Aschau/Laufen – Es sprühten immer wieder mal die Funken im Amtsgericht Laufen. Auch am Morgen des sechsten Verhandlungstages geraten Verteidigung und Staatsanwaltschaft aneinander. Es ging erst um Spuren und darum, wo im Aktenberg diese Spuren aufgelistet sind, dann um Ermittlungsaufträge.
Der Ton wurde schärfer, die Lautstärke stieg. Und das „…unterbrechen Sie mich nicht!“ fügte sich so selbstverständlich in den Satz wie das „Amen“ in den Gottesdienst. Eine Formsache ist diese zweite Auflage des Hanna-Prozesses jedenfalls nicht, weder für die Staatsanwaltschaft, noch für die Verteidiger.
Wer ist „Schatzi“?
Ein Zeuge hat
Erinnerungslücken
Es kamen Zeugen zu Wort, die Sebastian T. kennen. Aus der JVA Traunstein ebenso wie aus dem Bekanntenkreis. Staatsanwältin Pia Dirnberger wollte von einem Ex-Kollegen des Angeklagten Sebastian T. wissen, ob nach Hannas gewaltsamem Tod im Freundeskreis darüber gesprochen worden sei, dass das der T. gewesen sein könne, weil der doch nachts joggen gewesen sei. Über drei Jahre nach der fatalen Nacht konnte sich der Zeuge jedoch nicht genau erinnern.
In seinen Handy-Kontakten jener Zeit war ein „Schatzi“ zu finden gewesen. Auch wer sich hinter diesem Kosenamen verbarg, konnte er nicht sagen – das immerhin zur Belustigung des Publikums.
Dabei geht es möglicherweise um wichtige Details. Wann war Hannas Tod ein Thema im Freundeskreis von Sebastian T.? Der „Schatzi“-Zeuge wurde zu einer ominösen Sprachnachricht befragt, die im ersten Prozess nicht zur Sprache gekommen war. Es geht um die Freundin des Angeklagten aus Schulzeiten, Verena R. Die hatte bei ihrer polizeilichen Vernehmung im Herbst 2022 ausgesagt, dass Sebastian T. bereits am Abend des 3. Oktober 2022 von Hannas Tod gesprochen habe – zu einem Zeitpunkt, an dem davon nur wenige Menschen wussten. Durch diese Aussage war Sebastian T. im Herbst 2022 erst zum dringend Tatverdächtigen geworden. Verena R. hatte sich dann aber in der ersten Verhandlung in Widersprüche verwickelt.
In der neuen Sprachnachricht fühlte sie sich allerdings zu einer Klarstellung gegenüber der Freundin des Zeugen veranlasst. Nein, sie sei nicht am 3. Oktober gegen 2 Uhr nachts mit Sebastian T. unterwegs gewesen. Stammt diese Nachricht vom Vormittag des 4. Oktober 2022, wie die Staatsanwaltschaft vermutet? Dann könnte man schließen, dass das nächtliche Joggen von Sebastian T., vielleicht sogar seine mögliche Verbindung zu Hannas Tod im Bekanntenkreis diskutiert wurde. Das will die Staatsanwaltschaft prüfen. Hatte Verena R.s ursprüngliche Aussage vielleicht doch mehr Gehalt, als vor zwei Jahren gedacht?
Zum Wochenstart
lief es gut für
die Verteidigung
Verena R. wird Ende der Woche aussagen. Die Verteidiger Regina Rick und Yves Georg denken aber, dass die ominöse Sprachnachricht doch erst viel später abgeschickt wurde.
Noch zu klären wäre außerdem, wann ein Tischtennisspiel stattfand, an dem wohl auch Sebastian T. und Verena R. teilgenommen haben. Etwa am Abend des 3. Oktober 2022? Dann kann aber Verena R. die belastenden Worte T.s nicht an jenem Abend gehört haben. Zwei Zeugen aus dem Bekanntenkreis konnten dazu am gestrigen Montag aber nichts sagen. Ansonsten lief es gut für die Verteidigung und den Angeklagten. Zwei Zeugen aus der Untersuchungshaftzeit kamen zu Wort, darunter der Häftling, der möglicherweise den engsten Bezug zu Sebastian T. hatte: Ralf G. Er stellte dem Angeklagten ein gutes Zeugnis aus. „Ich hab ihn als sehr sympathischen jungen Mann wahrgenommen“, sagte er. Ein „Naturbursche“, der erzählt habe, dass er gerne in die Berge gehe. Sebastian T. habe auch immer wieder beteuert, mit dem Tod von Hanna nichts zu tun gehabt zu haben. Dennoch sei er gemobbt und gehänselt worden, immer wieder habe es Anspielungen gegeben, „was ich ebenso gegenüber dem Opfer unangebracht fand wie auch gegenüber Herrn T.“.
Er habe mit Sebastian T. Schach gespielt – „da war er besser als ich“ –, sich auch öfter mit ihm unterhalten. Dass der in der Nacht joggen gegangen sei, „fand ich nun ja ein bisschen merkwürdig“. Andererseits fahre sein Patenkind auch öfter in der Nacht Rad. Sebastian T. habe in der Haft „in sich geruht“, sei überzeugt gewesen, dass die Wahrheit herauskomme: „Dass ich‘s nicht war“.
Ein weiterer Zeuge aus der U-Haft äußerte sich wohlwollend über T., Michail M. Er kannte ihn unter anderem vom Schachspielen. T. habe ihm gegenüber geäußert, ihm täten Hannas Eltern leid, aber er könne nicht zugeben, was er nicht gemacht habe. „Er hat gesagt, ich zerbreche innerlich, wenn ich die anschaue, meine Eltern tun mir auch leid.“ Sebastian T. litt offenbar in der U-Haft. „Das ganze Gefängnis hat ihn aufgezogen, er wurde sehr schlecht behandelt.“ Sebastian T. habe das alles „geschluckt, geschluckt und geschluckt, bis es aus ihm hervorbrach und er schrie: ‚Ich habe es nicht getan!‘“
Kronzeuge ein
unglaubwürdiger
„Aufschneider“?
Auch über den Kronzeugen Adrian M. wusste sich Michail M. zu äußern. Der sei ein Aufschneider. Als er gehört habe, dass Sebastian T. mit Adrian M. über den fatalen Morgen von Aschau gesprochen habe, „habe ich gelacht“, so unglaubhaft sei das gewesen. M. habe auch über Sebastian T. immer wieder versucht, an Süßigkeiten zu kommen, bis der das Spiel durchschaut habe. Laut Verteidiger Yves Georg noch ein weiteres Motiv für M., über Sebastian T. zu lügen: „Die Unfähigkeit, auf Zurückweisungen angemessen zu reagieren, ist typisch für Borderline.“
Am Montag sagte auch noch eine mittlerweile 74 Jahre alte Zeugin aus Flotow aus. In ihrer Ferienwohnung im zweiten Stock in einem Gebäude an der Kampenwandstraße, wenige Meter vom mutmaßlichen Tatort entfernt, hatte sie am 3. Oktober 2022 gegen halb drei die Toilette aufgesucht. Sie hörte einen „markerschütternden Schrei“, wie sie sagte, „einen Angstschrei, als ob ein Mensch einen anderen angreift“.