Der Kampf um Rosenheims Westtangente

von Redaktion

Jahrhundertprojekt vor der Eröffnung: Daniela Ludwig mit „Schmetterlingen im Bauch“

Rosenheim – Ein Vibrieren dringt durch die Sohlen, der Boden beginnt zu zittern. In diesem Moment rollt eine Straßenwalze vorbei, eingehüllt in die Dampfschwaden des heißen Asphalts, den sie gerade glättet. Daniela Ludwig fühlt sich emotional gepackt. „Jetzt, kurz vor der Eröffnung, habe ich Schmetterlinge im Bauch“, sagt sie und blinzelt in die Sonne eines schönen Spätsommertags.

Daniela Ludwigs Hände liegen auf dem Griff eines Spatens, der kaum Spuren der Benutzung trägt. Es ist das Werkzeug des symbolischen ersten Aktes der Westtangente, des ersten Spatenstichs, damals, im August 2012. Und nun, in den Händen der Rosenheimer Bundestagsabgeordneten, ist er an den Ort des Geschehens zurückgekehrt. Pünktlich zum letzten Akt: Mit dem Auftrag der schwarzen Teer-Masse auf die schmale Brücke für landwirtschaftlichen Verkehr und Fußgänger bei Wernhardsberg sind die Arbeiten so gut wie abgeschlossen. Am 17. September 2025 soll das allerletzte Teilstück der Rosenheimer Umfahrung eröffnet werden.

Spaten im
Büro aufbewahrt

Spaten und Asphalt, Anfang und Ende: Daniela Ludwig hat den Spaten all die Jahre aufbewahrt, in ihrem Büro. Als Andenken an das Projekt, das sie angetrieben hat wie kaum ein anderer: die Entlastung Rosenheims vom Durchgangsverkehr. Es ist das Thema ihrer politischen Laufbahn, wenn man so will. „So viele Gespräche, so ein Ringen um die Finanzierung und um jedes Bauwerk, eine so große Betroffenheit in der Region“, sagt sie. „Deshalb habe ich mir auch den Spaten vom Spatenstich mitgenommen.“ Die Vorgeschichte reicht weit zurück. Seit den 70er-Jahren machte man sich Gedanken. Und man ließ sich Zeit. Ersann Lösungen, die sich als Sackgassen erwiesen, stritt und diskutierte. Noch 2009 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Klagen gegen die Westtangente zurück.

Der Druck wuchs derweil. Unterm Strich kam auch viel Zustimmung. Anders als beim Projekt des Brenner-Nordzulaufs. Dann kam das Jahr 2012. Und damit eine historische Gelegenheit. Der Verkehrsminister hatte eine Investitionsoffensive angekündigt, die „Ramsauer-Milliarde für Verkehr“. Das Problem: Die Westtangente stand nicht auf der Liste für die Milliarde. Noch nicht.

Daniela Ludwig wirkt noch heute begeistert, wenn sie sich an eine gewisse gemeinsame Fahrt mit Peter Ramsauer erinnert. Sie entführte ihn absichtsvoll in die Rosenheimer Rushhour. Stau auf der Prinzregentenstraße, die Autos Stoßstange an Stoßstange, „man erinnert sich ja gar nicht mehr daran“, sagt sie und lacht.

Heute kann man darüber meistens lachen, damals war das nicht so lustig. Und wenn Politik auch die Kunst ist, etwas zu veranschaulichen, es sichtbar und anfassbar zu machen, dann legte sie damals ein Lehrstück vor: Rosenheims Verkehrsprobleme waren dem Verkehrsminister nicht besser nahezubringen als vom Auto aus.

Als der Minister weich wurde, setzte sie ihm weiter zu: „Du als alter Traunsteiner und als Kunde des Einzelhandels…“ Kurz darauf erhielt Ludwig den irritierten Anruf eines Staatssekretärs: „Ich weiß nicht, was du gemacht hast, dass jetzt auf einmal die Westtangente drinsteht.“

Dann sei eine SMS gekommen: „Grüner Haken hinter der Westtangente“, erzählt Ludwig. „Da haben wir im Büro einen Piccolo aufgemacht.“

In Bayern kamen damals nur drei Projekte auf die Liste. Es sei dem Drängen von Daniela Ludwig zu verdanken gewesen, „dass die Westtangente zum Zug gekommen ist“, sagte Peter Ramsauer beim Spatenstich am 27. August 2012.

Die Bauarbeiten verzögerten sich, die Kosten stiegen. Nicht zuletzt wegen des Seetons, dieses schwammigen Untergrunds, der Ingenieuren regelmäßig die Planung verhunzt. Bernhard Gehrmann, seit vier Jahren Projektleiter, kann sich noch gut an das Zittern um die Planungen für die Aicherparkbrücke erinnern.

Erst spät habe sich nach Probebohrungen die grundsätzliche Machbarkeit herausgestellt. Es ging also voran. So wie mit der ganzen Tangente, obwohl doch zu befürchten war, dass das Projekt aus Sparsamkeit nach Fertigstellung eines Teilstücks einschlafen könnte. 2023 wurde die 670 Meter lange Brücke eingeweiht, als vorletzter Abschnitt der insgesamt 11,3 Kilometer langen Umgehung.

Ebenso schwierig waren die Arbeiten bei Wernhardsberg, dort, wo die Westtangente unter dem Bahndamm hindurchführt. Dort arbeiteten die Ingenieure vom Staatlichen Bauamt Rosenheim mit Wissenschaftlern der TU München zusammen. Ergebnis: die „Rosenheimer Mischgründung“, ein neuartiges Verfahren für Arbeiten auf schwierigem Untergrund. Solche Lösungen ließen sich auch nur dann finden, wenn „die richtigen Leute zusammenarbeiten“, sagte Gehrmann beim Ortstermin. Dennoch: Die Probleme kosteten Zeit und Geld. Insgesamt stiegen die Kosten nach Angaben des Bauamts von 67 Millionen auf 263,5 Millionen.

Am 17. September nun wird der Abschluss der Arbeiten gefeiert. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wird – wie bei der Eröffnung der Aicherparkbrücke – kommen, desgleichen Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter und viele weitere Gäste aus der Politik.

Am Tag darauf werden die ersten Autos über die nunmehr gänzlich freigegebene Westtangente rollen. Die Freigabe sei für den 18. September, 12 Uhr, geplant, sagt Ursula Lampe vom Bauamt.

Warum nicht direkt nach der Eröffnung? Das Bauamt will nach der Eröffnung aufräumen. Wenn die Politiker weg sind, werden die Verkehrssicherungen an den beiden Anschlussstellen abgebaut, ebenso die Ampel an der Anschlussstelle RO 19, schließlich wird der Wildschutzzaun geschlossen.

Über 4700
Tage Bauzeit

Wenn dann der Straßenmeister alles abgefahren und geprüft hat, wird Spur für Spur eröffnet. Dann ist es so weit. Nach über 4700 Tagen Bauzeit wird der eine Tag nicht mehr ins Gewicht fallen.

Das waren die Schritte zur Westtangente

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