Freispruch für den Gastwirt

von Redaktion

Kuriose Zeugenaussagen bei Berufungsverfahren in Traunstein

Traunstein – Es waren schwerwiegende Dinge, die einem Gastronomen aus der Region vorgeworfen wurden. Körperverletzung, ein sexueller Übergriff, Beleidigung und Bedrohung. Wie aber das Berufungsverfahren am Landgericht Traunstein am gestrigen Mittwoch verlaufen würde, damit hätten allerdings wohl die wenigsten gerechnet. Das Verfahren der vierten Strafkammer mit der Vorsitzenden Richterin Andrea Titz startet mit der Sichtung von Überwachungsvideos aus dem Lokal des Angeklagten.

In den Ausschnitten vom Abend des 17. Juni 2023 ist zu sehen, wie die vermeintliche Geschädigte Laura H. (Name von der Redaktion geändert) am Boden sitzt und mit dem Hund des Angeklagten spielt – ihn teilweise auch wegstößt und etwas gröber behandelt. In den nächsten Sequenzen liegt die Frau regungslos auf dem Boden. Er rüttelt an ihr, steht auf, blickt in Richtung Kamera und verändert den Winkel ein wenig, sodass eine Ecke des Lokals nicht mehr sichtbar ist. Anschließend hebt er ihren regungslosen Körper an und hievt sie auf eine Bank im Lokal, welche außerhalb des Kamerabereichs liegt.

Videomaterial
ausgewertet

In der nächsten Sequenz sitzt er neben ihr auf einem Stuhl, später entfernt er sich mit geöffnetem Gürtel wieder. Zu späterer Stunde sieht man, wie Laura H. mit zerzaustem Haar und verrutschtem Shirt aufsteht und sich Richtung Ausgang des Lokals bewegt. Der Angeklagte reicht ihr noch ihre Tasche – dann sind die Aufzeichnungen beendet.

„Man sieht, dass man nichts sieht“, stellt einer der beiden Verteidiger, Harald Baumgärtl, fest. Anders sieht das Laura H., die im Anschluss als Zeugin aussagt. Sie sitzt in einem anderen Raum des Gerichtsgebäudes. Ein Arzt attestierte ihr, dass sie unter Panikattacken, Angst und Schweißausbrüchen leide, sobald sie sich dem Angeklagten nähere. Ihre Aussage wird im Gerichtssaal per Videoschalte übertragen. Ob dieser Aufwand überhaupt nötig ist, sollte sich später noch als fraglich herausstellen.

Sie wollte an besagtem Abend feiern gehen, der Angeklagte habe sie dann allerdings in das Lokal gebeten, um noch Dinge bezüglich ihrer Miete zu klären, da H. zu diesem Zeitpunkt Mieterin in einer seiner Wohnungen war. Dort habe sie dann etwa fünf oder sechs Vodka Bull getrunken. Genau könne sie sich allerdings nicht mehr erinnern. Und es ist nicht die einzige Sache, an die sie sich nicht erinnern kann. Sie wisse nur noch, dass sie mit dem Hund gespielt habe. Dann sei sie „weg gewesen“. Stunden später – als schon keine Gäste mehr im Lokal waren – sei sie aufgewacht. Ihre Hose war offen, wie sie beschreibt. Sie erinnere sich, dass auch der BH offen war, oder dass der Angeklagte ihr diesen aus- und dann wieder angezogen habe. Ganz sicher sei sie sich nicht.

Die Aussage der jungen Frau wirkt wirr. Immer wieder äußert sie sich widersprüchlich. Sie ist sichtlich nervös, fasst sich ständig durch die Haare oder spielt mit ihren Fingern. Was genau passiert ist, als sie nicht bei Bewusstsein war, könne sie nicht sagen. „Ich wurde schon einmal vergewaltigt und da hatte ich das gleiche Gefühl“, erzählt sie. Zur Polizei sei sie nicht gegangen, weil sie sich nicht sicher war, ob das wirklich passiert ist. Die Beamten erfuhren letztlich doch von den vermeintlichen Vorkommnissen an diesem Abend – und zwar durch einen anonymen Brief, wie eine Beamtin der Kriminalpolizei schildert. Dadurch seien die Behörden erst auf den Fall aufmerksam gemacht und so auch die Videoaufnahmen gesichert worden. In dem Brief hieß es, der Angeklagte habe die Frau mithilfe von K.-o.-Tropfen betäubt und sie vergewaltigt.

Laura H. sorgt derweil mit ihren Aussagen immer weiter für Verwirrung. Sie berichtet, wie der Angeklagte mehrmals bei ihr aufgetaucht sei und sie unter Druck gesetzt habe. „Er hat gesagt, er hat sich nicht getraut mich zu vergewaltigen, weil er Angst hatte, dass ich schwanger werde“, sagt die Zeugin. Vonseiten des Angeklagten und der Verteidiger erntet diese Aussage nur Kopfschütteln. Bei Nachfragen der Richterin zur zeitlichen Einordnung kommt H. ins Stocken. Widerspricht sich immer wieder selbst und kann letztlich keine genauen Zeiträume nennen. „Das ist ein bisschen schwer, weil ich vergesse immer schnell Sachen“, sagt sie.

Was sie allerdings nicht vergessen hat: Vor zwei oder drei Monaten war sie noch einmal mit ihren Kindern im Lokal des Angeklagten essen. Dieser lud sie letztlich sogar ein, was sie annahm. Und auch ihren Geburtstag feierte sie 2024 in der Gaststätte – wohl wissend, dass auch der Angeklagte sich dort regelmäßig aufhält. Warum sie dann bei Gericht nicht im Saal erscheinen konnte, wirft Fragen auf. Verteidiger Baumgärtl bezeichnet dies später als „Theater“, Richterin Titz zeigt sich auch wenig begeistert vom Verhalten der Zeugin. Auch die Tränen H.s, die nach mehrmaligem Nachhaken vonseiten der Richterin fließen, können nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen. „Ich denke, wir konnten uns alle ein Bild davon machen, dass das alles ein bisschen eigenartig ist“, sagt Baumgärtl nach der Aussage der vermeintlichen Geschädigten.

Es folgen Aussagen weiterer Zeugen. Doch keiner davon kann Auskunft darüber geben, was an diesem Abend geschehen ist. Im Gegenteil: Die Beweisaufnahme wird von Zeuge zu Zeuge wirrer. Einer berichtet, Laura H. habe in einem anderen Nachtlokal „herumposaunt“, dass mit dem Angeklagten etwas lief. Den Polizeibeamten dagegen habe sie gesagt, sie finde ältere Männer „ekelhaft“ und könne sich das niemals vorstellen. Ein anderer Zeuge kommt wieder mit ganz neuen Geschichten ums Eck, in denen die Angeklagte am selben Abend angeblich mit drei Männern in einem Parkhaus Geschlechtsverkehr gehabt habe. Zudem äußert er kuriose Schilderungen, wie sie einmal nackt mit einem Messer irgendwo umhergelaufen sei.

Etwa genauso wenig zielführend verläuft die Beweisführung beim Tatvorwurf der Beleidigung und Bedrohung. Die Zeugin, die der Angeklagte mit dem Tode bedroht haben soll, zeigt von Beginn der Verhandlung an einen enormen Belastungseifer. Sie hielt nicht hinter dem Berg damit, was sie von dem Angeklagten hält. Betitelt ihn sogar als „Monster“ und fängt sich damit eine Rüge von Verteidiger Baumgärtl ein. Konkrete Angaben dazu, wann und in welchem Zusammenhang die vorgeworfenen Taten begangen wurden, kann sie nicht nennen. Ihre Wut dem Angeklagten gegenüber machte sie allerdings mehr als deutlich.

Die widersprüchlichen Aussagen und die kuriosen Zeugenauftritte in der Verhandlung bewegten letztlich sogar die Staatsanwältin dazu, ihre Berufung zurückzunehmen und auf Freispruch zu plädieren. Damit schließt sie sich den beiden Verteidigern Alexander Kohut und Harald Baumgärtl „ausnahmsweise“ an, wie sie sagt. „Hier passt wirklich nichts zusammen, weswegen man nicht zu einer Verurteilung kommen kann“, sagt Kohut in seinem Schlussplädoyer. „Es gab sehr viel Wirres und eine Vielzahl von Widersprüchen, die letztlich nur ein Ergebnis zulassen: dass hier ein Freispruch ausgesprochen wird“, sagte Baumgärtl im Anschluss an die Verhandlung dem OVB.

Gericht
skeptisch

Ähnlich sehen es auch Richterin Titz und die beiden Schöffinnen. Das Urteil am Landgericht in Traunstein: Freispruch. Das Urteil vom Amtsgericht Rosenheim, welches eine Freiheitsstrafe von drei Jahren festgelegt hatte, wurde aufgehoben. „Wir sind nicht zur Überzeugung gelangt, dass es die Taten tatsächlich gegeben hat“, sagt Richterin Titz. Es gebe Umstände, die skeptisch machen – wie etwa das Verdrehen der Kamera – dies beweise aber nicht, dass etwas passiert sei.

Titz sagte in ihrer Urteilsverkündung auch, dass man dem Angeklagten keine Reinwaschung geben wolle. Es gebe allerdings keine Beweise, dass ein sexueller Übergriff oder eine Körperverletzung durch Verabreichen eines Betäubungsmittels stattgefunden habe. Das bestätigte auch die Gutachterin, die die Haare der Laura H. analysiert hatte. „Es ist mir wichtig zu sagen, dass hier nicht ein Freispruch zweiter Klasse erfolgt, sondern es ist definitiv nachgewiesen, dass unser Mandant unschuldig gewesen ist“, macht Baumgärtl nach der Urteilsverkündung klar.

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