Die Gewaltbereitschaft nimmt zu

von Redaktion

Ein 27-jähriger Mann hat in der vergangenen Woche im Traunsteiner Jobcenter für Angst und Panik gesorgt – er randalierte und bedrohte die Anwesenden. Noch immer sind die Betroffenen zu schockiert, um ausführlich auszusagen. Drohungen, Beleidigungen, Gewalt: Ist das inzwischen trauriger Alltag für Menschen im Öffentlichen Dienst?

Traunstein – „Psychische Gewalt gegenüber unseren Beschäftigten nimmt in den vergangenen Jahren zu. Das reicht von persönlichen Beschimpfungen bis zu verallgemeinerten Beleidigungen. Der Ton insgesamt wird rauer, auch in der schriftlichen Kommunikation.“ Die Aggression gegenüber Mitarbeitern ist für Thomas Wendrich, Geschäftsführer des Jobcenters Traunstein, und Michael Vontra, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Traunstein, nichts Neues.

Ein Vorfall am vergangenen Montag stellt aber eine neue Stufe der Eskalation dar: Ein 27-jähriger Mann aus Afghanistan fing an zu randalieren, nachdem er sich über eine ausbleibende Geldzahlung beschwert hatte: Ein Messer sei im Spiel gewesen, den genauen Tathergang könne man derzeit noch nicht nachvollziehen, so die Polizeiinspektion Traunstein: „Die Zeugen sind teilweise immer noch traumatisiert und noch nicht alle in der Lage, Vernehmungen durchzustehen.“

Der Mann konnte von der Polizei im weiteren Verlauf ohne Gegenwehr in Gewahrsam genommen werden. Auch das Messer, ein kleines Obstmesser, so der Pressesprecher der Polizei Traunstein, sei dabei sichergestellt worden. Verletzt wurde niemand. Jetzt wird ein Strafverfahren eingeleitet mit dem Vorwurf der Bedrohung und versuchten Körperverletzung. Da der Randalierer einen festen Wohnsitz aufweisen konnte, wurde er vorerst nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft auf freien Fuß gesetzt.

„Wir stellen fest, dass aktuell die Gewaltbereitschaft zunimmt“, sagt auch der Vorsitzende des Bayerischen Beamtenbundes, Rainer Nachtigall. Davon sei nicht nur die Polizei betroffen: „Da sind Kollegen aus unterschiedlichsten Bereichen betroffen: vom Jobcenter, dem Ausländeramt, der Sozialhilfe oder dem Einwohnermeldeamt.“

Werden Mitarbeiter gezielt auf solche Extremsituationen vorbereitet? „Wir haben dazu vor ein paar Jahren mit dem Finanzministerium ein Gewaltschutzkonzept erstellt“, so Nachtigall. Das beinhalte unter anderem Konzepte zur Soforthilfe in der Situation als auch präventive Maßnahmen: „Das beginnt beim Betreten der Behörde, wo möglicherweise ein Security-Dienst infrage käme.“ Weitere technisch-organisatorische Maßnahmen wie spezielle Türen und Schlösser oder auch Alarmknöpfe könnten den Angestellten mehr Sicherheit bieten.

Außerdem sei man derzeit dabei, ein Lernmodul zu entwickeln, das sich vor allem mit dem Thema Konfliktvermeidung auseinandersetzt. So könnten Mitarbeiter im besten Fall vermeiden, dass sich Situationen hochschaukeln. Wenn Angestellte, wie am Traunsteiner Jobcenter, eine solch bedrohliche Situation erleben mussten, wäre laut Nachtigall aber auch die professionelle Verarbeitung und Nachsorge extrem wichtig. „Wir müssen Angebote schaffen, um Kollegen nach einer solchen Situation zu unterstützen.“ Es sei nachvollziehbar, dass Angestellte vielleicht erst mal in ein Loch fallen. Oft kämen posttraumatische Belastungsstörungen erst Wochen nach einem Gewalterlebnis zutage. Inwieweit Maßnahmen ergriffen werden, obliege der jeweiligen Behörde.

In Traunstein, so der Geschäftsführer des Jobcenters Wendrich und der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, Michael Vontra, würde das Personal für solche Situationen vorbereitet werden: „Unsere Mitarbeitenden erhalten alle Kommunikationsschulungen, auch für konflikthafte Situationen. Wir wissen jedoch, dass es Situationen gibt, die nicht durch Schulungen abgefedert werden können; manche sind schlicht nicht vorherzusehen.“

Der Schutz der Angestellten hätte oberste Priorität: Es gäbe, so Vontra und Wendrich, ein mehrteiliges Sicherheitssystem und einen Securitymitarbeiter. Auch Hausverbote würden erteilt werden. Aber auch nach einem extremen Vorfall stehen sie ihren Angestellten bei: „Wir arbeiten solche Situationen konsequent auf. Entweder im Einzelgespräch oder im Team. Niemand muss eine Beleidigung hinnehmen. Wir erstatten dann Strafanzeige.“

Vertrauen
geht verloren

Die Frage nach dem Warum – sie stellt sich nicht nur den Betroffenen. Gibt es eine Erklärung für die zunehmende Aggression gegenüber Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst? Menschen, die in einem Jobcenter arbeiten, in einem Ausländeramt oder im Jugendamt stünden laut Rainer Nachtigall an vorderster Front als Stellvertreter des Staates: „Sie lehnen dann zum Beispiel Förderungen ab oder müssen Beschränkungen auferlegen.“ Und Nachtigall gibt zu bedenken, dass der Staat, auch mit Studien nachweisbar, immer weniger Vertrauen genießt in der Bevölkerung: „Mit dem Vertrauensverlust geht wahrscheinlich auch die Akzeptanz gegenüber staatlichen Institutionen verloren.“

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