Aussage mit „schweren Defiziten“

von Redaktion

Seine Aussage führte zur Verurteilung von Sebastian T. im ersten Prozess um den Tod von Hanna W. Nun hat der JVA-Zeuge in der Neuauflage des Prozesses erneut ausgesagt. Sebastian T. soll ihm demnach den Mord an Hanna gestanden haben. Doch die Aussage hinterlässt Prozessbeobachter ratlos.

Laufen/Aschau – Noch in der Mittagspause des dritten Verhandlungstages im Prozess um den Tod von Hanna W. war spekuliert worden. Wird Adrian M. (25) aussagen? Wird er seine Aussage wiederholen, die Sebastian T. in der ersten Verhandlung so schwer belastet hatte? Oder wird er, als Häftling besonders exponiert und mit einer aggressiven Verteidigung konfrontiert, vom Recht Gebrauch machen, die Aussage zu verweigern?

Um 13.15 Uhr betrat M. den großen Saal des Amtsgerichts Traunstein, begleitet von seinem Rechtsbeistand Michael Vogel. Er wirkte eingeschüchtert, grüßte kaum hörbar. Doch er sagte aus. Wiederholte seinen Bericht. Und seine Stimme zitterte nicht. Ist M. ein abgebrühter Lügner? Oder sagt er die Wahrheit?

Hat Sebastian T. dem
M. alles gestanden?

Es geht um ein Gespräch unter Häftlingen, in dem der Angeklagte den Mord an Hanna gestanden haben soll. So hatte es M. in der ersten Verhandlung gesagt, so sagte er es in der Neuauflage des Hanna-Prozesses. Sebastian T. habe er beim Hofgang während der U-Haft in der JVA Traunstein kennengelernt, sagt er in Laufen aus.

Man traf sich beim „Aufschluss“ dann öfter, spielte zum Beispiel in M.s Zelle Karten. T. scheint zunächst zurückhaltend gewesen zu sein. Er sei in jener Nacht vor Ort gewesen, habe T. gesagt, sei in Aschau gejoggt, nicht weit weg vom Club „Eiskeller“. Die Aussage einer Freundin habe ihn in die U-Haft gebracht. Viel mehr soll T. zunächst nicht geäußert haben.

Ein Geständnis zieht
das andere nach sich

Während eines Kartenspiels will Adrian M. dem Angeklagten T. seinerseits etwas gebeichtet haben. Er sei in U-Haft, weil er auf seine Verhandlung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern warte. Nach diesem Geständnis soll auch Sebastian T. gesprächiger geworden sein. Und so soll er den Mord zugegeben haben.

Er habe Hanna angegriffen, soll er gesagt haben. Und zwar, weil „er sexuelles Interesse an der Hanna gehabt“ habe. Sebastian T. habe, so will es M. vom angeblichen Täter erfahren haben, die 23-jährige Aschauerin bewusstlos geschlagen, damit sie sich nicht wehren könne. Dann habe er sie in den Fluss geworfen. Dass T. Hanna von Anfang an umbringen wollte, habe er aber nicht gesagt.

M. will sogar nachgefragt haben, ob es DNA-Spuren gegeben habe. „Ne, keine, nichts“, soll der Angeklagte gesagt haben. Detailliertere Gespräche habe er danach mit Sebastian T. nicht mehr geführt. Ob es einen Grund dafür gab, will Richterin Heike Will wissen. Vielleicht habe T. den Abstand gesucht, nachdem er erfahren habe, wegen was er, Adrian M., sich bald vor Gericht verantworten müsse.

Der erste Prozess am Landgericht hatte bereits begonnen, da teilte M. einem Justizbeamten in der JVA mit, dass er etwas zum „Eiskeller-Fall“ zu sagen habe. Da waren bereits zehn Monate seit dem angeblichen Gespräch vergangen. Warum wartete er so lange? Sein Wissen habe ihn mehr und mehr belastet, sagte er am gestrigen Mittwoch aus.

Perfektes Timing
beim ersten Prozess

Eine Staatsanwaltschaft, die schon nach wenigen Tagen ihre Belastungszeugin verloren hatte und in Nöten steckte; dann der neue Belastungszeuge, wie aus dem Hut gezaubert: Dass der Auftritt von Adrian M. am 17. Oktober zu gut passte, um wahr zu sein, diesen Eindruck hatten in der ersten Auflage des Prozesses um den Tod von Hanna W. von Oktober 2023 bis März 2024 einige Prozessbeobachter. Was nicht automatisch bedeutet, dass der Untersuchungshäftling M. tatsächlich gelogen hat.

Aussage mit Lücken
und Widersprüchen

Die Vorsitzende im neuen Verfahren hakte aber nach. Und deckte Lücken und Widersprüche auf. Sebastian T. soll ja geschildert haben, dass er Hanna in den Fluss geworfen habe. Ob er auch gesagt habe, warum er das getan habe, will Heike Will wissen. Adrian M. denkt lange nach, kann aber nicht antworten. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mehr Bescheid.“

Laut früherer Aussage habe T. während des bewussten Kartenspiels keinen Gips getragen, nach der aktuellen Aussage aber schon. Kannte Sebastian T. Hanna, oder kannte er sie nicht? Auch da unterscheiden sich die Versionen. Sind das nur Lücken der Erinnerung oder Löcher in einem Lügengespinst? Mittendrin hatte M. zu kämpfen. Er berichtete von hohem Druck, von Morddrohungen. „Ich bin fertig“, sagte er mit brechender Stimme.

Verteidigung zweifelt
Glaubwürdigkeit an

Die Verteidigung mit Regina Rick und Dr. Yves Georg hatte die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage im Fall Hanna stets bestritten. In beidem gebe es „schwere Defizite“, sagte Yves Georg dem OVB. So sei der Zeuge ein mehrfach vorbestrafter Sexualstraftäter, der eine Borderlinestörung habe und sich von einer Falschbezichtigung Vorteile für sein eigenes Verfahren erhofft habe. Wenn die Aussage des Zeugen erstmal gefallen sei, hätten Verteidiger und Angeklagter den „halben Weg“ zurückgelegt.

Dann gehe es künftig um einen Freispruch aus erwiesener Unschuld.

Der „Knast-Zeuge“
bleibt noch Thema

Es wird weitere Aussagen zum JVA-Zeugen geben, von weiteren Mithäftlingen, von dem Justizbeamten auch, an den sich Adrian M. zuerst gewandt hatte. Zur Glaubwürdigkeit des Zeugen und zur Glaubhaftigkeit seiner Aussage werden sich nächste Woche, am 13. Oktober, auch die Gutachter Professor Dr. Michael Soyka und Professor Dr. Max Steller detailliert äußern.

Zunehmend ratlos wirkte am dritten Verhandlungstag Andreas W., Vater von Hanna. Der wolle eigentlich nur die Wahrheit erfahren, sagte sein Anwalt Walter Holderle dem OVB. Ob die in der Aussage des Zeugen liegt? Professor Dr. Max Steller, der in einem vom Gericht bestellten Gutachten die Aussage schon einmal als nicht glaubwürdig bezeichnet hatte, kommentierte, dass die neuerliche Aussage seine Zweifel verstärkt habe. Am heutigen Donnerstag wird der JVA-Aussage weiter auf den Grund gegangen.

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