„Keine Hinweise auf einen anderen Täter“

von Redaktion

Interview Dr. Wolfgang Beckstein, Leiter der Staatsanwaltschaft Traunstein, zum Fall Hanna

Traunstein – Der erste Prozess im sogenannten „Eiskeller“-Verfahren um den Tod der Studentin Hanna W. (23) am 3. Oktober 2022 in Aschau endete am 19. März 2024 mit der Verurteilung von Sebastian T. wegen Mordes zu neun Jahren Jugendstrafe. Nach Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof startet das Verfahren am 29. September in Laufen ganz von vorne. Die Verteidiger wollen einen Unfalltod der jungen Frau beweisen. Die Staatsanwaltschaft Traunstein bleibt bei ihrer Anklage wegen Mordes. Daran ändert auch ein neues Gutachten nichts.

Die Erste Jugendkammer am Landgericht Traunstein hat Sebastian T., der des Mordes an der Studentin Hanna im sogenannten „Eiskeller-Fall“ verdächtig ist, mit Beschluss vom 20. Juni aus der Haft entlassen. Ein Glaubwürdigkeitsgutachten von Professor Dr. Max Steller zu dem Hauptbelastungszeugen spielte dabei eine Rolle. Zweifelt die Staatsanwaltschaft an der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen? Oder werden dessen Aussagen zu dem angeblichen Geständnis von T. ihm gegenüber in der Zelle um die Weihnachtszeit 2022 weiter als Täterwissen gewertet?

An unserer bisherigen Einschätzung hat sich nichts geändert. Auf die Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 1. April das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 19. März 2024 ausschließlich wegen eines Verfahrensfehlers, also aus formalen Gründen, aufgehoben. Der BGH hat sich mit dem Urteil inhaltlich nicht befasst, sich zum Beispiel weder zur Beweiserhebung noch zur Beweiswürdigung geäußert.

Wissen Sie, ob der Zeuge bei seinen bisherigen Angaben bleibt?

Dazu kann ich nichts sagen. Die Hauptverhandlung gegen Sebastian T. beginnt ganz von vorne und vor einer anderen Kammer, also mit anderen Richtern. Ab 29. September wird die Beweisaufnahme mit allen Sachverständigen, Zeugen und weiteren Beweismitteln wiederholt – als hätte der erste Prozess nicht stattgefunden. Auf dieser Grundlage erfolgt eine neue Beweiswürdigung.

Wer vertritt die Staatsanwaltschaft?

Zwei am ersten Prozess nicht beteiligte Sitzungsvertreter, Staatsanwalt als Gruppenleiter Christian Merkel und Staatsanwältin Pia Dirnberger, werden sich ein umfassendes Bild verschaffen und nach den gewonnenen Beweisergebnissen eigenverantwortlich am Ende ihre Anträge stellen.

Sieht die Staatsanwaltschaft die Anklage und Verurteilung von Sebastian T. aus heutiger Sicht als Fehler? Die Verteidigung will mit drei Gutachten beweisen, dass Hanna W. Opfer eines Unfalles geworden ist. Sieht die Staatsanwaltschaft diese Theorie als möglich an? Oder geht sie weiter davon aus, dass die junge Frau bewusstlos geschlagen und in den Bärbach geworfen worden ist, wo sie dann ertrunken ist? Zu den Gutachten, die die Verteidigung vorgelegt hat, haben auch die bisherigen Gutachter des Gerichts Stellungnahmen abgegeben. Sieht sich die Staatsanwaltschaft anhand der Reaktionen der Sachverständigen in der Anklage und der Mordtheorie bestätigt?

Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat am 28. April 2023 Anklage wegen Mordes gegen T. erhoben. Voraus gingen umfangreiche Ermittlungen, bei denen der konkrete Sachverhalt umfassend geprüft wurde. Abschließend stand für die Staatsanwaltschaft fest, dass gegen den Angeklagten ein dringender Tatverdacht zu bejahen ist. Ein dringender Tatverdacht liegt vor, wenn nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ besteht, dass eine Person eine Straftat begangen hat. Paragraf 112 Absatz 1 der Strafprozessordnung enthält eine höhere Stufe des Tatverdachts als ein Anfangsverdacht und bildet eine Voraussetzung für die Anordnung von Untersuchungshaft. Den „dringenden Tatverdacht“ hat vor der ersten Hauptverhandlung auch das Oberlandesgericht München geprüft und bejaht. Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens führt die Ermittlungen neutral und objektiv, geht allen Ermittlungsansätzen, ob be- oder entlastend, gleichermaßen nach. Im vorliegenden Fall wurde die Möglichkeit eines Unfallgeschehens von Anfang an intensiv geprüft. Infolge der bisherigen Erkenntnisse – insbesondere aufgrund der unabhängigen Sachverständigengutachten und der weiteren Beweisanzeichen wie der Notrufversuch von Hanna W. – ging die Staatsanwaltschaft von einem Tötungsdelikt aus.

Gibt es andere Tatverdächtige, die nun angeklagt werden könnten oder hält die Staatsanwaltschaft Sebastian T. weiterhin für den einzigen Tatverdächtigen? Werden im Zuge der Vorbereitung zu dem neuen Verfahren weitere Ermittlungen unternommen, um entweder weitere Tatverdächtige zu finden oder die Anklage von T. mit mehr Beweisen zu unterlegen? Gibt es inzwischen vielleicht sogar neue Beweise, die die Anklage von T. stützen?

Nach aktuellem Sachstand gibt es keine Hinweise auf einen anderen Täter. Sollten sich neue Ermittlungsansätze ergeben, wird diesen selbstverständlich nachgegangen. Indizienprozesse sind aufwendig und komplex. Es müssen sämtliche verfügbaren Beweismittel zu allen Umständen, die für das Urteil relevant sein könnten, zunächst ordnungsgemäß erhoben werden. Erst wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist, kann und darf eine Gesamtwürdigung und Gesamtbewertung des Sachverhalts erfolgen. Alle Indizien müssen zueinander in Bezug gesetzt, abgeglichen und gegeneinander abgewogen werden, bevor die Staatsanwaltschaft und im Anschluss das unabhängige Gericht zu einem alle Umstände würdigenden Ergebnis kommen können.

Oberstes Ziel eines jeden Strafprozesses ist die umfassende Aufklärung eines Sachverhalts mit allen zur Verfügung stehenden Beweismitteln und dessen korrekte rechtliche Würdigung – auch im Interesse der Angehörigen der verstorbenen Hanna und der Allgemeinheit.

Interview: Monika Kretzmer-Diepold

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