Zur Person

von Redaktion

Interview Caritas-Regionalmanagerin Petra Schubert über Teilhabe und Inklusion

„Vielfalt als Stärke verstehen“

Rosenheim – Petra Schubert, Regionalmanagerin für Teilhabe und Inklusion beim Caritasverband München und Freising, zieht nach einem Jahr im Amt Bilanz. Im Interview spricht sie über Herausforderungen wie die Schließung des Caritas-Hauses Schonstett, ihre Rolle als Brückenbauerin und ihre Vision für eine inklusive Region Rosenheim. Ein ehrlicher Einblick in Verantwortung, Wandel und die Kraft der Zusammenarbeit.

Frau Schubert, Sie sind seit rund einem Jahr Regionalmanagerin für Teilhabe und Inklusion beim Caritasverband der Erzdiözese München und Freising. Wie würden Sie sich selbst in Ihrer Rolle beschreiben – was ist Ihnen im Umgang mit Menschen besonders wichtig?

Ich sehe mich als Netzwerkerin und Brückenbauerin zwischen den verschiedenen Ebenen: Politik und Kirche vor Ort, Verwaltung, Träger, Kooperationspartner und Einrichtungen. Meine Aufgabe ist es, Strukturen so zu gestalten, dass Teilhabe und Inklusion vor Ort möglich werden, ebenso muss ich unsere Einrichtungen und Dienste in diesem Bereich fachlich und wirtschaftlich sichern und entwickeln.

Wichtig ist mir dabei ein respektvoller, transparenter, kooperativer und lösungsorientierter Umgang – auf Augenhöhe zum Wohle der Menschen, auch wenn wir unterschiedliche Interessen vertreten.

Was bedeutet für Sie „Teilhabe“, wo setzen Sie in diesem weiten Feld Ihre Schwerpunkte und warum?

Was Teilhabe und Inklusion bedeuten, ist im Bundesteilhabegesetz sehr gut beschrieben: Menschen mit Unterstützungsbedarf dürfen nicht an den Rand gedrängt werden, sondern sollen selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft sein. Konkret gehen wir damit aus dem alten „Fürsorgesystem“ heraus und passen die neuen Systeme an die Menschen und deren Wünsche an und nicht umgekehrt. Für mich gehört es zu einer inklusiven Gesellschaft, dass es beides gibt: Angebote mitten in der Gemeinschaft und zugleich Einrichtungen, die dort unterstützen, wo besondere Bedarfe bestehen. Inklusion heißt nicht, alles gleich zu machen, sondern unterschiedliche Wege zu eröffnen – damit jeder Mensch den Platz finden kann, an dem er sich wohlfühlt und teilhaben kann. Ein besonderer Schwerpunkt meiner Arbeit in der Region Rosenheim liegt darauf, Projekte zu fördern, die Menschen mit und ohne Behinderung einbeziehen und zugleich Generationen verbinden.

Ich bin überzeugt: Inklusion gelingt am besten, wenn Vielfalt sichtbar gelebt wird – wenn Kinder, Erwachsene, ältere Menschen, mit und ohne Behinderungen, gemeinsam ihren Alltag gestalten. Solche Projekte schaffen Begegnung, bauen Vorurteile ab und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade im Bereich Wohnen bietet sich hierfür großes Potenzial. Denn die Frage, wo und wie Menschen leben, entscheidet maßgeblich über Teilhabe. Deshalb setze ich mich für vielfältige Wohnformen ein: von inklusiven Nachbarschaftsprojekten bis hin zu spezialisierten Einrichtungen, die dort gebraucht werden, wo eine intensivere Begleitung notwendig ist. Ich bin hier immer auf der Suche nach Partnern, die solche Angebote mit uns verwirklichen wollen.

Ihr erstes Jahr in der Region Rosenheim war geprägt von großen Herausforderungen – unter anderem mussten Sie die Schließung des Caritas Hauses Schonstett organisieren. Wie haben Sie dies erlebt?

Die Schließung unseres Caritas Haus Schonstett war im ersten Jahr die schwerste Aufgabe und sie ist es immer noch. Für mich stand im Vordergrund, hier alles geordnet, transparent und fair zu gestalten – für die Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Angehörigen, für die Mitarbeitenden, für die Kommune und auch für die Öffentlichkeit.

Ich habe es als schmerzhaften, aber auch lehrreichen Prozess erlebt: Entscheidungen auf dieser Ebene betreffen immer viele Menschen und verlangen nach Verantwortung und einer klaren Haltung, die trotz allem die Würde der Betroffenen im Blick behält.

Das Wichtigste für mich ist und war, dass wir für alle Bewohnenden und für alle Mitarbeitenden einen geeigneten Anschlussplatz zur Wahl anbieten konnten, entweder in unseren Einrichtungen und bei befreundeten Trägern. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg und darüber bin ich sehr glücklich.

Wie sind Sie mit den emotionalen Reaktionen aus der Region besonders beim Haus Schonstett umgegangen?

Ich nehme diese Reaktionen sehr ernst – sie zeigen, wie wichtig unsere Einrichtungen für die Menschen in der Region Rosenheim sind. Mein Ansatz war, den Dialog zu suchen, auch wenn Entscheidungen unumkehrbar waren. Ehrlichkeit, Transparenz und die Bereitschaft zuzuhören sind für mich in solchen Situationen entscheidend, um Vertrauen zu erhalten und auch Kritik in konstruktive Bahnen zu lenken.

Leider richtet sich bei der Schließung sozialer Einrichtungen der öffentliche Unmut oft gegen die Träger. Dabei sind solche Entscheidungen häufig unausweichliche Folgen des zunehmenden Fachkräftemangels und der sinkenden finanziellen Ressourcen der öffentlichen Hand, unter denen auch wir massiv leiden. Deshalb wünsche ich mir, dass wir in der Gesellschaft hierzu stärker ins Gespräch kommen – mit dem Ziel, gemeinsam Lösungen zu finden, statt Schuldige zu suchen. Ich bin jederzeit offen für diesen Dialog.

Welche Gedanken haben Sie sich gemacht, als klar wurde, dass das Haus Christophorus in Brannenburg nicht wie geplant vollständig mit Kindern belegt werden kann?

Mein Gedanke war: Wir müssen flexibel bleiben und Lösungen suchen, die langfristig tragfähig sind. Einrichtungen sind keine statischen Gebilde – wir müssen auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen reagieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Es ging mir darum, Chancen zu erkennen, außerhalb von Schubladen zu denken, weitere Zielgruppen in den Blick zu nehmen und dann die vorhandenen Möglichkeiten zum Wohle aller zu nutzen.

Ich bin sehr glücklich darüber, dass es durch das konstruktive Zusammenspiel mit den spendengebenden Organisationen sowie den verantwortlichen Behörden gelungen ist, mit dem Einzug der Bewohnerinnen und Bewohner aus Schonstett für das Haus Christophorus eine tragfähige Lösung zu finden und diese wertvolle Einrichtung jetzt nachhaltig zu sichern.

Wie gelingt es Ihnen, trotz dieser schwierigen Entscheidungen nahbar und zugewandt zu bleiben?

Indem ich mich daran erinnere, warum ich diese Arbeit mache: um Strukturen für Inklusion und Teilhabe zu stärken, zum Wohle der Menschen. Das erdet mich. Außerdem versuche ich gerade, wenn es emotional herausfordernd ist, im Austausch persönlich und klar zu bleiben. Ich sehe mich als Ansprechpartnerin, die sowohl die Perspektive der Einrichtungen als auch die der Politik versteht und vermitteln kann.

Gibt es Gespräche oder Begegnungen aus dem vergangenen Jahr, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Ja, sehr eindrücklich waren für mich die vielen Gespräche mit meinen Leitungskräften. Sie kämpfen mit ihren Teams Tag für Tag darum, ihren Auftrag gut zu erfüllen – trotz Fachkräftemangel und oft zu knapper finanzieller Mittel von den Kostenträgern. Diese Gespräche haben mir noch einmal deutlich gemacht, wie hoch die Verantwortung und emotionale Belastung in den Einrichtungen sind, und wie wichtig es ist, dass wir auf struktureller Ebene bessere Rahmenbedingungen schaffen. Die Leidenschaft und das Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen beeindrucken mich sehr und motivieren mich, ihre Anliegen in Politik und Verwaltung nachdrücklich zu vertreten.

Was haben Sie aus den Herausforderungen für Ihre künftige Arbeit in der Region Rosenheim gelernt?

Mir ist einmal mehr bewusst geworden, dass Veränderungsprozesse ein hohes Maß an Kommunikation und Beteiligung erfordern. Es reicht nicht, gute Ideen und Konzepte zu haben – man muss sie auch gut vermitteln, die Betroffenen und die Partner einbeziehen und Schritt für Schritt mitnehmen. Der Weg zu mehr Inklusion und echter Teilhabe braucht gute Netzwerke, tragfähige Kooperationen, gegenseitiges Vertrauen, Mut und Transparenz.

Beschreiben Sie bitte Ihre Ziele für die nächsten zwölf Monate. Wie wollen Sie „Inklusion und Teilhabe“ in der Region Rosenheim weiter stärken?

Ich möchte die Zusammenarbeit in der Region Rosenheim weiter vertiefen – zwischen Kommunen, Einrichtungen, Ehrenamt und Politik. Konkret heißt das: bestehende Strukturen verlässlich machen, neue Projekte anstoßen und die Sichtbarkeit von Teilhabe-Themen erhöhen. Mein Ziel ist, dass Inklusion nicht als Sonderthema, sondern als gemeinsame Aufgabe für die Gesellschaft verstanden wird.

Wie können die Bürger und Amtsinhaber in der Region Rosenheim Sie hier unterstützen?

Indem sie offen bleiben für Zusammenarbeit und aktiv mitgestalten. Politik und Verwaltung können helfen, indem sie Rahmenbedingungen schaffen und Entscheidungen mittragen, die Inklusion fördern. Bürger können mitwirken, indem sie Engagement im Ehrenamt zeigen, Barrieren ansprechen und Vielfalt im Alltag leben. Inklusion und Teilhabe sind keine Einzelaufgaben – sie gelingen nur, wenn Politik, Träger, Verwaltung und Gesellschaft an einem Strang ziehen. Mein Wunsch ist, dass wir die Stadt und den Landkreis Rosenheim zu einer Region machen, in der Vielfalt als Stärke verstanden wird.

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