„Jemanden umbringen? Geht gar nicht!“

von Redaktion

Zeugin beschreibt im Hanna-Prozess das Chaos im Freundeskreis nach dem Schock

Aschau/Laufen – Vermutlich hätten nur wenige Menschen gedacht, dass da noch etwas zu machen sei. Dass dem Gerät, das eine Spaziergängerin am 28. Mai 2023 aus der Prien fischte, noch Informationen zu entlocken seien. Hannas Apple-Mobiltelefon, mit Algen bewachsen, Steinchen im Gehäuse, das Innenleben korrodiert, das Display zersplittert. „Man konnte sehen, dass es oft aufgeschlagen ist“, sagte der Digitalforensiker Gregory Kochneff am elften Verhandlungstag des Eiskeller-Prozesses in Laufen aus.

In solch schwierigen Fällen nehmen Spezialisten Anleihen bei der Grusel-Weltliteratur. Sie machen so etwas wie eine „Frankenstein-Aktion“, wie Kochneff ausführte: Sie bauen die entscheidende Platine, das Gedächtnis, aus dem zerstörten Gerät aus und setzen sie einem anderen Gerät ein. Und so „sprach“ Hannas Handy doch noch. Acht Monate, nachdem es in die Prien gefallen war.

Hannas Handy:
Was verraten die Daten?

Helfen die Daten bei der Neuauflage des Hanna-Prozesses, Licht in die frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022 fallen zu lassen? Hanna Wörndl, 23 Jahre alt, hatte im Club „Eiskeller“ in Aschau mit Freunden gefeiert. Kurz vor halb drei morgens verließ sie den Club und machte sich zu Fuß auf den Weg in ihr Elternhaus, etwa 885 Meter entfernt. Dort kam sie nie an. Sie wurde vom Bärbach in die Prien gerissen und ertrank.

Doch wie war sie in den Bärbach gelangt? Sah sie sich von einem Angreifer bedroht? Darauf deutet ein Anruf hin, den sie laut Kochneffs Ermittlungen um 2.32 Uhr absetzte – an den Notfallkontakt „Papa“. Der Anruf drang nicht durch. Warum? War das Guthaben im Prepaid-Handy erschöpft, sodass es bei ihren Eltern womöglich nicht mal klingelte? Und hatte Hanna den Notruf überhaupt bewusst abgesetzt? Oder kam es versehentlich dazu? Ein Video, das die Verteidigung am Nachmittag präsentierte, lässt darauf schließen, dass auch der Kontakt mit Wasser einen Notruf auslösen kann. War es im Fall Hanna ebenso?

Das alles konnte gestern in Laufen, an Tag elf des Prozesses, nicht wirklich geklärt werden. Das Verfahren ging sozusagen in den Tausenden und Abertausenden Zeilen des Handy-Protokolls auf den Bildschirmen im Gerichtssaal unter, mit dem Kochneff immerhin dokumentieren konnte, welch komplizierten Wunderwerke solche Smartphones sind. Man erlebt verschiedenste Zeugen in einem solchen Mammutprozess. So zu Hause wie die erste Zeugin des elften Tages fühlt sich in der einschüchternden Atmosphäre des Gerichts kaum jemand. Anna D. schien ihren Auftritt zu genießen. Einmal nieste bei den Zuschauern jemand, die Zeugin wünschte, ohne sich umzudrehen oder den Fluss ihrer Rede zu unterbrechen, „Gesundheit!“.

Gab es doch ein
Gespräch am 3. Oktober?

Anna D. gehörte als damalige Freundin des Ausbildungskollegen von Sebastian T. zu dem Bekanntenkreis, dem auch T. angehörte. Sie äußerte sich über ihr Verhältnis zur Belastungszeugin Verena R. – die beiden jungen Frauen scheinen einander in lebhafter Abneigung gegenübergestanden zu haben. Anna D.s Schilderungen, auch die Chat-Nachrichten auf ihrem Handy belegen die Verwerfungen, die sich nach dem 3. Oktober in der losen Gruppe auftaten.

Eine Sprachnachricht von Verena R., die sie am Gericht übers Mikro von ihrem Smartphone abspielte, ließ aufhorchen. Sie sei nicht in der fatalen Nacht auf den 3. Oktober mit dem T. unterwegs gewesen, erzählt Verena R., sondern erst am Abend drauf. Und noch deutlicher: „Montagabend, um acht, halb neun.“

Das wäre dann tatsächlich der Abend des 3. Oktober, als außer Polizei und Rettern noch niemand wusste, dass Hanna womöglich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Hat an jenem Abend Sebastian T. die seltsame Frage gestellt, von der Verena R. gegenüber der Polizei wiederholt gesprochen hatte: Hast gehört, in Aschau ist ein Mädchen ermordet worden?

Diese Frage war es gewesen, die Sebastian T. ins Fadenkreuz der Ermittler rückte. Allerdings erwies sich Verena R. durch zahlreiche Widersprüche und Erinnerungslücken mehrmals als schwache Zeugin. Zudem widerrief sie einem Freund, ihrer Schwester und ihren Eltern gegenüber, dass das verräterische Gespräch am 3. Oktober stattgefunden hätte. Auch Anna D. waren die widersprüchlichen Mitteilungen von Verena R. „suspekt“ erschienen. Sie hatte daher sogar die Polizei von den Chat-Nachrichten informiert.

Woher rührt die Verwirrung? Verena R. befürchtete offenbar, selbst eines Mordes verdächtigt zu werden. Brachte sie in ihrer Panik noch mehr durcheinander? In einer Sprachnachricht an Anna D. beteuerte sie geradezu rührend unbeholfen ihre mangelnde Eignung für einen Mord: „Ich hasse es, wenn jemand jemanden umbringt. Das geht gar nicht.“

Hanna-Prozess könnte
sich bis 2026 ziehen

Der Prozess wird am heutigen Donnerstag um 9.30 Uhr fortgesetzt. Es sind zwei weitere Zeugen aus dem Bekanntenkreis als Zeugen geladen. Den Nachmittag könnte das Gericht, ein entsprechendes Zeitpolster vorausgesetzt, dazu nutzen, den weiteren Fortlauf des Prozesses zu besprechen.

Tage wie gestern verstärken die Zweifel, dass der Prozess bis zum angesetzten letzten Verhandlungstag am 19. Dezember abzuschließen ist: Hanna Wörndls Tod ist und bleibt ein Rätsel, dessen Detailfragen – wenn überhaupt – außergewöhnlich schwierig zu beantworten sind.

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