Erl/Inntal – Gerade einen Monat ist es her, dass in Erl die Passionsspiele zu Ende gingen: Die Bärte sind wegrasiert und die Haare geschnitten, die Bühne ist abgebaut und nun ist erst einmal für fünf Jahre Passions-Pause. Doch auch wenn das Passionsspielhaus verschlossen und die Beflaggung entfernt ist, das Spiel wirkt nach, ist präsent, immer noch Gesprächsthema Nummer eins in Familien und unter Freunden. Wie sollte es auch anders sein, wenn ein Drittel der Einwohner des Dorfes Erl von Mai bis Oktober insgesamt 34-mal gemeinsam auf und hinter dieser großen Bühne stehen, auf der die wohl berühmteste Geschichte der Menschheit aufgeführt wird, das Leiden und Sterben und die Auferstehung von Jesus Christus.
Junge Familienväter
– mitten im Beruf
Zwei von ihnen sind Christoph Esterl und Stefan Pfisterer, die beiden Jesus-Darsteller. Zwei ganz normale junge Familienväter, mitten im Berufsleben, 38 und 33 Jahre alt. Ungefähr das Alter, das man Jesus Christus zuschreibt, als er seinen Leidensweg angetreten ist. „Dass man so eine Aufgabe annimmt, steht als Passionsspieler außer Frage. Wir hatten hundertprozentigen Rückhalt unserer Familien, die natürlich mitgespielt haben.“ Die beiden haben sich abgewechselt, da diese Rolle mit einer enormen körperlichen Anstrengung verbunden ist, doch waren alle zwei bei jeder der 34 Aufführungen da. „Der, der gerade nicht der Jesus war, hat in der Szene der Geburt Jesu den Josef an der Seite von Maria gespielt.“ Das heißt, ein ganzer Sommer ohne ein freies Wochenende, bei strahlendem Sonnenschein, wo andere mit ihren Kindern an den Badesee oder auf den Berg gehen und in den Sommerurlaub fahren, mittags zusammenpacken und ab ins Passionsspielhaus, mit Kind und Kegel. Hadert man da doch nicht manchmal? „Das ist überhaupt kein Kriterium für einen Erler Passionsspieler, egal ob Jesus-Darsteller oder mit einer anderen Hauptrolle, im Volk oder im Orchester, hinter oder auf der Bühne, jung oder alt, da sind wir vom ersten Probentag an eine Einheit, eine große Familie und wir freuen uns auf jede Aufführung. Eine zusammengeschweißte Gemeinschaft, bei der wir auch viel Spaß miteinander haben,“ ergänzen die beiden. Zusammen geschweißt gilt auch für Christoph und Stefan, die von Kindesbeinen Teil der großen Passionsfamilie sind. Und wirklich ziemlich beste Freunde. „Wir haben uns von Anfang an vorgenommen, dass wir nicht in Konkurrenz gehen, uns nicht streiten.“ 95-mal sind die beiden seit Oktober 2023 zusammen in die Probe geradelt, keine unter vier Stunden. Jedes Mal seien sie erfüllt herausgegangen, haben ein Bier zusammen getrunken und sich auf die nächste gefreut.
Natürlich gebe es von außen Vergleiche und natürlich spielen wir den Jesus auf unterschiedliche Weise, da habe der Regisseur Martin Leutgeb viele Freiheiten gelassen. „Doch am Ende geht es um die Botschaft, um diesen unglaublichen Akt der Selbstaufgabe, die die Geschichte von Jesus erzählt.“ 34 Aufführungen mit „standing ovations“ und immer „Großer Gott, wir loben dich“, gesungen von insgesamt 40000 Zuschauern gingen doch bestimmt nicht an einem vorbei, könne man da überhaupt sofort zur Tagesordnung übergehen? „Wir haben beide voll durchgearbeitet“, erzählt Christoph Esterl, im wirklichen Leben Leiter einer Bankfiliale in Niederndorf und Vater von zwei Kindern, „und natürlich schwingt da sehr viel nach“, ergänzt Stefan Pfisterer, ebenso zweifacher Vater und Elektroniker, der in früheren Passionsspielen eher in der Technik mitgewirkt hat. „Ja, auch Wehmut, dass es vorbei ist, doch in erster Linie froh und stolz, dass man es geschafft hat, dass man diese Botschaft vermitteln durfte“ stimmen beide zu. „Aber irgendwann muss halt leider Schluss sein und wieder Zeit für die Familie, für Musik und Fußball.“
Was sei denn einer der größten Momente während des Spiels? „Einer ist eindeutig der Einzug in Jerusalem, da sind wir jedes Mal wie ein Superstar empfangen worden, die leuchtenden Augen der Kinder, wenn einer von uns in Begleitung des Passionsesels einzieht. Da kann es schon mal sein, dass wir einem Kind die Hand auflegen und handeln, wie Jesus es als der Heilsbringer getan hätte, oder jemand die Hand geben, der sie uns entgegenstreckt. Da sieht man, welch große Sehnsucht in den Menschen steckt.“ Einmal habe eine glückliche Mama angerufen und erzählt, wie sehr sich ihr Kind über diese kleine Geste gefreut habe.
Doch die Darstellung von Jesus Christus verlangt auch einen enormen körperlichen Einsatz, wie schafft man es, so lange am Kreuz durchzuhalten? „Es gibt kleine Griffe zum Festhalten und ein Brett, wo man die Füße draufstellen kann, mit der Zeit schlafen die Hände ein, aber man entwickelt da so seine eigene Strategie, wir haben im Vorfeld viel für unsere Fitness getan und beide zehn Kilo abgenommen, schließlich steht man auch ständig unter Beobachtung.“ Sie zeigen ein Bild vom Oberkörper mit Striemen, verursacht durch die Peitschenhiebe. „Ja, das kann schon mal vorkommen, dass ein Hieb nicht daneben geht und das gehört irgendwie dazu. Es soll alles so realistisch wie möglich sein.“ Und man dürfe keine Höhenangst haben, ergänzen Stefan und Christoph. „Wenn das erste Mal die Kreuzigungsszene geprobt und das Kreuz aufgestellt wird, wird’s einem schon ein bissl schwindelig.“
Wie Stefan Pfisterer und Christoph Esterl als Buben, sitzen jetzt auch ihre eigenen Kinder im Bühnengraben und verfolgen jede Szene mit, wenn sie nicht mit dem Volk und der Mama auf der Bühne stehen. Denn der Passionsspielgeist, der Spirit, wird den Erlern in die Wiege gelegt, den bekommen sie mit der Muttermilch oder mit den Genen. Wie denn die eigenen Kinder damit umgehen, wenn sie sehen, dass ihr Vater geschlagen und gekreuzigt wird? „Bei diesen Szenen sind Kinder unter 14 Jahren, auch die eigenen, ausgeschlossen. Natürlich wissen unsere Kleinen, was da passiert, aber sie müssen es ja nicht mit eigenen Augen ansehen.“
Erfüllt von
großer Dankbarkeit
Eine 2000 Jahre alte Geschichte über einen Friedenstifter und Heilsbringer, die seit über 400 Jahren in Erl als großes Spiel beheimatet ist, was macht es mit einem, wenn man selbst Jesus Christus darstellt? „Wir sind gläubige Christen, auch wenn wir es mit dem Kirchgang nicht so genau nehmen. Wenn wir das alles nicht glauben würden, wäre es schwierig, diese Rolle zu spielen,“ sind sich die beiden einig. Und was würdet ihr als Jesus den Menschen heute sagen? „Jeder sollte aus dem Spiel anders herausgehen, eine veränderte Sichtweise haben. Mit unserer Darstellung wollen wir zum Nachdenken anregen, vielleicht zu einem bewussteren Umgang miteinander.“ Christoph Esterl und Stefan Pfisterer sehen mit großer Dankbarkeit auf die Passionsspielzeit 2025 zurück. „Es ist ein großes Geschenk, dass man Teil dieser Geschichte sein und die Menschen begeistern darf.“ Bestimmt wird im Herbst 2029, also eineinhalb Jahre vor Beginn der Passionsspiele 2031, feststehen, wer als Jesus auf der Bühne stehen wird und vielleicht sind es dieselben Darsteller wie heuer. Ob sie denn bereit wären? „Ja“, sind sich Christoph und Stefan einig, „auf alle Fälle“.