Ministerin Michaela Kaniber bei ihrer Ansprache.
Ruhpolding – Mit Fachvorträgen, kulturellen Veranstaltungen, einer Festmesse und der abschließenden Vollversammlung begingen Almbauern mit ihren Sennern jüngst den 78. Almbauerntag. Als Veranstaltungsort hatte sich der Almwirtschaftliche Verein Oberbayern nach 25 Jahren wieder Ruhpolding ausgesucht. An der Vollversammlung am Sonntag nahm auch Bayerns Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus, Michaela Kaniber, teil. Nach der Sitzung des Hauptausschusses im Berggasthof Weingarten mit anschließendem Heimatabend trafen sich die Teilnehmer und Ortsvereine im Kurpark zum Standkonzert der Festkapelle Ruhpolding-Miesenbach. Von dort zogen sie in einem festlichen Marsch zur Pfarrkirche St. Georg.
Festgottesdienst in
geschmückter Kirche
In der mit „Fuikln“ und Almabtriebsglocken geschmückten Kirche erwarteten sie bereits Weihbischof Bernhard Haßlberger, Pfarrer Otto Stangl und Diakon Josef Eixenberger zum Festgottesdienst. Für die feierliche Umrahmung sorgten der Kirchenchor Ruhpolding und der Organist Jörg Scholkowski. Weihbischof Haßlberger freute sich in seiner Predigt über die zauberhafte, schützenswerte Kulturlandschaft der Alpen, die zu großen Teilen durch die Almwirtschaft gepflegt und erhalten werde. Einer magischen Anziehungskraft folgend, werde der Druck auf die Alpen durch eine steigende Zahl von Touristen und Bergbegeisterten größer. Leider seien darunter auch viele, die oft nur die Postkartenidylle sehen und die Alpen als grenzenlosen Freizeitpark betrachteten. Dass die Pflege der meist steilen Hanglagen trotz vieler moderner Hilfsmittel, guten Zuwegungen und Maschinen immer noch sehr mühsam, teils gefährlich und zeitaufwendig sei, und man den Naturgewalten trotzen müsse, werde dabei oft übersehen.
„Vergelt’s Gott“
für die Leidenschaft
Umso mehr gelte den Almbauern und Sennleuten ein herzliches „Vergelt’s Gott“ für ihren leidenschaftlichen Einsatz und ihre vorausblickende, die folgenden Generationen einbeziehende Arbeit. Gott möge deshalb seine schützende Hand über die Bauern, Almbauern, ihre Familien und Tiere halten, so Haßlberger. Wertschätzung könne man als Verbraucher zeigen, indem man regionale und auf den Almen erzeugte Lebensmittel konsumiere und keine aus der industriellen Massenproduktion.
Eine Möglichkeit, die Natur als Ort der Gotteserfahrung zu nutzen und zur Ruhe zu kommen, biete sich an den vielen Bergkreuzen. Dort könne man versuchen, die Schöpfung aus einem anderen Blickwinkel betrachtend zu begreifen und zur Ruhe zu kommen.
Dankbar sollten alle dafür sein, dass wir seit 80 Jahren in Frieden leben dürfen und in einer gemäßigten Klimazone leben, die reichliche Ernte zuließe. In den Fürbitten wurde namentlich auch für alle verstorbenen Alm- und Sennleute gebetet. In einem Festzug zog die Gemeinschaft im Anschluss zurück in die „Almhütte“ im Kurpark.
Nach dem Mittagessen eröffnete dort der Vorsitzende des Almwirtschaftlichen Vereins, Sepp Glatz, die Vollversammlung. Unter den Gästen begrüßte er unter anderem die Vertreter der Geistlichkeit, von Behörden und aus der Politik, allen voran die Bayerische Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus, Michaela Kaniber, den stellvertretenden Landrat Sepp Konhäuser und den Bürgermeister der Gemeinde Ruhpolding, Justus Pfeiffer. Er freute sich aber auch, dass viele Almbauern und Sennleute gekommen waren und die Ortsvereine den Festtag mitfeierten und verschönert haben.
In seiner leidenschaftlichen Rede griff Glatz die Wolfproblematik auf. Nach Senkung des Schutzstatus durch die EU müssten nun die Bundesbehörden in Umsetzung kommen. Dazu gehörten dringend und umgehend die Einrichtung von Weideschutzzonen und die Änderung des Bundesjagdgesetzes, etwa nach dem Vorbild Schwedens, wo es für Raubwild Abschusspläne gebe. In Bezug auf die neuen Vorgaben in den Förderrichtlinien der EU für landwirtschaftliche Betriebe (GAP) forderte Glatz feste, verlässliche Rahmenbedingungen. Förderungen sollten im Idealfall dort hinkommen, wo sie gebraucht werden, und nicht in die Geldbeutel von „Absahnern“ fließen.
Bürokratie sollte in diesem Fall maßvoll und die Kontrollen menschlich gehalten werden. Bezüglich einer Bezuschussung der Absicherung des Weideviehs auf den Almen sei es angesagt, die Mehrgefahrenversicherung auf diese Tiere auszuweiten. Probleme gebe es nicht durch die Regelungen im Entwaldungsgesetz, sondern ganz im Gegenteil durch die schnelle Verbuschung und den Waldzuwachs auf den Almflächen. Insofern seien diese in den Augen der Almbauern ohnehin keine Wald-, sondern Weideflächen. In der Versammlung wurden 24 Senner für ihre langjährige Tätigkeit zwischen zehn und 60 Jahren und zwei Partnerschaften, die 25 und 53 Jahre bestehen, geehrt.
Michaela Kaniber blickt
auf Positives und Defizite
In einer feurigen Rede ging die Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber beim Almbauerntag in Ruhpolding konkret auf die positiven Entwicklungen ein, sprach aber auch unmissverständlich und mit deutlichen Worten Defizite in der politischen Umsetzung mancher Brandthemen in der EU und in der Bundespolitik an. Demonstrativ stellte sie sich bei ihrer Rede mitten unter die Versammlungsteilnehmer, um auszudrücken, dass ihr die Almbauern und Sennleute wichtig sind, und sie ihre harte Arbeit respektiere. Sie freute sich besonders, dass die Hauptalmbegehung und der Almbauerntag wieder einmal im Chiemgau stattfinden konnten. Den kürzlich gefeierten Erntedanktag sollte eigentlich jedermann zum Anlass nehmen, sich bewusst zu machen, dass es nicht selbstverständlich sei, dass jeden Tag alle Regale in den Märkten übervoll sind, wir keinen Hunger kennen und in Frieden leben dürfen. Insbesondere die Leistungen der Landwirtschaft verdienen es, von der Bevölkerung und nicht nur unter den Landwirten selbst gewürdigt, geehrt und anerkannt zu werden.
In Bezug auf die Friedenserhaltung werden enormen Anstrengungen und Milliardenbeträge zur Ertüchtigung der Bundeswehr oder der Armeen in Europa und der Polizei zum Zwecke der äußeren und inneren Verteidigung unternommen. Was die dritte Säule, den Zivilschutz betreffe, brauche es laut Kaniber aber auch eine starke Landwirtschaft in Deutschland und Europa, die in der Lage ist, die Bevölkerung auch zu ernähren. Deshalb müsse der Zivilschutz und die Unterstützung der Landwirtschaft auf Augenhöhe mit den Militärausgaben berücksichtigt werden, so Kaniber. In Sachen gemeinsamer Agrarpolitik sieht Kaniber ein enormes Defizit in der Kommunikation darüber. Jede zuständige Stelle im Bund und in Europa klagt über weniger verfügbare Finanzmittel. Allein für die Landwirtschaft stehen 20 Prozent weniger Fördermittel der EU zur Verfügung. Angesichts der Tatsache, dass etwa Russland und China bereits jetzt Lebensmittel in Massen produzieren und 100 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, müsse Europa wachsam bleiben und intensiv darum bemüht sein, sich die eigene Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität zu bewahren. Umso wichtiger sei es, auch von solchen Tagen wie dem heutigen, klare, unmissverständliche Worte an die Entscheider in Brüssel mit der Botschaft zu richten: „Wer zoit, schafft o. Wer nimma zoin kann, der schafft uns a nix mehr o!“
Als ein Beispiel sprach Kaniber hier die Wiederherstellungsverordnung der EU an. Ihrer Meinung nach wird damit ein Eingriff ins Eigentum mit brutalen Auflagen realisiert. Dass es hierfür keine Entschädigungen mehr geben soll, sei keinesfalls hinnehmbar. Im wertschätzenden Schulterschluss mit den Almbauern sieht Kaniber konträr dazu sich und die Bayerische Staatsregierung, was auch der Hartnäckigkeit des Vorsitzenden der Almbauernvereinigung, Sepp Glatz, zu verdanken sei.
Insgesamt mehr als 4,3 Milliarden Euro aus verschiedenen Förderprogrammen und die Verdoppelung der Zuschüsse etwa für den Neubau von Kasern und Zuwegungen im Bergbauernprogramm sind, laut Kaniber, bestens angelegt und sollen auch die Wertschätzung gegenüber der Almwirtschaft ausdrücken.
Ministerin verspricht Hilfe und blickt aufs Jagdgesetz
Sie sagte aber auch allen Milchviehbetrieben bestmögliche Unterstützung zu, wenn es etwa um Stallumbauten geht, die durch die Tierschutzverordnung bedingt sind, inklusive Bestandsschutz. „Hört bitte nicht auf“, so ihr dringender Appell. Auch für den Waldumbau gibt die Staatsregierung jährlich um die 90 Millionen Euro aus.
Als weiteres Brandthema sprach Kaniber das derzeit im Umbruch befindliche Jagdgesetz an. Dies dürfe aber nicht nur die Bedürfnisse der Jägerschaft berücksichtigen, denn Jagdrecht sei Eigentumsrecht. Eine Regulierung des Wildes muss so vorgenommen werden, dass der Wald auch wachsen kann. Die derzeit bereits verhandelten Leitplanken sehen zum Beispiel flexible Jagdzeiten und individuell angepasste Abschusspläne vor. Zum Thema Wolf zeigt sich Kaniber sehr kämpferisch. Positiv ist hier, dass der Schutzstatus abgesenkt wurde.
Allerdings vertrete der Naturschutzbund Deutschland die Auffassung, dass sich der Wolf flächendeckend ausbreiten können muss. Dies bedeutet laut Kaniber im Endeffekt, dass Deutschland in Regionen aufgeteilt werden soll, damit sich die Rudel vom Norden in Richtung Süden, also Bayern, ausbreiten können. „Do wer ma sicherlich ned zuaschau’n“ und Druck im Koalitionsausschuss machen, versprach die Ministerin, denn die Alpen sind das größte zusammenhängende Freiweidegebiet der Welt.
Freiweidegebiete
vor dem Wolf schützen
Dies gilt es mit allen Mitteln und unter allen Umständen zu schützen. Ein erster Schritt wurde mit der Forderung, ein grenzüberschreitendes Monitoring mit den Alpenländern für Wolfspopulationen einzuführen, getan. Es brauche weiter dringend einen jährlichen Abschussplan, nicht nur für Problemwölfe. Am Schluss brach die Ministerin eine Lanze für die Almwirtschaft. Jeder Verbraucher, alle, die vom Tourismus leben oder die Alpen in der Freizeit nutzen, sollten jeden Tag bei den Almbauern und Sennleuten Danke sagen für ihr Engagement und ihre harte Arbeit zum Erhalt dieser einzigartigen Kulturlandschaft. Leider sei den wenigsten politischen Akteuren bewusst, dass die zweitstärkste Wertschöpfung und Wirtschaftskraft aus der Landwirtschaft, egal welcher Betriebsgröße, kommt, so Kaniber.