Gefährliche Unterstützung

von Redaktion

Zahl der E-Bike-Unfälle steigt – Vor allem ältere Fahrer sind gefährdet

Traunstein – Die kommenden Tage werden perfektes Radlwetter bieten. Viel Sonne, einige Wolken, angenehme Temperaturen, kaum Wind. Grundsätzlich wird es so, wie am vergangenen Dienstag. Einem schwarzen Tag für E-Biker in der Region. Ein 70-Jähriger verbremste sich in Chieming, rammte sich den Bremshebel in den Oberschenkel. In Staudach-Egerndach wurde eine 87-jährige Seniorin von Ersthelfern bewusstlos unter ihrem Pedelec aufgefunden, kam mit schweren Kopfverletzungen in die Notaufnahme. In Reit im Winkl und Ruhpolding mussten am selben Tag drei weitere Pedelec-Fahrer nach Stürzen ins Krankenhaus. Diese Serie von Unfällen ist bezeichnend für einen Trend, der Rettungsdienste und Polizei im Chiemgau zunehmend beschäftigt.

Sieben von zehn
stürzen alleinbeteiligt

Zahlen des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd zeichnen ein klares Bild der Lage. Die Statistik der Polizeiinspektion Traunstein etwa zeigt einen unaufhaltsamen Anstieg der Pedelec-Unfälle: von 57 im Jahr 2021, über 59 (2022) und 65 (2023) bis auf 71 im vergangenen Jahr 2024. Noch alarmierender ist die Analyse der Unfallursache. „Von den 71 Unfällen im Jahr 2024 waren 51 Alleinstürze – also Stürze ohne jegliche Fremdeinwirkung“, erläutert Polizeipräsidiumssprecher Stefan Sonntag. Das entspricht einem Anteil von über 71 Prozent. Die Fahrer stürzen, weil sie die Kontrolle über ihr eigenes Fahrzeug verlieren. Die Ursachenforschung der Beamten vor Ort liefert eine klare Antwort auf die Frage nach dem Warum. „Als Hauptunfallursache wurden überhöhte Geschwindigkeit und damit einhergehende Fehler beim Bremsen festgestellt“, fasst Sonntag die Erkenntnisse seiner Kollegen zusammen.

Eine Einschätzung, die Stephanie Krone, Pressesprecherin des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club), aus technischer Sicht untermauert: „Pedelecs sind deutlich schwerer und beschleunigen kraftvoll. Das erfordert eine gute Koordination, sonst besteht Sturzgefahr, insbesondere bei plötzlichen Ausweich- oder Balancebewegungen.“

Diese lokale Beobachtung passt exakt in das bayernweite Bild, das das Innenministerium kürzlich zeichnete. Nach Recherchen der Nachrichtenagentur dpa hat sich die Zahl der tödlich verunglückten Pedelec-Fahrer im Freistaat seit 2021 von 22 auf 42 im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Damit war knapp die Hälfte der insgesamt 94 in Bayern getöteten Radfahrer mit einem Hilfsmotor unterwegs. „Das sind eindeutig zu viele und fordert uns alle zum Handeln auf“, wird Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zitiert. Besonders besorgniserregend sei, dass – wie auch die Zahlen aus Traunstein belegen – vor allem ältere Menschen betroffen sind. Laut Statistik waren über drei Viertel der getöteten Pedelec-Fahrer 65 Jahre oder älter. Ein Grund für die dramatische Zunahme der Unfälle liegt in der schieren Masse der Fahrzeuge, die von Bayerns Straßen und Radwegen nicht mehr wegzudenken sind: Laut Industrie hatte 2024 bereits mehr als jedes zweite neu verkaufte Fahrrad in Deutschland einen Motor.

Risikogruppe:
Senioren „Ü65“

Nach den aktuellen Zahlen der Traunsteiner Statistiker war im ersten Halbjahr 2025 jedes zweite Unfallopfer über 65 Jahre alt. Der ADFC warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen. „Menschen über 65 Jahre haben zwar nicht unbedingt mehr Unfälle als junge, aber die Unfallfolgen sind im höheren Alter schwerer“, stellt Stephanie Krone klar. Ein Sturz, der bei einem Jüngeren nur Schürfwunden zur Folge hätte, könne bei einem älteren Fahrer schnell zu Knochenbrüchen oder lebensgefährlichen Kopfverletzungen führen, was die hohe Zahl an Schwerverletzten erklärt. Allein im Bereich der PI Traunstein wurden in den letzten vier Jahren konstant zwischen 17 und 20 Pedelec-Fahrer pro Jahr schwer verletzt.

Das Polizeipräsidium hat das Problem erkannt und reagiert mit einem Bündel an Maßnahmen. „Im Rahmen der Verkehrsprävention informiert die Polizei die Öffentlichkeit regelmäßig mit themenbezogenen Informationen. Im Bereich Traunstein war dies exemplarisch beim Tag der offenen Tür sowie bei anderen Großveranstaltungen wie dem ‚Lindl-Sonntag‘, den ‚Rosentagen Traunstein‘ oder der ‚Gewerbeschau Truna‘ möglich“, so Stefan Sonntag. Bei Schwerpunktaktionen wie „Radfahrsicherheit“ oder der europaweiten „Roadpol-Aktion“ nähmen die Beamten gezielt das Verhalten von und gegenüber Radlern in den Fokus. Zudem würden bei regelmäßigen „Radverkehrsschauen“ zusammen mit anderen Behörden Gefahrenstellen in der Infrastruktur geprüft. Präventionsarbeit reiche von klassischen polizeilichen Verkehrserziehungen an Schulen bis hin zu Sicherheitskursen für Senioren.

Trotz aller Maßnahmen liegt die größte Verantwortung beim Fahrer selbst. Der ADFC fordert ein Umdenken, das bereits beim Kauf beginnt. „Wir würden uns wünschen, dass Zweirad-Händler schon beim Verkauf eines Pedelecs eine kurze Einweisung vornehmen und mit den Kunden die Beschleunigung und die Zugkraft der Bremsen auf sicherem Terrain austesten“, sagt Stephanie Krone.

Üben ist der Schlüssel
zu mehr Sicherheit

Der dringlichste Appell von Polizei und ADFC lautet jedoch unisono: üben, üben, üben. „Scheinbar einfache Übungen wie Auf- und Absteigen, Anfahren und Anhalten verbergen mitunter nicht unerhebliche Schwierigkeiten“, warnt die Polizei in einem offiziellen Flyer. Bevor es auf die Radwege im Chiemgau geht, sollte jeder Pedelec-Fahrer auf einem sicheren Platz das Anfahren, das Gleichgewicht bei langsamer Fahrt und vor allem das richtige, dosierte Bremsen trainieren. Denn eines zeigen die schockierenden Unfallmeldungen aus der Region unmissverständlich: Die Freiheit und Mobilität, die ein Pedelec verspricht, erfordert ein Maß an Fahrzeugbeherrschung, das manche offenbar unterschätzen.

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