Irschenberg – Es gab diesen einen Moment nach ihrem Sieg bei den Olympischen Spielen in Vancouver, an den sich Magdalena Neuner noch ganz genau erinnern kann. „Ich saß auf meinem Bett, mit meinen Medaillen in der Hand, und habe nichts gespürt“, sagt die ehemalige Biathletin. „Ich hatte keinerlei Emotionen. Ich habe mir meinen größten Traum erfüllt und absolut nichts gefühlt.“
Neuner ist die Schirmherrin der „Peak Performer Stiftung“ und hat an diesem Abend zum Gespräch eingeladen. Gemeinsam mit Jessica von Bredow-Werndl, Olympiasiegerin im Dressurreiten, Yves Becker-Fahr, Vertriebsleiter bei Audi, und Mirko Gruber, Vorstandsmitglied der „meine Volksbank Raiffeisenbank eG“, sprach sie im Café Dinzler am Irschenberg unter anderem über das Thema Leistung – und wie Olympia ihr Leben verändert hat.
Mentales Loch nach
dem größten Triumph
Das Phänomen, von dem Neuner berichtet, wird oft als Post-Olympic-Blues bezeichnet. Als mentales Loch nach Olympia. „Man denkt nie, dass es einem passiert. Und dann passiert es trotzdem“, sagt Neuner. Sie selbst sei nach ihrem Olympiasieg kraftlos gewesen, unmotiviert. „Ich hab sehr lange gebraucht, um aus diesem Loch wieder rauszukommen.“
Ähnliches berichtete an diesem Abend Jessica von Bredow-Werndl. Auch die deutsche Dressurreiterin fiel nach den Olympischen Spielen in Tokio in ein tiefes Loch. „Ich war komplett emotionsleer“, sagt sie. Warum sie sich so fühlte, habe sie lange Zeit nur vermuten können. „Ich dachte, es liegt an den extremen Emotionen, die ich davor gefühlt habe.“ Sie erzählt von der „unfassbaren Vorfreude“, der „großen Versagensangst“ und der Trauer darüber, dass sie ihr Kind nicht mitnehmen konnte. „All diese Emotionen wurden auf ein Hundertfaches potenziert“, sagt die viermalige Olympiasiegerin.
Nach dem Sieg in Tokio sei sie nach Hause geflogen, anschließend ging es in den Urlaub. „Ab diesem Zeitpunkt habe ich nichts mehr gefühlt“, sagt sie. Sie habe sich weder freuen können, noch sei sie traurig gewesen. Sechs Monate habe es gedauert, bis sie wieder Inspiration gefunden habe. „Funktioniert habe ich trotzdem, aber ich konnte nichts weiterentwickeln“, erinnert sich von Bredow-Werndl.
Die Dressurreiterin gab an diesem Abend tiefe Einblicke in ihr Leben als Leistungssportlerin. „Ich liebe es, Leistung erbringen zu dürfen“, sagte sie. Nicht nur im Sport, sondern auch im Alltag. Als Mama, Leiterin eines Unternehmens und Pferdehalterin.
Wollte den Sport an
den Nagel hängen
Sie erzählte den rund 100 Zuschauern davon, wie wichtig es sei, Ziele zu haben. Sie selbst wusste bereits im Alter von elf Jahren, dass sie Olympiasiegerin werden will. Dass der Weg dahin alles andere als einfach war, daraus machte die 39-Jährige an diesem Abend kein Geheimnis. „Sechs Jahre lang hatte ich gar keinen Erfolg“, sagt von Bredow-Werndl. In dieser Zeit habe sie sogar mit dem Gedanken gespielt, den Sport an den Nagel zu hängen. Letztendlich entschied sie sich dann aber doch dafür, noch einmal „all in“ zu gehen. „Ich habe sehr viel investiert“, sagt sie. Wenn sie nicht schlafen konnte, habe sie analysiert. Immer wieder habe sie sich Aufnahmen von den besten Dressurreitern der Welt angeschaut, habe geschaut, was sie von den Top-Sportlern auf der Weltrangliste unterscheidet.
„Ich habe ständig meine Komfortzone verlassen und habe angefangen, mich mit den Besten zu messen“, erinnert sie sich. 2019 habe sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass sie das Potenzial habe, „ganz oben zu stehen“. Jessica von Bredow-Werndl sollte recht behalten. Bei den Olympischen Spielen in Tokio gewann sie gleich zwei Goldmedaillen – eine mit der Mannschaft und eine in der Einzelwertung.
2024 wiederholte sie ihren Erfolg, dieses Mal in Paris. „Es war eine sehr harte und intensive Zeit, die mich wahnsinnig geprägt hat und mich jetzt wieder von Neuem prägt“, sagt von Bredow-Werndl. Denn weil ihr Pferd Dalera in den Ruhestand gegangen ist, wird sie derzeit nicht mehr in der Weltrangliste geführt. „Ich will wieder oben stehen“, sagte sie.
Hohe Erwartungen an sich selbst hatte auch Magdalena Neuner. Mit zwei olympischen Goldmedaillen und zwölf Weltmeistertiteln hat sie fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gab, bevor sie mit 25 Jahren ihre Karriere beendete.
Wenn andere aufgeben,
zusätzliche Schritte gehen
„Ich habe immer mit Männern trainiert“, sagte Neuner. Dadurch habe sie die Möglichkeit gehabt, sich täglich „an den Besten zu messen“. Nur so habe sie es an die Spitze geschafft. Sie sei schon immer gut darin gewesen, über ihre persönlichen Grenzen zu gehen. „Wenn viele nicht mehr konnten, habe ich noch zwei Schritte mehr gemacht“, sagte Neuner.
Weil sie den Sport so sehr geliebt hat, sei ihr das nie schwergefallen. „Ich hatte nie das Gefühl, dass mir das Energie genommen hat“, sagt sie. Doch mit dem Erfolg nahmen auch die Interviews zu, die Veranstaltungen und die Fans. „Das kann einem unter Umständen den Stecker ziehen“, sagt sie. Für sie ein Beispiel dafür, dass die Dinge, die man mit Leidenschaft und Begeisterung tut, die Akkus auffüllen. Alles andere hingegen raube Energie. „Genau diese Erfahrung habe ich gemacht. Körperlich und mental konnte ich nicht mehr“, erinnert sie sich. Während Neuner und Jessica von Bredow-Werndl vor allem über ihre Erfahrungen rund um Olympia und den Leistungssport berichteten, gaben Yves Becker-Fahr und Mirco Gruber Einblicke in die Wirtschaft. Diskutiert wurde unter anderem darüber, ob die Leistungsbereitschaft bei jungen Menschen abnimmt, die Work-Life-Balance, Homeoffice und wie wichtig es ist, sich auch im Büroalltag immer neue Ziele zu setzen. Ähnlich wie beim Leistungssport.
Neues Leistungsprinzip
vermitteln
Es war nur ein kleiner Einblick in einen Abend, der ganz im Fokus der „Peak Performer Stiftung“ stand. Als Schirmherrin kümmert sich Magdalena Neuner darum, dass Kindern und Jugendlichen ein neues Leistungsprinzip vermittelt wird, in dem nicht Druck dominiert, sondern die Freude an der Leistung erzeugt werden soll. Sie lehrt den Nachwuchs, wie wichtig es ist, sich manchmal zu quälen.
Und was man vom Scheitern lernen kann. Und vielleicht auch, wie man mit Momenten umgeht, in denen man voller Freude sein sollte, aber absolut nichts fühlt. Wie damals, kurz nach dem größten Erfolg ihrer sportlichen Karriere. Als sie auf dem Bett saß, mit ihren Olympiamedaillen in der Hand und absolut nichts spürte.