München/Rosenheim – Sie trägt das selbe cremefarbene Oberteil wie am Verhandlungstag zuvor. Dazu kombiniert Jessica K. eine dunkle Hose und Stiefeletten. Er hat wie immer einen blauen, etwas schlabbrigen Pullover angezogen, darunter ein weißes Poloshirt. Siegfried H. scheint abgenommen zu haben, sein unbewegtes Gesicht wirkt schmaler als auf den Fotos, die ihn als gefeierten Agrar-Unternehmer zeigen. Die beiden lauschen konzentriert der Stimme des Vorsitzenden Richters Martin Meixner, der die Strafen im FlexiCamper-Prozess verkündet und begründet.
Millionenpleite
durch Absicht
und Unfähigkeit
Vier Jahre für Siegfried H. und drei Jahre für Jessica K.: So fallen die Strafen wegen Insolvenzverschleppung, Veruntreuung und Unterschlagung aus. Dazu kommt natürlich Betrug, und das im Extra-Format des banden- und des gewerbsmäßigen Betrugs. In arbeitsteiliger Weise, wie Meixner darlegt. Trocken und nüchtern berichtet der Richter. Mit paragrafendürrer Sprache müht er sich, so etwas wie Ordnung oder zumindest Orientierung in diesen komplizierten Fall zu bringen – der Rosenheimer Millionenpleite um FlexiCamper.
Folgenreiches Detail:
Untersuchungshaft wird nicht ausgesetzt
Ein Detail des Urteils, das theoretisch noch Folgen entfalten kann, betrifft die Haftfortdauer. Die Haftbefehle bestehen weiter, und damit bleiben beide Angeklagte in Untersuchungshaft. Das betrifft ohnehin die Woche, in der die Angeklagten Rechtsmittel einlegen lassen können. Die Weigerung des Gerichtes, die U-Haft auszusetzen, hätte aber auch für einen Revisionsantrag Bestand.
Bei aller Geständigkeit traue man den beiden nicht, sagt Richter Meixner, Kurzschlussreaktionen seien denkbar, schließlich sprächen auch diverse Vertuschungsaktionen nicht für sie. Jessica K. hatte Unterlagen geschreddert, Siegfried H. wiederum hatte sich bei FlexiCamper meist des Namens seiner Lebensgefährtin bedient, um nicht als notorischer Pleitier identifiziert zu werden.
Auch sei nicht sicher, dass die beiden ein Paar blieben, sagt Meixner noch. Als Meixner dies aufführt, mahlen H.s Kiefer, er nimmt die Brille ab, wischt sich mit dem Handrücken über die Augen, blickt zu K. Die Perspektiven der Angeklagten bleiben unsicher, und auch ihr Verhalten werfe immer wieder Anlass zu Fragen auf. Dass H. etwa kein eigenes Konto besessen habe, das sei für den „erfahrenen Geschäftsmann mit der Flughöhe H.s nicht erwartbar und schräg“, sagt Meixner. Der Richter trägt lange vor. Schwankt zwischen dem Streben nach Verständnis und Fassungslosigkeit.
Es gibt vieles, was er den Angeklagten zugutehält. Ihre Geständigkeit, ihre Einsicht, der Wille zur – wenn auch nur geringfügigen – Wiedergutmachung. Gerade bei Siegfried H.: Ein Jahr in etwa habe er für seinen Erkenntnisprozess benötigt. Dann habe er „so ziemlich alles richtig gemacht und Pluspunkte gesammelt“, wo es nur möglich war. Auch dank seiner Offenheit und Bereitschaft mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten, sei es möglich gewesen, den Prozess vergleichsweise kompakt zu führen. So habe man auch vieles über das Selbstleseverfahren beschleunigen können.
Was nicht unbedingt im Sinne vieler Betroffener gewesen sein dürfte – die meisten waren als Zeugen nur insofern relevant, als ihre Aussagen bei der Polizei in den Akten studiert werden konnten. Richter Meixner wies freilich auch auf die Schicksale einiger Betroffener hin, die es finanziell und emotional hart erwischt hat, darunter auch eine Alleinerziehende mit geringen Mitteln.
Als die Wand schon
zu sehen war, noch „aufs Gas gedrückt“
Auch sonst geht er mit den Angeklagten mitunter hart ins Gericht, betont die Planmäßigkeit und Dauer der Betrügereien. Auch Jessica K. sei weit mehr als eine Art Sekretärin gewesen. Sei auch Siegfried H. nach seinen eigenen Worten im „Fahrersessel“ platziert gewesen, so sei sie Beifahrerin gewesen und habe den Schlüssel für das Gefährt bereitgestellt. Keiner von den beiden habe die Bremse bedient, als der Crash schon absehbar gewesen sei. „Man hat vielmehr noch aufs Gas gedrückt.“
Unternehmenskrise:
Das Schlimmste kommt zum Schluss
Den größten Teil des Schadens scheint FlexiCamper im letzten halben Jahr seines Bestehens angerichtet zu haben, zwischen der faktischen Zahlungsunfähigkeit im November und dem tatsächlichen Insolvenzantrag im Mai darauf. In diesem halben Jahr sei die „Krise vertieft worden“, sagt Meixner. Buchhaltungs-Chaos habe geherrscht, „Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung sind nicht im Ansatz eingehalten, es wurde manipuliert, um Fremdkapital zu erlangen.“ Kunden habe man noch Geld für Anzahlungen abgeknöpft, als der Kahn längst schwere Schlagseite hatte.
Wie hoch war der Schaden durch FlexiCamper? Die Summen verdunsteten während der Verhandlung. Von 20 Millionen Euro, die ursprünglich im Raum gestanden hatten, kam Meixner am Ende in der Addition auf vier Millionen. Die Hälfte, rund zwei Millionen Euro, hätten die geprellten Kunden eingebüßt.
Das meiste Geld wurde in der Firma selbst verbrannt
Wohin das Geld gelangte? Man habe die Geldströme so weit wie möglich verfolgt und keine Anzeichen gefunden, dass etwas beiseite geschafft worden sei, abgesehen von den 527000 Euro, die Siegfried H. zweckwidrig entnommen habe. Für seine Lebenshaltungskosten, aber auch für die Geldauflage, zu der er nach der Pleite des KTG-Agrarkonzerns verpflichtet war.
Das meiste Geld wurde aber in der Firma verbrannt – durch hohe Gehälter, Mieten, Wohnmobile, die zu günstig abgegeben wurden. Meixner sprach von „Größenwahn“ und „verwegener Chuzpe“. Es handle sich, was das betreffe, um „bemerkenswerte unternehmerische Inkompetenz“.