Ein kleines Stolpern, ein kurzer Schmerz

von Redaktion

Interview Rosenheimer Chef-Kardiologe Professor Dr. Christian Thilo über Warnsignale

Rosenheim – Wenn das Herz Probleme macht, läuten in der Regel die Alarmglocken. Umso dringlicher ist es, dann auch zeitnah einen Facharzttermin zu bekommen. Doch das kann sich ziehen. Wie die OVB-Analyse zeigt, kann es bis zu sieben Wochen oder gar noch länger dauern, bis man als Kassenpatient einen Termin beim Kardiologen erhält. Eine Leserin schilderte uns sogar, dass ihr in einer Rosenheimer Praxis im September 2024 ein Termin für April 2026 angeboten wurde. Doch wann sollte man unbedingt schnell zum Arzt – und wann ist ein kleines Stolpern im Herz harmlos? Das und wie die Lage im Romed-Klinikum Rosenheim ist, erklärt der Chefarzt der Medizinischen Klinik I (Innere Medizin – Kardiologie und Angiologie), Prof. Dr. Christian Thilo, im OVB-Interview.

Was sind die häufigsten Herzerkrankungen in der Region?

Nicht nur bei uns, sondern überall in den westlichen Industrienationen sind koronare Herzerkrankung, also Verkalkungen und Engstellen der Herzkranzgefäße, Herzrhythmusstörungen, allen voran das Vorhofflimmern, und Herzschwäche am häufigsten, gefolgt von Herzklappenfehlern.

Welche Symptome sollten Menschen dazu veranlassen, umgehend einen Kardiologen aufzusuchen?

Klassische Symptome sind Brustschmerzen, im Fachjargon Angina pectoris, die sich als dumpfe Schmerzen hinter dem Brustbein äußern und in den linken Arm oder die linke Schulter ausstrahlen können, oder tückisch in den Kiefer oder den Magen. Auch plötzliche Atemnot oder Ohnmacht können ein schweres Krankheitsbild widerspiegeln, das einer umgehenden Abklärung bedarf.

Welche Warnsignale erlauben garantiert kein Abwarten mehr?

Wenn man Richtung verengte Herzkranzgefäße denkt, sollten Brustschmerzen, die unter körperlicher Belastung auftreten, besonders beachtet werden. Und am wichtigsten, wenn die Brustschmerzen nicht mehr verschwinden, muss sofort der Rettungsdienst verständigt werden, da ein Infarkt dahinterstecken könnte und dann jede Minute zählt. Leider zeigt sich die koronare Herzerkrankung meist als erstes mit einem Infarkt, und die Patienten hatten zuvor keine Symptome. Deswegen ist es wichtig, sein Risiko zu kennen. Gab es Herzinfarkte bei Eltern oder Geschwistern, liegt eine Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck oder Diabetes vor? Oder raucht der Patient? Diese Patienten sollten schon früh, zum Beispiel mit 40 Jahren, einen Kardiologen aufsuchen, um künftige Ereignisse zu verhindern.

Thema Warnsignale erkennen: Wie unterscheiden sich harmlose Herzstolperer von ernsthaften Herzrhythmusstörungen?

Extraschläge sind per se nicht gefährlich. Wachsam muss man werden, wenn die Extraschläge sehr häufig, teils hintereinander auftreten oder unter Belastung zunehmen. Oder wenn die Extraschläge Beschwerden bereiten wie Schwindel, Atemnot oder gar kurze Bewusstseinsstörungen, die sogenannte Synkope.

Welche Rolle spielt der Lebensstil bei der Prävention von Herzkrankheiten, und welche Tipps würden Sie Betroffenen geben?

Ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen und gesunden Fetten ist gut für das Herz. Regelmäßige körperliche Aktivität ist wichtig und in unserer wunderbaren Region ganzjährig möglich. Und wenn es nur ein täglicher Spaziergang am Inndamm oder im Wald ist. Grundsätzlich sollte ein Herzgesunder dreimal pro Woche für mindestens 20 Minuten Ausdauersport treiben.

Gibt es spezielle Risikofaktoren, die Menschen in der Region besonders beachten sollten?

Die sehe ich nicht. Gerade bei uns mit den vielen Freizeitmöglichkeiten hat man doch die Chance, gesund zu leben und Stress abzubauen.

Wie sieht die aktuelle Auslastung der Kardiologie-Abteilung in den Romed-Kliniken aus? Macht es sich bei Ihnen bemerkbar, dass die Wartezeiten bei Kardiologie-Praxen enorm lang sind?

Wir sind trotz der Sommerferien auf den Stationen sehr gut ausgelastet und auch aufgrund des 2024 in Betrieb genommen dritten Herzkatheterlabors jederzeit für Infarkte aufnahmebereit.

Welche Auswirkungen hat die Auslastung auf die Wartezeiten für Patienten mit Herzbeschwerden?

Das Problem betrifft leider nahezu alle Fachärzte, nicht nur die Kardiologen. Letztlich bedeutet es für die Hausärzte, die die Wartezeiten auffangen und überbrücken müssen, sehr viel Arbeit.

Aber obwohl die niedergelassenen Kardiologen voll ausgelastet sind, haben wir in unserem Rosenheimer Herzschwäche-Netzwerk vereinbart, dass Patienten mit akuter Herzschwäche innerhalb weniger Tage nach Entlassung aus der Klinik einen Termin bekommen. Außerdem hat der Hausarzt bei besonders dringlichen Fällen die Möglichkeit einer Akutüberweisung zum Kardiologen.

Haben Sie ein Erlebnis aus Ihrer Praxis, das die Wichtigkeit schneller medizinischer Reaktion bei Herzproblemen verdeutlicht?

Eigentlich jeden Tag. Bei Infarkten ist der Faktor Zeit bis zur Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes besonders wichtig. Wenn alles optimal funktioniert, von der EKG-Diagnose am Einsatzort bis zum umgehenden Herzkathetereingriff, und wir am nächsten Tag feststellen, dass am Herzen trotz Infarkts kein Schaden entstanden ist, dann ist das insbesondere für den Patienten sehr wertvoll.

Inwiefern hat sich die Behandlung von Herzerkrankungen in den vergangenen Jahren weiterentwickelt?

Da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Behandlung von akuten Herzinfarkten wird im Rahmen von Infarkt-Netzwerken, bei uns das Herzinfarktnetzwerk Rosenheimer Land, geregelt. Alle Patienten der Region mit akutem ST-Hebungsinfarkt – also einem vollständigen Verschluss einer Koronararterie – werden unter Umgehung von Krankenhäusern, die über keinen Herzkatheter verfügen, direkt in unser Herzkatheterlabor gebracht. Das hat große Vorteile für die Prognose der Patienten. Bei der Behandlung von Herzschwäche sind wir im Herzinsuffizienz-Netzwerk Rosenheim organisiert.

Das hilft, dass die Patienten die neuen hochwirksamen Medikamente bekommen und auch zeitnah Termine beim Facharzt erhalten. Und es gibt große Fortschritte bei der Behandlung von Herzklappenerkrankungen über die Leiste, ein neues Verfahren zur effizienteren Therapie von Vorhofflimmern und immer bessere, winzig kleine Herzschrittmachersysteme.

Interview: Patricia Huber

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