Brannenburg – So eine gewaltige Summe hatte es in der über 30-jährigen Geschichte der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ noch nie gegeben. Im Jahr 2020 spendeten die Leser 1,23 Millionen Euro für den Erweiterungsbau des Caritas „Haus Christophorus“ in Brannenburg. Jetzt trägt dieses einzigartige soziale Engagement Früchte. Der Neubau ist mit Leben erfüllt. 14 Menschen mit schweren, lebenslangen Handicaps fanden hier ein neues Zuhause. Sieben von ihnen sind am vergangenen Dienstag in Brannenburg eingezogen.
Spendenrekord in
der Corona-Krise
Doch was macht das „Haus Christophorus“ so außergewöhnlich, dass eine Spendenaktion alle Rekorde brechen konnte? Noch dazu in der schlimmsten Phase der Corona-Krise, in der viele Familien von Kurzarbeitergeld leben mussten und keiner wusste, ob er seine Arbeit behalten würde.
„Unser Haus ist eine spezialisierte Einrichtung für Menschen mit schwersten körperlichen und geistigen Behinderungen, die eine intensive medizinische und pflegerische Betreuung bis hin zur palliativen Begleitung brauchen“, erklärt Einrichtungsleiterin Alexandra Huber. Dazu gehören Babys, Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. An 365 Tagen im Jahr werden sie rund um die Uhr von einem multiprofessionellen Team versorgt, das ihnen durch kompetente und liebevolle Begleitung Lebensqualität und Freude schenkt.
2020 war der Betreuungsbedarf für schwerst mehrfach behinderte Minderjährige so groß, dass in Brannenburg dringend zusätzliche Plätze gebraucht wurden. Deshalb unterstützten die OVB-Leser mit ihrer Spendenaktion den Bau eines neuen Gebäudes, in dem Lebensraum für weitere sieben Kinder und Jugendliche sowie eine Außenklasse der Caritas Philipp-Neri-Schule im Heilpädagogischen Zentrum (HPZ) Rosenheim entstehen sollten.
Begrenzte
Lebenserwartung
Doch seitdem hat sich vieles verändert, nicht nur durch die Corona-Pandemie. „Unsere Bewohner dürfen ein Leben lang bei uns bleiben“, erklärt Alexandra Huber. Doch wie lang ein Leben währt, ist nicht vorhersehbar. 28 Bewohner sind in Brannenburg erwachsen geworden. So auch eine junge Frau, die 1981 mit vier Jahren ins „Haus Christophorus“ kam und heute 48 Jahre alt ist.
Doch nicht allen Kindern ist dieses Glück vergönnt. Sie haben eine begrenzte Lebenserwartung. Und niemand weiß im Voraus, wann der Tag kommt, an dem sie diese Welt wieder verlassen. „In den vergangenen fünf Jahren mussten wir leider von acht unserer Kinder Abschied nehmen“, bedauert Alexandra Huber. „Und auch Kinder, die schon auf der Warteliste für unser Haus standen, sind bedauerlicherweise noch vor ihrem Einzug gestorben.“
Gleichzeitig sank die Nachfrage nach Betreuungsplätzen. Schwangerschaften dürfen bei medizinischen Hinweisen auf Behinderungen des ungeborenen Kindes abgebrochen werden. „Durch die verbesserte Pränataldiagnostik ist die Zahl der Kinder mit angeborenen Behinderungen zurückgegangen“, erklärt Petra Schubert, beim Caritasverband der Erzdiözese München und Freising für Teilhabe und Inklusion verantwortlich. Auch aus diesem Grund wird eine zusätzliche Kindergruppe in Brannenburg zum jetzigen Zeitpunkt nicht gebraucht.
„Leider fehlt für die medizinische und pflegerische Versorgung mehrfach beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher mit intensiven pflegerischen und medizinischen Anforderungen oft auch geeignetes Personal“, informiert Petra Schubert. Der fachliche Anspruch ist hoch, die Verantwortung enorm. Hinzu kommt die emotionale Belastung, Kinder mit begrenzter Lebenserwartung zu pflegen und möglicherweise auch im Sterben begleiten zu müssen.
„Immer wieder ist der Fachkräftemangel in Brannenburg groß“, berichtet Alexandra Huber. Doch auch diese schwierigen Phasen hat das Team des „Haus Christophorus“ immer gemeistert. „Weil alle mit Herz und Seele dabei sind, ihren Beruf und unsere Bewohner lieben.“
Individuell
gestaltete Zimmer
Heute leben in Brannenburg 45 Bewohner in zwei Kinder- und fünf Erwachsenengruppen. Eine Kindergruppe ist im Erdgeschoss des Neubaus eingezogen. Die Eröffnung eines weiteren Wohnbereiches für Kinder und Jugendliche im Bestandsbau ist für Anfang kommenden Jahres geplant.
Neben sechs individuell gestalteten Kinderzimmern sind im Neubau ein modernes Pflegebad, ein Snoezelen-Raum – also ein Raum der Sinne – und ein Büro entstanden. Das Leben spielt sich im gemütlich eingerichteten Wohnbereich mit offener Küche, großem Familientisch, Kuschelecken, Hochbetten und viel Bewegungsraum ab. Im Souterrain des Neubaus wurde ein großer Veranstaltungsraum fürs ganze Haus geschaffen.
„Der Schutzbedarf unserer Kinder in Brannenburg ist enorm hoch“, erläutert Alexandra Huber. Durch ihre schwerst mehrfachen Behinderungen brauchen sie eine intensive medizinische und pflegerische Versorgung. Keiner der kleinen Bewohner kann sprechen. Jeder macht sich mit Gestik und Mimik verständlich. Die Kinder können sich nicht allein bewegen. Einige sind blind. Viele werden künstlich ernährt. Die meisten brauchen lebenserhaltende Medikamente, manche auch eine Sauerstofftherapie. „Und alle sind sie auf eine besonders intensive Fürsorge und Obhut angewiesen“, beschreibt Alexandra Huber.
Die Räume für Therapien und Förderungen der Kinder befinden sich im angrenzenden Bestandsbau. Hier ist auch die „kleine Fördergruppe“ beheimatet, die während der Corona-Pandemie entstand und bei den Kindern sehr beliebt ist. „Für die geplante Außenschulklasse fehlen aktuell leider die Lehrkräfte. Deshalb fördern unsere eigenen Mitarbeiterinnen unter der Anleitung von Lehrkräften der Philipp-Neri-Schule hier unsere schulpflichtigen Kinder“, ist Alexandra Huber dankbar für die sonderpädagogische Unterstützung.
Im Juni 2024 war der Erweiterungsbau fertig, konnten sieben Kinder ihren Wohnbereich im Erdgeschoss beziehen. Doch nun stellten sich neue Fragen: Wie den zweiten Wohnbereich in der oberen Etage mit weiteren sieben Plätzen, Wohn- und Wohlfühlbereichen belegen? Und woher die dafür erforderlichen Fachkräfte nehmen?
Zum einen lagen keine Anfragen vor, zum anderen gab es nicht ausreichend Personal für eine zusätzliche Kindergruppe. Eine schwierige Situation für die Einrichtung.
Erst ein Jahr später zeichnete sich eine Lösung ab. Das Caritas „Haus Schonstett“ für Menschen mit Behinderungen – ein ehemaliges Lungensanatorium – war in die Jahre gekommen. Trotz regelmäßiger Sanierungen – zuletzt im Jahr 2013 für rund vier Millionen Euro – entsprachen Gebäude und Schlosspark nicht mehr dem Anspruch an Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen. „Deshalb entschied der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising im März 2025, die Einrichtung in Schonstett zu schließen und das Angebot zu verlagern, damit an anderer Stelle etwas gutes Neues entstehen kann“, blickt Petra Schubert zurück, die als Regionalleitung auch für die Einrichtung in Schonstett verantwortlich ist.
Für alle Bewohner und Mitarbeiter wurden alternative Lösungen gesucht. Und so entstand auch die Idee, dass ein kleiner Teil der Schonstetter Bewohner in Brannenburg ein neues Zuhause finden könnte. Intensive Gespräche begannen. Zuerst mit den Spenden gebenden Organisationen wie dem OVB. Sie sendeten positive Signale, die Pläne weiter zu verfolgen. Dann wurden Mitarbeiter und Bewohner von Schonstett sowie deren Angehörige oder gesetzliche Betreuer einbezogen. Im Sommer besichtigten sie das „Haus Christophorus“. Einzelne Bewohner kamen sogar zum Probewohnen.
Schnell war klar, dass eine komplette Schonstetter „Großfamilie“ zusammenbleiben und nach Brannenburg umziehen möchte: sieben Bewohner und zehn Mitarbeiter. Im intensiven Austausch mit den Aufsichtsbehörden und Zuschussgebern wie dem Landratsamt, der Regierung von Oberbayern und dem Regierungsbezirk wurden dafür die Weichen gestellt. Im August begannen die Umzugsvorbereitungen.
Am vergangenen Dienstag sind acht Menschen mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen in Brannenburg eingezogen. Sieben von ihnen haben ihr neues Zuhause im Neubau gefunden. Für eine Bewohnerin wurde in einer Erwachsenengruppe im Bestandsbau ein Zimmer eingerichtet. „Das ist eine Win-win-Situation für alle“, ist Regionalleiterin Petra Schubert glücklich.
Diese „Ideallösung“ stärkt nicht nur die Einrichtung in Brannenburg. Vor allem die Bewohner profitieren davon: Sie behalten ihr bekanntes menschliches Umfeld – also ihre Großfamilie – und bekommen ein neues Zuhause. In Brannenburg wohnen sie in modernen Zimmern mit Aussicht auf Wiesen, Weiden und Berge. Mit einem gemütlichen Wohnbereich mit Küche und Familientisch, Sofas und Fernsehecken, Wellnessbädern und einem Entspannungsraum erleben sie modernen Komfort, verbunden mit viel Behaglichkeit und einer warmen Atmosphäre.
Nicht alle Arbeiten
abgeschlossen
2021 wurde das Baubuch „Haus Christophorus“ geöffnet. Und auch vier Jahre später ist es nicht an der Zeit, es zu schließen, denn noch sind nicht alle Arbeiten abgeschlossen. „Wir haben auch die Bestandsgebäude umfassend saniert, Heizung und Elektrik erneuert, die Förderbereiche für Kinder und Erwachsene neu gestaltet sowie eine Wohngruppe vergrößert, das ganze Haus frisch geweißelt und die Außenanlagen neu gestaltet“, erläutert Alexandra Huber. „Davon profitieren alle Bewohner und Mitarbeiter.“ Insgesamt investiert der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising circa 8,5 Millionen Euro in das Projekt, darunter sind auch Zuschüsse und Spenden.
„Dass sich unser Haus unter den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen zukunftsfähig aufstellen konnte, verdanken wir auch den OVB-Lesern“, betont Alexandra Huber. „Sie haben mit ihren Spenden den Grundstein dafür gelegt, dass noch mehr Menschen trotz schwerster, unheilbarer Behinderungen in einem speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Umfeld glücklich sein dürfen.“
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