Rosenheim – Notfallseelsorge. Den Begriff kennt man, hat auch eine vage Vorstellung, was sich dahinter verbirgt. Wir aber wollten wissen, wie es den Personen geht, die dahinter stehen, den Notfallseelsorgern. Wir haben mit Andreas Demmel darüber gesprochen, der vor drei Jahrzehnten die katholische Notfallseelsorge in Stadt und Landkreis mit auf den Weg gebracht hat und heute immer noch aktiv dabei ist. Am Anfang des Interviews stand bezeichnenderweise ein Anruf. Und dieser wirft ein Schlaglicht auf die Tätigkeit eines Notfallseelsorgers. Denn kaum hatte man sich zum Gespräch zusammengesetzt, da klingelte das Handy: Einsatz. Eine verunglückte Person. Normalerweise wäre die Unterhaltung jetzt schon zu Ende gewesen, doch beim Termin mit dabei war Thomas Jablowsky, der Leiter der katholischen Notfallseelsorge Rosenheim, und er machte sich anstelle von Andreas Demmel auf dem Weg zum Einsatzort.
Herr Demmel, was ist das für ein Gefühl, wenn einen das Handy unvermittelt zu einem Einsatz ruft – erschrickt man, zieht sich in einem alles zusammen? Denn Sie wissen ja, dass sie gleich mit einer Situation konfrontiert werden, vor der man als „normaler Mensch“ eher fliehen möchte.
Erschrecken? In gewissem Sinn ja, immer noch. Denn jahrzehntelange Erfahrung als Notfallseelsorger hilft, aber Routine wird es nie. Jedes Mal, wenn der Alarm kommt, fragt man sich, auf welche Situation man stoßen wird. Denn die Erstinformationen, die man erhält, sind knapp gehalten: Ort, einige Stichworte zu dem, was passiert ist, mehr nicht.
Wer finanziert denn eigentlich die Notfallseelsorge?
Abgesehen davon, dass die meisten, die mitarbeiten, das in ihrer Freizeit tun, auch die kirchlichen Hauptamtlichen zusätzlich zu ihren sonstigen Aufgaben, finanzieren die beiden großen Kirchen die Notfallseelsorge. Zum Beispiel die Kosten für Supervision, Fahrtkosten, Einsatzkleidung, Kosten für Alarmierungssysteme. Hier werden Kirchensteuergelder für die Allgemeinheit eingesetzt, weil wir bei unseren Einsätzen nicht fragen, ob jemand Mitglied in der Kirche ist.
Sie sind in diesem Ehrenamt schon 30 Jahre tätig, haben die Notfallseelsorge im Landkreis sogar mit aus der Taufe gehoben – warum eigentlich?
Schlicht weil der Bedarf dafür da war. Man hatte Mitte der 1990er-Jahre erkannt, dass Rettungskräfte und Polizei bei einem Unfallgeschehen entscheidende Arbeit leisten, dass da aber immer noch weitere Menschen sind, die in solchen Momenten Hilfe und eine Stütze brauchen – eine Aufgabe, für die niemand sonst da war. Und was mich selbst betrifft. Ich wurde 1988 zum Diakon geweiht: Dort zu sein, wo Menschen in Bedrängnis sind, ist für mich einfach eine Selbstverständlichkeit.
Aber Notfallseelsorge, das ist ja mehr, als Menschen einfach zu helfen, das ist ja Hilfe in Extremsituationen. Sie sind schließlich auch oft dabei, wenn die Polizei Todesnachrichten überbringen muss. Wie kann man diese häufige Konfrontation mit Leid und Unglück verkraften?
Man braucht wie alle, die immer wieder zu Unglücksfällen gerufen werden, so eine Art professionelle Distanz. Es darf nicht sein, dass man am Ende selbst der ist, der da getröstet werden muss. Das soll nicht heißen, dass man keine Empathie zeigen darf, dass nicht erkennbar wird, dass man selber auch berührt ist. Aber man muss schon auch etwas Abstand zum Geschehen bewahren, um das sein zu können, was man sein soll: Eine Stütze, vielleicht sogar ein fester Ankerpunkt in einem Moment, in dem sich für die Betroffenen alles aufzulösen zu scheint.
Und wie kann das gelingen, in Situationen in denen für die Betroffenen von jetzt auf gleich nichts mehr, gar nichts mehr ist wie es vor Kurzem noch war?
Das kommt immer auf die Situation an. Oft geht es ja nur darum, dass da einer da ist, der aufmerksam zuhört. Oder auch einmal mit den Angehörigen schweigt.
Ist das nicht schwer, dazusitzen und zu schweigen und dabei das Unglück des anderen fast körperlich zu spüren?
Man muss es aushalten lernen. Denn es ist wichtig. Am allerwenigsten würde helfen, wenn man als Notfallseelsorger dauernd redet, vielleicht auch noch möglichst „gscheit“ daherredet.
Und wie lange bleiben Sie da vor Ort?
So lange bis ich spüre, hier werde ich nicht mehr gebraucht. Manchmal sagen das einem die Betroffenen direkt, manchmal merkt man, dass sie wieder ein klein wenig festen Boden unter den Füßen bekommen. Etwa, wenn das Gespräch sachlicher wird, sich auf das richtet, was als Nächstes zu tun ist. Oder wenn man ein Glas Wasser oder eine Tasse Kaffee angeboten bekommt – da spürt man dann, ein klein wenig Struktur ist in dieser Auflösung der Gefühle wieder da.
Trotzdem stellt sich einem Laien immer wieder dieselbe Frage: Wie verkraftet man all das?
Weil da bei allem immer das Wissen da ist: Hier kann man einem anderen Menschen wirklich helfen. Darüber hinaus gibt es das Angebot der Supervision. Für jeden einzeln bei Bedarf und mehrmals im Jahr in der Gruppe, wo Fälle nachbesprochen werden. Und vor allem: Da ist meine Frau Monika, die mich hält und mit der ich reden kann.
Wenn man da so drüber nachdenkt, ist es eigentlich Ihre Frau, die bei Ihrer Aufgabe den schwereren Part hat. Sie sind im Einsatz, handeln, agieren. Ihre Frau aber kann, sobald sie das Haus verlassen haben, nur warten, meist viele Stunden, ist dann allein mit ihren Gedanken, was da wohl passiert sein mag.
Das ist richtig. Deshalb kann man es schon sagen: Für eine erfolgreiche notfallseelsorgerische Tätigkeit sind die eigenen Angehörigen eigentlich nicht weniger wichtig als der Notfallseelsorger selbst.
Interview: Johannes Thomae