München/Aschau – Will man in der Kanzlei an der Neuhauser Straße in München zu Regina Rick, kommt man an Momo nicht vorbei. Die acht Jahre alte Rottweiler-Dame trottet in den Warteraum und nimmt sich gleich mal den Besucher vor, der in wenigen Minuten einen Termin bei der Strafverteidigerin hat.
Rottweiler haben eine beeindruckende Größe und noch beeindruckendere Kiefer. Aber – keine Angst: Momo ist im Normalfall eine sehr freundliche Empfangsdame und schon nach wenigen Streicheleinheiten zufrieden gestellt. Versteht man Regina Rick besser, wenn man ihre Zuneigung zu Momo betrachtet? Sie selbst zieht Parallelen. „Momo hat einen guten Beschützerinstinkt“, sagt die Anwältin.
„Niemand bringt sie aus der Ruhe.“ Und, mit dem Anflug eines Grinsens: „Wir sind beide kurz und stämmig.“ Auch Bewunderer von Regina Rick sehen Ähnlichkeiten. „Beide sind entschlossen, und Regina Rick wohl noch angriffslustiger als ihre Hündin“, sagte Rechtsanwaltskollegin Carolin Arnemann in ihrer Laudatio bei der Verleihung der Auszeichnung „pro reo“ („für den Angeklagten“) im November 2023.
Regina Rick arbeitet seit 25 Jahren als Strafverteidigerin. Ihr ist Bemerkenswertes gelungen. Noch nie zuvor in der Geschichte des Freistaats Bayern war ein zweimaliger Schuldspruch wegen Mordes in einer Wiederaufnahme durch einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld aufgehoben worden. Rick schaffte genau das im Fall Genditzki. Der Hausmeister Manfred Genditzki war 2010 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er sollte eine 87-jährige Rentnerin ermordet haben.
Urteil wegen
Fehler aufgehoben
Nach der Aufhebung dieses Urteils wegen eines Fehlers im Verfahren wurde er 2012 abermals verurteilt. Die Revision blieb erfolglos, nicht aber die beharrlich betriebene Wiederaufnahme. Aus der neuen Hauptverhandlung ging Genditzki im Juli 2023 als freier Mann hervor – wegen erwiesener Unschuld. Und das nach über 13 Jahren im Gefängnis. Auch den „Eiskeller-Prozess“ hat sie auf Neustart gestellt. Nach der Verurteilung von Sebastian T. wegen Mordes an Hanna W. in Aschau am 3. Oktober 2022 hat sie zusammen mit Dr. Yves Georg aus der Hamburger Kanzlei Schwenn die Revision durchgeboxt.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass ihr Befangenheitsantrag gegen die zweite Kammer des Jugendgerichts nicht von der ersten Kammer hätte abgelehnt werden dürfen.
Regina Rick wurde mit diesen Fällen deutschlandweit bekannt. Selbstbewusst war sie davor schon. „Ich habe keine Angst vor Konflikten“, sagt sie. In der Tat geht sie Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg. Rick wirkt getrieben, angespornt von ihrem Misstrauen gegen Richter und Staatsanwälte des Freistaats. Sie werde „zornig“ wegen des Leids, das die bayerische Justiz oft verursache, sagte sie mal in einem Interview.
Weil sie sich auf einer Mission sieht, überzieht sie Gerichte mit Beweisanträgen, spielt auf der Klaviatur der Medien, nutzt das Aufsehen, das der eben freigelassene Manfred Genditzki im „Eiskeller-Prozess“ mit seinem Erscheinen im Besucherbereich des Großen Saals des Landgerichts Traunstein erregt.
Dass die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler sie nach dem Urteil im Fall Hanna wegen ihres aggressiven Vorgehens eine „Gefahr für den Rechtsstaat“ nannte, lässt sie zumindest äußerlich ungerührt. „Ich muss nicht gemocht werden“, sagt sie.
Ihr Auftreten vor Gericht provoziert und polarisiert. Ihre eigentlichen Stärken liegen woanders: Fleiß und Ausdauer. „Die lächelnde Hartnäckigkeit in Person“, hat sie ein berühmter Kollege genannt, der Revisionsspezialist Gerhard Strate. „Dr. Yves Georg ist ein Sprach-Ajatollah“, sagt sie selbst, „ich bin der Akten-Ajatollah.“ Sie entdeckte in Nebenakten des Eiskeller-Prozesses einen vertraulich wirkenden E-Mail-Austausch zwischen Richterin und Staatsanwalt. Eine Kommunikation an der Verteidigung vorbei? „Mauschelei“, sagte sie damals – und reichte einen Befangenheitsantrag ein. Den Befangenheitsantrag wies die Erste Jugendkammer zwar ab. Doch der Bundesgerichtshof war mit dieser Ablehnung nicht einverstanden und gab der Revision statt. Der Punkt ist der: Die meisten – manche sagen: die allermeisten – Verteidiger hätten Nebenakten nicht so akribisch unter die Lupe genommen. So jedoch wurde der Fall ans Landgericht Traunstein zurückverwiesen. Am 29. September beginnt die Neuauflage. Es dürfte schwierig werden, Sebastian T. einen Angriff nachzuweisen.
Die Verurteilung von Sebastian T. im ersten Prozess hing ja doch vor allem an der Aussage eines umstrittenen Zeugen, des Mithäftlings Adrian M. Der sei jedoch nicht glaubwürdig, stellte ein Gutachten fest, das vom Landgericht bald nach der Entscheidung des BGH in Auftrag gegeben worden war. Dass die Erste Jugendkammer daraufhin die U-Haft für den Angeklagten Sebastian T. aufhob, sehen viele Prozessbeobachter als klares Vorzeichen in Sachen Freispruch.
20 Prozesstage
sind angesetzt
Doch das allein wird Regina Rick nicht genügen. Über 20 Prozesstage sind angesetzt, „und die werden wir auch brauchen“, meint sie. Ein Freispruch mangels Beweisen? Das würde nicht für Beruhigung in Aschau sorgen, glaubt sie. Und der Schatten des Zweifels würde weiter auf der Familie des Angeklagten lasten. Nichts für Rick. Sie will, dass sich das Gericht von ihrer Unfalltheorie überzeugen lässt.
Sie lässt nicht locker, Stunde um Stunde hat sie die Prien abgesucht, nach Stellen, wo sich Hanna am 3. Oktober 2022 ihre schweren Verletzungen zugezogen haben könnte.
Dem Gericht will sie Videos präsentieren, dazu Gutachten. Sie will Sebastian T. mit blütenreiner Weste aus dem Gerichtssaal schreiten sehen. „Wir streben einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld an“, sagt sie. Sie ist sich ihrer Sache sicher. Fotos von Sebastian T. werden auf ihre Bitten hin unverpixelt gezeigt. „Er hat keinen Grund, sich zu verstecken“, sagt Regina Rick. „Er hat nichts falsch gemacht – außer mit der Polizei zu reden.“