Rosenheim – So dick wie im Oktober kam es im Alpen-Grenzverkehr schon lange nicht mehr. Am Tag der Deutschen Einheit staute sich der Verkehr auf italienischer Seite vom Brenner bis nach Trient. Am vergangenen Dienstag eskalierte die Situation auf deutscher Seite komplett. Durch die Lkw-Blockabfertigung staute sich der Verkehr weit zurück, am Nachmittag mussten Autofahrer auf der Inntalautobahn südlich von Rosenheim mit bis zu viereinhalb Stunden Zeitverlust rechnen.
Nördlich wie südlich des Brenners ist die Stimmung angespannt. Die Bayern sind sauer auf die Tiroler, die immer wieder Blockabfertigungen verhängen. Die Tiroler begründen das – im geplanten Fall – mit notwendigem Verkehrsmanagement und EU-Vorschriften. „Spontane Dosierungsmaßnahmen“ verhängen sie oft nach Unfällen.
Allerdings machen die Tiroler kaum ein Hehl daraus, dass sie die Blechlawine im Allgemeinen und Deutschlands Zaudern beim Brenner-Nordzulauf im Besonderen auf die Palme bringt. Die Italiener wiederum sind in puncto Blockabfertigung einer Meinung mit den Deutschen: Was die Tiroler machen, geht gar nicht. Italien hat Österreich deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt.
Was die Logistikbranche im Freistaat aktuell so erzürnt: Bayern hatte zuletzt ein Angebot zur Güte gemacht. Keine Kontrollen bei der Überfahrt nach Bayern am Einheits-Feiertag. Die Bayern hatten dafür sogar beim Bundesinnenministerium angeklopft. Vielleicht, so die Hoffnung, könnten die Tiroler den Bayern dafür bei den Fahrverboten entgegenkommen. Taten sie aber nicht. „Eine Katastrophe“, sagt Stephan Doppelhammer, Geschäftsführer beim Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmer, auf Anfrage des OVB. Er schüttelt den Kopf angesichts der Tiroler Sturheit.
Doppelhammer hatte bereits im September eine Erklärung vorbereitet, in der von einem tirolerisch-bayerischen „Pilotprojekt“ die Rede war. Umso größer war sein Ärger nach den Einschränkungen – Konfrontation statt Kooperation. Tirols Verkehrslandesrat René Zumtobel kontert allerdings. Es hätten keine „rechtsverbindlichen Erklärungen“ vorgelegen, nach denen das zuständige österreichische Bundesministerium „die mögliche Aufhebung des Fahrverbotes und die daraus resultierenden Folgen verlässlich hätte prüfen können.“ Das Verkehrsministerium in Wien sei es aber, das für das Feiertagsfahrverbot zuständig sei. Und nicht Tirol. Im Übrigen hätten auch die Menschen in Tirol zu leiden, sagte Zumtobel dem OVB. Am vergangenen Mittwoch sei es zum Beispiel ein Lkw-Unfall auf italienischer Seite gewesen, der auf österreichischer Seite einen Rückstau bis weit über die Luegbrücke hinaus verursacht habe.
Das Stressniveau steigt. Und so sieht es aus, als bewegten sich die alpinen Beziehungen auf einem Tiefpunkt. „Die Situation scheint festgefahren zu sein“, sagt auch Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher auf OVB-Anfrage. „Dies macht es auch für die einzelnen Parteien scheinbar unmöglich, auch nur kurzfristige und zeitlich begrenzte Kompromisse einzugehen.“ Klingt nicht, als würde Kompatscher auf einfache Lösungen hoffen.
Auch Fachleute aus Bayern glauben nicht mehr an eine schnelle Lösung. Georg Dettendorfer aus Nußdorf ist eine Größe in der Branche und sitzt als Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Tirols Wunsch sei es, den Transitverkehr zu vermindern. Für dieses Ziel werde Tirol weiter Druck ausüben und keinesfalls vor einem europäischen Gerichtsurteil „Verhandlungsmasse“ preisgeben. An der Blockabfertigung und Fahrverboten werden sie so lange nicht rütteln, meint Dettendorfer. „Würde ich auch nicht machen, solange über die Klage Italiens noch nicht entschieden ist.“
Nach Auskunft des Bayerischen Verkehrsministeriums ist im Frühjahr 2026 mit einem Urteil zu rechnen. Schon seit der Stellungnahme des EuGH 2024 sei absehbar, dass Österreich gegen EU-Recht verstoße. „Die Chancen stehen daher gut, dass die Klage Italiens Erfolg haben wird“, sagt ein Sprecher des Ministeriums.
Keine Hoffnung
auf eine schnelle Lösung
Die Hoffnung auf ein Ende der Blockabfertigung dürfte aber auch danach vergeblich sein. „Es wird leider nicht so sein, dass ein Urteil eine unmittelbare Lösung bringt – weder für die eine noch für die andere Seite“, sagt Landeshauptmann Kompatscher.
Umso wichtiger sei es, „dass sich die drei betroffenen Nationalstaaten an einen Tisch setzen und gemeinsam nach Strategien und Maßnahmen suchen, die es ermöglichen, Verkehrsfluss und -sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig die Anrainer zu schützen, indem die Lärmbelastung und Luftverschmutzung reduziert werden“, sagt Kompatscher.
Damit spielt der Südtiroler Spitzenpolitiker unter anderem auf die „Kufsteiner Erklärung“ an, in der sich Bayern, Tirol und Südtirol 2022 auf ein digitales Verkehrsmanagement verabredeten. Darauf setzen offiziell auch Tirol und Bayern. Etwa in Gestalt des Bayerischen Verkehrsministers, der sich im Sinne der „Kufsteiner Erklärung“ äußert. „Für tragfähige Lösungen müssen alle an einem Strang ziehen: die EU-Kommission, Bundesstaaten, Regionen, Bahnen, Autobahnen und die Wirtschaft“, sagte Christian Bernreiter dem OVB. „Das ist anspruchsvoll, aber anders wird es nicht gehen. Österreich darf die Verkehrsprobleme am Brenner nicht einfach auf seine Nachbarn abwälzen.“
Das Problem daran: Nicht nur Österreich, sondern auch Deutschland und Italien zeigten sich bisher kaum interessiert an einer Lösung wie dem digitalen Slot-System für Lkw-Fahrten. Ohne Vertrag zwischen den dreien ist ein solches Projekt aber nicht zu machen. Staus im Inntal und weit darüber hinaus: Das wird auch für 2026 und lange darüber hinaus zu erwarten sein.