Aschau/Laufen – Spur Nummer 939, so die Zählung in den Ermittlungsakten, erschien in dunkler Jacke zur Vernehmung. Mit grünen Laufschuhen, in schwarzer Hose. In langer schwarzer Hose, um genau zu sein. Dieses Detail könnte noch eine Rolle spielen. So jedenfalls stellte sich Sebastian T. am 20. Oktober 2022 bei der Polizei zur Vernehmung vor. Mit langer Hose.
Er habe seinerzeit, am Morgen des 3. Oktober, nicht schlafen können, habe ohnehin für einen Halbmarathon trainiert, sagte damals T. bei der Vernehmung. Deswegen sei er spätnachts, frühmorgens durch Aschau gejoggt. Auch über den Parkplatz der Festhalle, nicht weit vom „Eiskeller“ entfernt, sei er gelaufen. So fasste der nun, im neuen Prozess um Hanna W. aus Aschau, als Zeuge ans Amtsgericht Laufen geladene Ermittlungsleiter die erste Vernehmung des Zeugen Sebastian T. zusammen.
Wann wurde der
Zeuge zum
Verdächtigen?
Wie war die Polizei überhaupt zu diesem Zeugen gekommen? Bei seiner Trainingseinheit zu nachtschlafener Zeit war ein Jogger beobachtet worden. In der Nähe des Clubs „Eiskeller“. Eine kurze Hose habe der Mann angehabt. Kurz, wohlgemerkt. Ein Zeuge sagte sogar noch, dass er sich über das kurze Beinkleid gewundert habe, schließlich sei es kalt gewesen.
Nunmehr suchte die Polizei per Zeugenaufruf nach dem Jogger. Sebastian T.s Mutter meldete sich per Telefon. Der Jogger, das könnte ihr Sohn gewesen sein. So lud die Polizei ihn vor. Sebastian T. habe bei seiner Aussage nervös gewirkt. Das hielt die Polizei bei dieser ersten Vernehmung fest. Das und die Sache mit der Hose, war das alles?
Da könnte noch etwas gewesen sein. Die Fragen, die eine Beamtin bei der zweiten Vernehmung gestellt haben soll, wirken überraschend. Laut Verteidigung hat die Frau gefragt, ob Sebastian T. eine „feste Freundin“ habe, „und welcher Typ Mädchen gefällt Ihnen denn?“ Und noch was: Wann er von Hannas Tod erfahren habe, und von wem.
Möglicherweise war Sebastian T. in diesem Augenblick in den Augen der Ermittler schon mehr als ein Zeuge. Wie auch Richterin Heike Will am zweiten Tag der Prozess-Neuauflage am Amtsgericht in Laufen sagte. Ob die Fragen so gestellt worden seien, weil die Polizei sich fragte, „ob es der junge Mann gewesen sein könnte“? Das wollte Will vom Ermittlungsleiter wissen. Die Antwort darauf könnte noch wichtig werden. Ein Zeuge, der sich fortan selbst belasten könnte, müsste darauf hingewiesen werden. „Das ist rechtswidriges Vorenthalten der Beschuldigtenstellung“, sagte Verteidiger Dr. Yves Georg auf Anfrage des OVB. Keinem anderen Zeugen seien diese Fragen gestellt worden. Der Verdacht sei lediglich eine vage Möglichkeit gewesen, entgegnete Staatsanwalt Christian Merkel, es bestehe daher kein Verbot der Beweisverwertung.
„Operative Fallanalyse
gehört manchmal in
den Bereich Esoterik“
Vielleicht waren die Beamten von der Operativen Fallanalyse angeregt worden. Dass ein sexuelles Interesse des Täters nicht ausgeschlossen werden und die Begegnung mit Hanna die „situative Überforderung des Täters” ausgelöst haben könnte, dass der Täter wohl unerfahren und etwas jünger sei, zwischen 18 und 25 Jahre alt, so hatte der als Zeuge geladene Ermittlungsbeamte die Beobachtungen des bekannten Fallanalytikers Alexander Horn bereits am vergangenen Montag zusammengefasst. Deutungen, die auf den damals 20-jährigen, unerfahrenen und introvertierten Jogger zu passen schienen. Die Operative Fallanalyse aber, die gehöre „manchmal in den Bereich der Esoterik“, sagt Strafverteidiger Georg.
So war Sebastian T. also ins Visier der Polizei geraten. Schließlich brachte ihn die Aussage einer Freundin aus Schulzeiten hinter Gitter: Verena R. sagte aus, dass sie am Abend des fatalen 3. Oktober ein merkwürdiges Gespräch mit T. geführt habe. Ob sie gehört habe, dass in Aschau eine Frau umgebracht und in der Prien tot aufgefunden worden sei?
Hanna war erst einige Stunden zuvor aus dem Fluss geborgen. Noch waren keine Details an die Öffentlichkeit gedrungen. Die Frage schien also Täterwissen zu verraten. Allerdings konnte gerade ein Täter nicht davon ausgehen, dass die 23-Jährige in der Prien gefunden worden sei. Er hätte lediglich wissen können, dass er sie in den Bärbach geworfen hatte. Dass die Aussage der jungen Frau objektiv nichts über Täterwissen besagen könne, weil sie offenbar nicht auf einem Gespräch am 3. Oktober beruht: das stellte Richterin Heike Will am Dienstag fest.
Die Verteidigung sieht das mit Wohlwollen. „Die Offenheit gegenüber einem Unfallgeschehen, die Unvoreingenommenheit gegenüber der weiteren Beweisaufnahme tritt bei diesem Gericht ganz anders zutage, als es beim vorherigen gewesen ist“, meint Yves Georg.
Wie belastbar
sind die Aussagen
des Ermittlers?
Allerdings: Der Ermittlungsleiter hat im Wesentlichen über den Fortgang der Ermittlungen berichtet, und darüber, wie Erkenntnisse gewonnen wurden. Eine Zusammenfassung.
Bei über 2000 Vernehmungen, über 700 Besuchern allein im Club „Eiskeller“, nach Tausenden Stunden Nachforschungen der 60 Beamten in der Soko „Club“ kann man also von seiner Aussage insgesamt nur einen Überblick erwarten. Im Detail könne er sich nicht erinnern, sagte er während der ersten zwei Tage häufig. Über einzelne Aspekte werden andere aussagen müssen.
Etwa Adrian M., der Zeuge aus der JVA. Seine Aussage brachte Sebastian T. letztlich die Verurteilung im ersten Prozess. Hat er vielleicht doch die Wahrheit gesagt, als er behauptete, Sebastian T. habe ihm gegenüber den Mord gestanden? Die Staatsanwaltschaft hat angedeutet, dass er über Täterwissen verfüge. Nächste Woche, also am 8. und 9. Oktober, soll er am Amtsgericht Laufen erscheinen.