Traunstein – Es erinnert an eine Mischung aus einem Chemie-Baukasten und der Bestellliste einer Apotheke. Die Mischung an Drogen und Medikamenten, die in Marcel K.s (25) Urin festgestellt wurde, ist nur ein kleiner Einblick in seinen Werdegang, der ihn am Donnerstag, 11. September, vor das Landgericht Traunstein führte. Der junge Mann mit den kurzgeschorenen Haaren wirkt etwas bedröppelt, als er mit Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal schlurft. Obwohl er über 1,90 Meter groß ist, sieht er zusammengesackt aus. Seine Schultern hängen fast genauso sehr wie sein schlabberiges graues Sweatshirt. Den Kopf hat er die meiste Zeit nach vorne gesenkt.
Mehrere
Versuche
Er ist geständig. Marcel K. räumt ein, was ihm vorgeworfen wird. Nämlich, dass er am 19. März 2025 in Rosenheim gleich zwei Raubüberfälle begangen hat. Zunächst bedrohte er eine Mitarbeiterin eines Kiosks am Salinplatz mit einem Messer und forderte sie auf, Geld herauszugeben. Sie verweigerte dies, woraufhin er ohne Beute wieder abzog.
Daraufhin wagte er einen weiteren Versuch und begab sich dafür ins Rosenheimer Stadtcenter. Dort habe er zunächst einen Textil-Discounter und einen Drogeriemarkt besucht. „Da waren viele Leute“, sagt er vor Gericht aus. Daher sei er in Richtung des Backshops im Stadtcenter gegangen, wo er kurzerhand hinter den Tresen trat. Dort habe er laut Anklage die Inhaberin des Backshops aufgefordert, Geld herauszugeben, und sie bedroht, sie „abzustechen“, sollte sie der Aufforderung nicht nachkommen. Hier grätschte der Angeklagte dazwischen: „Von Abstechen habe ich nichts gesagt. So bin ich nicht“, behauptet er vehement.
Dass er zum Tatzeitpunkt aber unter dem Einfluss diverser Medikamente und Drogen wie Alkohol und Kokain stand und wohl nicht ganz bei Sinnen gewesen sei, räumt Marcel K. ein. Schließlich erbeutete er mehrere Hundert Euro, zog sich in einer Tiefgarage um, machte sich dann auf den Weg zu einer Tankstelle und kaufte dort nach eigenen Angaben Tabak und Zigaretten, ehe er von der Polizei festgenommen wurde.
Doch was bewog den jungen Mann zu dieser Tat? Er habe sich häufiger im Salingarten in Rosenheim aufgehalten, berichtet er vor Gericht. Er habe dort Drogen gekauft und konsumiert. Am Tattag habe er fünf bis sechs Bier getrunken und schon am Morgen Kokain konsumiert. Gegen Mittag dann der Vorfall, der ihn zu den Raubüberfällen bewegt habe:
„Mich hat einer im Park mit einer Pistole bedroht. Dem habe ich noch 100 Euro geschuldet“, schildert der 25-Jährige. Aus Angst vor diesem Mann, einem Dealer, wie er berichtet, habe er sich das Messer gekauft und schließlich die Raubüberfälle begangen.
Dass die Drogen im Leben von Marcel K. schon lange eine große Rolle spielen, wird spätestens dann klar, wenn es um seinen bisherigen Lebenslauf geht. Im Alter von sechs Jahren sei bei ihm ADHS diagnostiziert worden. Seitdem nehme er die entsprechenden Medikamente dagegen.
Mit etwa zwölf Jahren habe er angefangen, Alkohol zu trinken. Im Alter von 16 bis 17 Jahren kamen Cannabis und weitere Drogen wie Ecstasy, Kokain, Opiate und diverse Medikamente hinzu. Es folgten eine Depression, der Rauswurf aus dem Elternhaus, später auch aus einer Obdachlosenunterkunft sowie diverse Vorstrafen, eine Ersatzfreiheitsstrafe und abgebrochene Ausbildungen.
„Ich habe viel Scheiß gemacht, als ich jung war“, gesteht Marcel K. Die Vorstrafenliste ist ebenso lang, wie die Liste der konsumierten Drogen. Marcel K. wagte Versuche von Entzug und Therapie – ohne Erfolg. „Sie haben also in Ihrem Leben bisher nichts auf die Reihe bekommen“, fasst der Vorsitzende Richter, Andreas Bartschmid, zusammen.
Doch nun solle sich das ändern, wenn man seinen Worten vor Gericht Glauben schenken mag. „Ich glaube, dass ich bei dem Überfall sogar wollte, dass ich in den Knast komme, damit ich von den Drogen wegkomme“, sagt er vor Gericht aus. Seit er in Haft sei, gehe es ihm „super“.
In seinen Entschuldigungsbriefen an die beiden Mitarbeiterinnen, die er bedroht und überfallen hatte, schreibt er: „Ich war in diesem Zeitraum sehr drogensüchtig und auf verschiedenen Drogen. Im richtigen Leben bin ich ein sehr netter Mensch. Es tut mir sehr leid, dass ich Sie so erschreckt und bedroht habe.“ Der psychiatrische Gutachter Dr. Franz Xaver Obermaier diagnostiziert bei Marcel K. eine dissoziale Persönlichkeitsentwicklung, die sich durch sein ganzes Leben gezogen habe. Er schätzt die Wiederholungsgefahr solcher Taten aufgrund seiner Drogenabhängigkeit, des damit verbundenen Kostenaufwands und diverser weiterer Gründe wie dem Fehlen stabiler Beziehungen oder seiner Liste an Vorstrafen als recht hoch ein. „Zu befürchten sind vergleichbare Taten“, sagt Obermaier. Auch die Therapieaussichten schätzt er nicht allzu gut ein. Dennoch sei klar, dass Marcel K. eine Behandlung benötige.
Dass er Hilfe benötige, ist auch der Staatsanwältin und dem Verteidiger Alexander Kohut klar, wie sie in ihren Plädoyers deutlich machen. Dennoch: Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Paragraf 64 Strafgesetzbuch (StGB) komme im Fall von Marcel K. nicht infrage.
Die Chance darauf hat er sich auch spätestens mit seinem letzten Wort verspielt. „Ich möchte mich bessern. Und wenn ich eine Therapie machen könnte, wäre das gut“, sagte er zwar. Schloss aber an: „Wenn Sie meinen, ich halte das nicht durch, ist das so. Wenn dann wieder am Mittagstisch von Drogen gesprochen wird, könnte es sein, dass ich wieder abbreche oder abhauen will.” Trotz des Geständnisses des Angeklagten – sogar am Tattag gegenüber der Polizei, der erkennbaren Reue und der geringen Ausbeute fordert die Staatsanwältin eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren.
Kohut wirft in seinem Plädoyer noch den Paragrafen 21 StGB in den Raum, der „Im Zweifel für den Angeklagten“ zur Verwendung kommen sollte. Denn Obermaier zufolge sei eine verminderte Schuldfähigkeit nicht ganz auszuschließen. Der Verteidiger fordert für seinen Mandanten eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.
Therapie
vonnöten
Das Gericht kommt schließlich zu einem Urteil von einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung. Eine Strafmilderung über Paragraf 21 sieht das Gericht in diesem Fall nicht, da keine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit vorliegt. Dass es aber einer Therapie bedarf, bestätigt auch das Gericht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.