Laufen/Aschau – Der neunte Verhandlungstag, der gestrige Donnerstag, 23. Oktober, ist ein paar Minuten alt, da spricht Richterin Heike Will ein großes Ding gelassen aus. „Technisch ist für mich ganz schwierig“, sagt sie. Wie viele andere im Saal war sie schon zu Beginn des Tages gefordert von dem, was da von einem Datenexperten vom Landeskriminalamt in München an Daten und Erklärungen auf sie eindrang. Der Experte sollte erklären, was Hannas Mobiltelefon über den letzten Weg der Medizinstudentin verraten kann.
Das Mobiltelefon war erst am 2. Juni 2023, fast acht Monate nach Hannas Tod, von einer Spaziergängerin in der Prien gefunden worden. Und zwar noch im Gemeindebereich Aschau. Algen hatten sich mittlerweile auf dem iPhone festgesetzt, das Gerät war stark verschmutzt. Daran lag es aber nicht, dass man auch nach der Analyse in vielen Punkten noch im Schummrigen tappt. Die Daten konnten ausgelesen werden. Aber: Sie sind mal ungenau, mal ungenauer. Ermittler hatten immer wieder mal zu bedenken gegeben, dass die Smartphones sozusagen gewollt ungenaue Daten abschicken. Ein Dauerbetrieb in Präzision, wie etwa für Navigation notwendig, erschöpfe den Akku einfach zu schnell.
Was man tatsächlich sagen kann: Von Hannas Smartphone aus wurde ein Notruf gestartet. Und zwar um 2.31 Uhr, kurz vor Hannas Tod. Der Anruf lief als Voice over LTE, war also ein Anruf übers Internet. Es müssten laut Ermittler daher zwei Datenpakete festzustellen sein. Doch gibt es lediglich das erste Paket. Die Antwortdaten fehlen, der Anruf wurde also nie entgegengenommen. 45 Sekunden lang dauerte dieser Anrufversuch.
Was man noch feststellen kann: In der Nähe des Parkplatzes der Kampenwandbahn wird das Signal auf einmal grob ungenau. Wahrscheinlich, weil das Handy da schon ins Wasser des Bärbachs gelangt war. Zeitpunkt: 2.32 Uhr.
Warum nur kann man Handys nicht so genau orten, wie das Krimis und Agententhriller nahelegen? Dabei wäre das in diesem Fall so wichtig. Kann man irgendwann genau sagen, wo genau sich Hanna Wörndl in den letzten Minuten vor ihrem Tod am 3. Oktober 2022 befand? Regina Rick, Verteidigerin von Sebastian T., ist sich sicher: Das geht. Regina Rick hat einen Geodäsie-Experten aufgeboten. Geodäsie, das ist laut TU München die Wissenschaft von der Vermessung und Abbildung der Erdoberfläche, also der „Bestimmung der geometrischen Figur der Erde, ihres Schwerefeldes sowie ihrer Orientierung im Weltraum“. Dieser Fachmann werde genau darlegen können, welchen Weg das Smartphone von Hanna Wörndl am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 genommen habe, sagt Rick. Und dieser Weg sei ein anderer als der von der Polizei angenommene. Damit hat die Verteidigung auch ihr Hauptziel im Auge: zu beweisen, dass Hanna nicht einem Mord, sondern einem Unfall zum Opfer fiel. Das Gericht muss der Beweisanregung freilich noch zustimmen. Fortgeführt wurde am neunten Tag auch die Diskussion über ein angebliches Gespräch zwischen einer Schulfreundin und Sebastian T. am Abend des fatalen Tages. Hat es stattgefunden? Hat T. wirklich Wissen offenbart, das zu dieser Stunde nur der Täter haben konnte? Das hatte die Schulfreundin vor der Polizei angegeben, in Sprachnachrichten an die Schwester, einen Freund und ihre Eltern aber widerrufen. Sie habe sich im Datum geirrt, sagt sie mit einer Stimme, in der sich Verwirrung und Verzweiflung mischen.
Tatsächlich weisen die Geo-Koordinaten ihres Smartphones darauf hin, dass sich zumindest ihr Handy zur Zeit des angeblichen Gesprächs am Abend des 3. Oktober in ihrem Elternhaus befand. Ein Ermittler der Polizei trug allerdings aus Aktenvermerken vor, dass man sich in der Chat-Gruppe mit Sebastian T. und seiner Schulfreundin Verena für den Abend des 3. Oktober zu einem Spaziergang verabredet habe. Wie aussagekräftig ist das? Verschiedene Smartphones müssen wohl nochmals gecheckt werden.
Gescheckt wird auch, welche Seiten Sebastian T. über sein Handy suchte. Es handelt sich oft um Seiten, die „bemerkenswerter waren“, wie es ein Ermittler des Landeskriminalamt ausdrückte. Was aber laut Regina Rick kein Alleinstellungsmerkmal ist. „Wenn Sie alle einsperren, die Pornos gucken, dann ist die Straße leer”, sagte sie. Dieser Punkt wird also, dieser Forderung folgte das Gericht schnell, unter Ausschluss der Öffentlichkeit geklärt werden. „Über Herrn T. ist schon genug Dreck ausgeschüttet worden“, sagte Rick.
Michael Weiser