„Den Nordzulauf gibt es bereits“

von Redaktion

Italien und Österreich feiern den Durchbruch beim Brennerbasistunnel, aus Deutschland kommen Glückwünsche. Auch aus Rosenheim. Warum aber geht bei den Planungen zum Brenner-Nordzulauf nichts voran?

Rosenheim – Gefeiert wurde auf der Passhöhe des Brenners, gearbeitet fast zwei Kilometer Luftlinie entfernt und unter 1400 Metern Felsgestein: Am Erkundungsstollen, gelegen genau unter der Geigenspitze, ereignete sich am vergangenen Donnerstag der Durchstich im Brennerbasistunnel. Damit sind Italien und Österreich tunneltechnisch miteinander verbunden und der Fertigstellung des Brennerbasistunnels einen großen Schritt nähergekommen.

Reaktionen kamen auch aus der Region Rosenheim. Etwa von Lothar Thaler von der Bürgerinitiative Brennerdialog: „Glückwunsch zum Tunneldurchbruch!“ Es ist ein allerdings doppelsinniger Glückwunsch. „Endlich geht was in Österreich“, fährt Thaler fort. Während Deutschland seine Hausaufgaben gemacht habe, gehe der Brennerbasistunnel voraussichtlich mit 17 Jahren Verspätung in Betrieb.

Tirol kritisiert Bayern für Verzögerung

Das werden die Tiroler anders sehen. Zuletzt warf René Zumtobel, der für Verkehr zuständige Landesrat in Tirol, den Deutschen vor, sich zu viel Zeit zu lassen. „Ich habe eine gewisse Sorge, ob der Brenner bei all den Herausforderungen wie der Rüstung und der Sicherheit noch die Wertigkeit hat, die er eigentlich haben sollte“, sagte Zumtobel im OVB-Exklusivgespräch. Österreich habe bereits zwei Drittel seiner Nordzulaufstrecke gebaut, nun seien nur noch die letzten 20 Prozent übrig. „Und da müssten wir langsam wissen, wie Bayern nun plant.“

Die BI sei für den Brenner-Nordzulauf, hatte wiederum Lothar Thaler erst wenige Tage zuvor im OVB-Interview betont. Worin er mit Zumtobel, aber auch weiten Teilen der deutschen Politik und den Planern der Bahn nicht übereinstimmt, ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Neubaustrecke. Bayern habe bereits einen Nordzulauf für den Brennerbasistunnel, und das sei die Bestandsstrecke. Diese Bestandsstrecke von München über Rosenheim durchs Inntal müsse ertüchtigt werden, dazu müsse sie die Ausbaustrecke ABS 38 von München über Mühldorf nach Freilassing, beziehungsweise Burghausen in Angriff nehmen. Die ABS38 sei schon früher Teil eines Konzepts gewesen, mit dem die Bahn auf den wachsenden Verkehr als Folge des Basistunnels reagieren wollte. Durch die ABS38 könne die schon lange geplante Verlagerung von Güter- und Personenfernverkehr von der Rosenheimer Strecke auf die Mühldorfer Verbindung erfolgen. Zusätzlich habe die Bahn bereits die Inntalstrecke ertüchtigt – ebenfalls für eine Zunahme des Alpentransits. Weitere Verbesserungen seien durch die Digitalisierung zu erwarten. Thaler fasst zusammen: „Es gibt den Brenner-Nordzulauf bereits.“ Und das ganz ohne kostspieligen Neubau. Ob diese Argumente bei der Politik durchdringen, scheint derzeit fraglich. Bereits bei der Anhörung vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages zeichnete sich breite Zustimmung für die Planungen der Bahn ab. Auch Bayerns Bauminister Christian Bernreiter gratulierte zum Tunneldurchbruch, sprach von einem historischen Ereignis und einem Meilenstein. Und fügte hinzu: „Um hier weiter voranzukommen, brauchen wir auf deutscher Seite den Brenner-Nordzulauf.“ Und zwar als Neubau, mit Lärmschutz mit weitestgehend unterirdischer Streckenführung.

Beifall kommt auch von- seiten der Wirtschaft. Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Industrie- und Handelskammer (BIHK), sprach von einem großen Tag für Europa. „Dank des Brennerbasistunnels wird die europäische und gerade die transalpine Verkehrspolitik völlig neu gedacht. Uns steht eine neue Ära bevor.“ Nord- und Südeuropa wüchsen enger zusammen als je zuvor – „seit heute auch unter der Erde.“

Vorerst ist es nur ein Versorgungstunnel, der Österreich und Italien unterirdisch miteinander verbindet. Die zwei Hauptröhren harren noch der Vollendung. Aber es scheint möglich, dass 2032 die ersten Züge durch den Brennerbasistunnel fahren. Bis dahin ist ein Neubau des Brenner-Nordzulaufs auf bayerischer Seite nicht zu stemmen. Zumal 2026 der Bundestag erst über die Vorplanung der Bahn abstimmen wird.

Etatlücken gefährden weitere Planungen

Die Anhörung vom Verkehrsausschuss lief für die Planer der Bahn gut. Aber sind damit die Weichen gestellt? Von sieben Milliarden Euro Kosten waren die Planer ursprünglich ausgegangen. Soll die Bahn die Wünsche der Region Rosenheim berücksichtigen, so wie sie zuletzt Rosenheims Landrat Otto Lederer bei der Eröffnung der Westtangente äußerte, könnten die Kosten aufs Doppelte steigen.

Allein die zweite Inn-Untertunnelung zwischen Langenpfunzen und Stephanskirchen soll drei Milliarden Euro zusätzlich kosten. Das hat die Bahn errechnet. Eine Verknüpfungsstelle im Berg, wie für das Inntal gewünscht, käme wohl noch teurer. Doch fehlen dafür bislang vergleichbare Projekte. Angesichts der Milliardenlücke, die aktuell schon den Ausbau der A8 gefährdet, erscheint die Zukunft des Brenner-Nordzulaufs doch fraglich.

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