Rosenheim – Dr. Thomas Strohschneider beobachtet die Entwicklung in Deutschland und in der Region Rosenheim mit Sorge. Der Facharzt für Allgemein- und Gefäßchirurgie hat über Jahre in leitenden Positionen gearbeitet, zuletzt als Chefarzt für Gefäßchirurgie an einer privatwirtschaftlich geführten Klinik in Stuttgart. Heute lebt und arbeitet er in der Nähe von Stuttgart und engagiert sich in der Gesundheitspolitik. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen erklärt er, warum die „ausgewogene flächendeckende Krankenhausversorgung in Gefahr ist“.
Kann die Schließung von Fachabteilungen einer Klinik zu einem Qualitätsverlust in der medizinischen Versorgung einer ganzen Region führen?
Seit Jahren verfolge ich bundesweit die Welle der Klinikschließungen, die Privatisierungen sowie die Dramen und Konsequenzen, die sich daraus für die Mitarbeiter und die Bevölkerung im Hinblick auf die regionale medizinische Versorgung ergeben.
Die Schließung oder gravierende Umstrukturierung eines Krankenhauses bedeutet immer einen Qualitätsverlust in der medizinischen Versorgung der jeweiligen Region. Und es ist schlichtweg eine Täuschung der Bevölkerung, zu behaupten, mit medizinischen Versorgungszentren, intersektoralen Zentren oder Ärztehäusern könne man die qualitativ gleiche Basis-, Grund- und Regelversorgung der Menschen auch weiterhin garantieren.
Wo liegt Ihrer Meinung nach das größte Problem unserer Krankenhauslandschaft?
Das deutsche Gesundheitssystem hat viele Schwachstellen, doch vor allem eine tödliche Achillesferse: die Kommerzialisierung. Beginnend 1985 wird das Krankenhauswesen zunehmend dem freien Markt überlassen. Es wurde rechtlich möglich, mit Krankenhäusern Gewinne zu machen und kommunale Krankenhäuser an private Träger zu verkaufen – teilweise für eine Mark. Die zuvor angehäuften Schulden blieben aber in aller Regel bei den Kommunen. Heute gehören 40 Prozent der Kliniken in Deutschland privaten Klinikkonzernen.
Gewinne können doch aber in die Kliniken reinvestiert werden. Wo sehen Sie das Problem?
Das Problem ist, dass die Leistungen der privaten Kliniken zwar aus der Gemeinschaft der Krankenversicherer bezahlt werden, daran aber keinerlei Verpflichtungen für den privaten Träger geknüpft sind. Die Gewinne müssen nicht komplett in die jeweiligen Krankenhäuser reinvestiert werden. Vielmehr fließt ein nicht unerheblicher Teil der Gewinne an international agierende Anteilseigner. Die drei größten privaten Klinikbetreiber in Deutschland – Helios, Asklepios und Sana – haben im vergangenen Jahr zusammen einen Gewinn von einer Milliarde Euro gemacht. Man muss sich einmal klarmachen, was das bedeutet: Private Klinikkonzerne bauen mit Geld aus dem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem Milliardenvermögen auf und schütten Rendite an internationale Anteilseigner und Aktionäre aus.
Welche Folgen hat es, wenn private Klinikträger keine Verantwortung für die medizinische Grundversorgung vor Ort übernehmen müssen?
Private Träger können weitgehend frei entscheiden, welche medizinischen Sparten sie anbieten wollen und welche nicht. Und so können sie natürlich auch defizitäre Abteilungen schließen, bei der Patientenauswahl selektieren, sich auf profitversprechende Krankenhäuser und Abteilungen spezialisieren oder sich auf möglichst gut planbare Patientenströme konzentrieren. Nach dem Motto: Das, was gewinnversprechend ist, behalten oder ausbauen. Das, was defizitär ist, aus dem Angebot streichen.
Sie waren viele Jahre in leitenden Positionen an privaten Kliniken tätig, acht Jahre als Chefarzt einer Gefäßchirurgie. Wie haben Sie den wirtschaftlichen Druck auf die Mediziner erlebt?
Private Betreiber geben den Fachabteilungen ihrer Kliniken hohe Gewinnmargen vor. Über Abteilungen, die diese nicht erreichen, schwebt ständig das Damoklesschwert der Schließung. Die wirtschaftlichen Zahlen der Klinik müssen die Konzernvorgaben erfüllen. Das ist ein enormer Druck von oben bis nach unten zum kleinsten Arzt, der schon bei der Patientenaufnahme checken muss, wie der Patient am gewinnbringendsten abgerechnet werden kann. Eine schwarze Null reicht da nicht.
Liefert die Krankenhausreform zusätzliche Gründe, um defizitäre Abteilungen zu schließen?
Mit der Krankenhausreform werden weitere Spezialisierungen und Konzentrationen angestrebt. Krankenhausträger müssen also damit rechnen, dass ihnen Abteilungen, die sich bisher ökonomisch gut abbildeten, verloren gehen, die schlecht finanzierten Abteilungen aber verbleiben und somit das Minus noch größer wird. Die privaten Träger können gegensteuern, indem sie sich im Wettbewerb auf dem Gesundheitsmarkt auf die lukrativen Bereiche konzentrieren und die defizitären Abteilungen rechtzeitig dichtmachen.
Wie können die kommunalen Kliniken auf die Unterfinanzierung der Krankenhausleistungen reagieren?
Die öffentlich-rechtlichen Kliniken können sich auf dem Markt nicht frei bewegen. Und so stehen die Verlierer von vornherein fest. Landkreise und kreisfreie Städte sind verpflichtet, für ihre Bevölkerung eine ausreichende und medizinisch notwendige Versorgung im Krankenhausbereich zu garantieren. Deshalb müssen sie auch die weniger lukrativen, aber trotzdem für die medizinische Versorgung unverzichtbaren Bereiche erhalten. Viele Kliniken werden Opfer dieser desaströsen Krankenhauspolitik – geschuldet der Politik der Vergangenheit und der jetzigen Gesundheitspolitik. Sie stehen vor dem wirtschaftlichen Aus oder sind von Insolvenz betroffen. Es wird, vor allem wenn die Pläne der Bundesregierung weiter umgesetzt werden, noch viele Kliniken treffen, vor allem kleinere und mittlere sowie Kliniken in ländlichen Regionen.
Ist die medizinische Versorgung in Gefahr?
Ja, die Medizin – insbesondere eine ausgewogene, flächendeckende Krankenhausversorgung – ist in Gefahr. Wenn sich das Finanzierungssystem nicht ändert, sind die öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser, aber auch die Kliniken in karitativer und kirchlicher Trägerschaft die Verlierer. Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens wird zu einer schweren Beeinträchtigung unseres auf Daseinsfürsorge ausgerichteten Gesundheitswesens führen.
Kathrin Gerlach