Aschau/Traunstein – Am kommenden Montag beginnt in Laufen der Prozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. – erneut. Sie war am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 in Aschau auf dem Heimweg vom Club „Eiskeller“ ins nahe Elternhaus ums Leben gekommen.
Vorerst angesetzt sind 25 Verhandlungstage. Angeklagt, die damals 23-jährige Medizinstudentin Hanna umgebracht zu haben, ist weiterhin Sebastian T. Er war im ersten Verfahren zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt worden.
Warum beginnt
der Prozess erneut?
Bereits im März 2024 war Sebastian T. wegen Mordes an Hanna W. verurteilt worden. Er habe sein Opfer in den Bärbach geworfen, um die Spuren seines Angriffs zu verwischen – so hatte der geänderte Tatvorwurf am Ende gelautet. Über die Verteidiger legte T. jedoch Revision ein. Und am 16. April 2025 entschied der Bundesgerichtshof in Karlsruhe: Die Revision dringt durch, der Fall muss erneut verhandelt werden. Und zwar vorm Landgericht Traunstein. Grund für den Erfolg der Revision: Im Februar 2024 hatte die Erste Jugendkammer des Landgerichts Traunstein einen Befangenheitsantrag gegen die Zweite Jugendkammer unter Richterin Jacqueline Aßbichler abgelehnt.
Besorgnis der Befangenheit
Die Verteidigung hatte die Besorgnis der Befangenheit angemeldet, nachdem Verteidigerin Regina Rick in den Ermittlungsakten einen E-Mail-Austausch zwischen Richterin Aßbichler und Staatsanwalt Wolfgang Fiedler entdeckt hatte. Und so urteilte der BGH: „Mit dem heimlichen Vorgehen konnte beim Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Vorsitzende sich nicht mehr unparteiisch ihm gegenüber verhielt.“
Es geht also nicht um das Urteil an sich, es geht um den Weg dorthin: Der Befangenheitsantrag hätte nicht abgewiesen werden dürfen. Nun muss der Prozess ganz neu begonnen werden, mit Zeugen, Gutachten und allem, was den ersten Prozess mit 35 Verhandlungstagen so in die Länge zog.
Was liegt gegen den Angeklagten vor?
Vorgeworfen wird ihm laut Anklageschrift Mord aus Heimtücke. Hanna hatte in der Nacht auf den 3. Oktober 2022 im Club „Eiskeller“ gefeiert. Sebastian T. soll Hanna auf ihrem Heimweg aus sexuellem Interesse angegriffen, ihr schwere Kopfwunden zugefügt und sie in den Bärbach geworfen haben. Der Bach führte damals Hochwasser, Hanna ertrank.
Zunächst hatte Sebastian T. lediglich als Jogger bei der Polizei ausgesagt. In die U-Haft brachte ihn als dringend tatverdächtig im November 2022 die Aussage einer Schulfreundin. Sebastian T. habe sie am Abend des Todestags von Hanna W. gefragt, ob sie schon gehört habe, dass da eine junge Frau aus Aschau umgebracht worden sei. Die Ermittler erkannten darin Täterwissen. Denn am Abend des 3. Oktober 2022 wussten lediglich Polizei und Rettungskräfte, dass sich eine Tragödie ereignet hatte. Und die Gerichtsmediziner legten sich auch erst am Abend auf ein Gewaltverbrechen fest. Die Zeugin verwickelte sich aber in Widersprüche. Schwer wog dagegen die Aussage eines Mithäftlings. Er behauptete, Sebastian T. habe ihm gegenüber die Tat gestanden. Das bedeutete die vorläufige Entscheidung in einem Indizienprozess ohne Tatwaffe, ohne Geständnis, ohne Tatzeugen und ohne sicheren Tatort.
Das Landgericht selbst beauftragte den Gerichtspsychologen Prof. Max Steller, die Aussage des JVA-Zeugen Adrian M. unter die Lupe zu nehmen. Aufgrund seiner Ausführungen „sei nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage vorbehaltlich der Erkenntnisse aus der noch durchzuführenden Hauptverhandlung davon auszugehen, dass den Angaben des Hauptbelastungszeugen die Glaubhaftigkeit fehle“, heißt es danach in der Mitteilung des Landgerichts. Damit fiel für das Gericht am 22. Juni 2025 auch der dringende Tatverdacht weg, Sebastian T. kam sofort auf freien Fuß.
Warum wird nun in
Laufen verhandelt?
Der Grund, warum der Hanna-Prozess nach Laufen umzieht, liegt im bundesweit wohl größten Schleuser-Prozess: das Verfahren gegen den Al-Sarawi-Clan mit vier Angeklagten. „Daher kann der Hanna-Prozess leider nicht bei uns in Traunstein stattfinden“, erklärt Wolfgang Beckstein, Leiter der Staatsanwaltschaft in Traunstein. „Wir haben Raumprobleme, bräuchten eigentlich doppelt so viele Sitzungssäle“, sagt Beckstein. Ein größerer Saal findet sich am Amtsgericht Laufen, daher weicht die Erste Jugendkammer dorthin aus. Das Problem dort: Es gibt womöglich nur 26 Zuschauerplätze, je nachdem, wie viele Berichterstatter zu dem Prozess anreisen.
Verteidigung mit einem klaren Ziel
Was ist das Ziel der Verteidigung? Ein Freispruch, und zwar aufgrund erwiesener Unschuld: Das ist nach den Worten von Strafverteidigerin Regina Rick gegenüber dem OVB das Ziel. Dafür wollen Rick und Mitverteidiger Yves Georg nachweisen, dass Hanna einem Unfall zum Opfer fiel. Gutachter sollen erklären, dass die Kopfwunden entstanden sind, als Hanna von der Hochwasser führenden Prien mehrfach gegen ein Wehrschutz gedrückt wurde. Die Schulterdächer soll sie sich durch einen Sturz über eine Stufe in der Prien gebrochen haben. Der Angeklagte, das hat Regina Rick gegenüber dem OVB nochmals bestätigt, werde sich nicht äußern.
Die Staatsanwaltschaft geht weiter von einem Mord aus. Es gebe keine Hinweise auf einen anderen Täter, sagte Wolfgang Beckstein im OVB-Interview. Damit rückt die Staatsanwaltschaft den JVA-Zeugen erneut in den Mittelpunkt. Es geht darum, das aussagepsychologische Gutachten von Prof. Max Steller zu demontieren. Er hatte Adrian M. als unglaubwürdig und seine Aussage gegen den Angeklagten als nicht glaubhaft eingestuft.
JVA-Zeuge muss erneut aussagen
Diese Stellungnahme wollen die Ankläger erschüttern. „Es geht um Täterwissen“, sagt Wolfgang Beckstein, um Details also, die der Zeuge nur vom Angeklagten Sebastian T. erhalten haben kann. Laut Bundesgerichtshof sind Gutachten in solchen Fällen nicht einzuholen. Täterwissen allein würde genügen, die Aussage des Zeugen wäre erwiesenermaßen glaubhaft, und sei der Zeuge ansonsten auch ein notorischer Lügner. Was wusste Adrian M., was er nicht aus Medien erfahren konnte? Darum geht es in der bevorstehenden Verhandlung.
Wird der JVA-Zeuge nochmals auftreten? Ja. Daran führt kein Weg vorbei. Auch wenn ein Gutachter die Glaubhaftigkeit seiner Aussage massiv erschüttert hat. Adrian M. wird – wohl Anfang Oktober – nochmals angeben müssen, was ihm Sebastian T. gesagt haben soll. Und auch, was ihn motiviert hat, der Staatsanwaltschaft ein Jahr nach dem angeblichen Gespräch von dem behaupteten Eingeständnis Sebastian T.s zu berichten. Seine Aussage ist der Dreh- und Angelpunkt auch in Laufen.
Gibt es bereits
eine Tendenz?
Das Landgericht Traunstein hat die Haft für Sebastian T. nicht ausgesetzt und damit sozusagen auf Standby gestellt. Sie hat sie vielmehr aufgehoben. Das ist ein großer Unterschied. Richterin Heike Will begründete dies mit dem Wegfall des dringenden Tatverdachts. Ein Fingerzeig, so scheint es. Viele Beobachter gehen daher von einem Freispruch aus.