen. Zehn Hautärzte haben sich hier niedergelassen, sechs wären nach den Berechnungen der Bedarfsplanung notwendig. Versorgungsgrad: 218 Prozent. Wie kann es sein, dass es trotzdem schwer ist, einen Termin zu ergattern? Dass es trotz einer hohen absoluten Anzahl an Vertragsarztsitzen zu langen Wartezeiten bis zum Behandlungsbeginn kommt, kann an ganz verschiedenen Gründen liegen, erklärt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB). Es obliege weitgehend der Entscheidung der Ärzte, wie viele Stunden sie ihre Praxis für Sprechstunden zur Versorgung gesetzlich versicherter Patientinnen und Patienten öffnen würden: „Laut Zulassungsverordnung für Vertragsärzte ist nur festgelegt, dass mindestens 25 Wochenstunden für einen vollen Sitz verpflichtend sind. Die Einhaltung dieser Mindestvorgabe wird durch die Kassenärztlichen Vereinigungen überprüft.“
Planung übersieht
Spezialisierungen
Welche Leistungen in welcher Menge von Ärzten erbracht würden, werde in der Bedarfsplanung nicht vorgegeben. Wenn sich also ein Facharzt spezialisiere und nur bestimmte Behandlungen anbiete, sei das seine Entscheidung, so die KVB. Zudem könne es sein, dass die Arztsitze innerhalb eines Planungsbereichs nicht gleichmäßig verteilt seien, sodass es in einer vereinzelt liegenden Praxis zu einer Konzentration von Patienten und damit zu längeren Wartezeiten komme.
So ist es im Landkreis Berchtesgadener Land: Laut Versorgungsatlas verteilen sich die zehn Hautarztpraxen nur auf zwei Orte, konzentrieren sich hier auf Freilassing und Bad Reichenhall. Wer beispielsweise aus der südlichsten Ecke des Landkreises in Schönau am Königssee einen Hautarzttermin wahrnehmen möchte, müsste bis nach Bad Reichenhall fahren. Das sind etwa 23 Kilometer.
Übergewicht
einzelner Angebote
Ein weiterer Grund für die Diskrepanz zwischen langen Wartezeiten auf einen Termin und der Einordnung einer Region als „überversorgt“ könne laut KVB sein, dass es innerhalb einer Arztgruppe – beispielsweise der Fachinternisten – zu einem Übergewicht einzelner Spezialisten komme. Das beeinträchtigt dann die Versorgung in anderen Bereichen.
Die Kassenärztliche Vereinigung versucht jedoch, die regionalen und lokalen Begebenheiten auszuloten – über die Zulassung der Kassensitze. Die Bedarfsplanung regelt, wie viele Ärzte und Psychotherapeuten in bestimmten Regionen zugelassen werden. Das Ziel: ein gleichmäßiger Zugang zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung für alle.
Die Bedarfsplanung wird jedoch von mehreren Ebenen gestaltet, berichtet Dr. Axel Heise, der stellvertretende Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. An der Spitze ständen die Bundesregierung und das Bundesgesundheitsministerium. „Diese haben den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Berlin beauftragt, die wesentlichen Rahmenbedingungen einer Bedarfsplanung zu definieren, die dann bundesweit gültig sind.“
„Kassenarztbezirke“ heißen im Fachjargon Planungsbereiche. Über deren Größe bestimme in Bayern der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Bei regionalen Fragen der ambulanten Versorgung, also auch bei der Bedarfsplanung, entscheiden nicht nur die Ärzte als Leistungserbringer, sondern auch zu 50 Prozent die Kostenträger, also die Krankenkassen, mit, erläutert er weiter.
Planungsbereiche können laut Kassenärztlicher Vereinigung je nach Arztgruppe kleinere Regionen (zum Beispiel für die Hausärzte), Landkreise oder größere Einzugsbereiche sein.
Beispiel: Im Fall eines von Wasserburg nach Haag gewechselten Gastroenterologen umfasst der Planungsbereich Südostoberbayern (für fachärztliche Internisten) also die Stadt und den Landkreis Rosenheim, Mühldorf, Traunstein und das Berchtesgadener Land. Wasserburg hatte also den Kassenarzt verloren, der Planungsbereich jedoch nicht.
Der Landesausschuss der KVB widmet sich außerdem der Fragestellung, ob Regionen eine Unterversorgung droht. Das ist beispielsweise im Bereich der Hausärzte für Mühldorf festgestellt worden (Stand: Frühjahr 2025).
Der Versorgungsatlas bestätigt das Bild: Laut Bedarfsplanung liegt der Versorgungsgrad im Landkreis Mühldorf bei 82 Prozent. Das Durchschnittsalter der 42 gemeldeten Mediziner: 55 Jahre. 14 sind 60 plus. Da deutet sich ein Generationenwechsel an. Ob er auch vollzogen wird, liegt an der Frage, ob sich ausreichend Nachfolger überhaupt finden. Das gilt vor allem auf dem Land als schwierig.
Ohne Aussage zu
realen Bedingungen
Das Kernproblem ist, dass die Bedarfsplanung hauptsächlich auf der statistisch ermittelten Anzahl der Ärzte pro Einwohner basiert, nicht auf der tatsächlichen Leistung, die diese Ärzte erbringen. Der Versorgungsgrad von 218 Prozent im Berchtesgadener Land sagt also nur aus, dass es dort mehr als doppelt so viele Hautärzte gibt, wie rechnerisch notwendig wären. Er sagt allerdings nichts darüber aus, wie diese Ärzte ihre Zeit aufteilen oder wie gut die Patienten sie erreichen können.