Aschau/Laufen – Für viele Prozessbeobachter brachte der Abschluss des zwölften Prozesstages eine faustdicke Überraschung: Richterin Heike Will unterbrach die Hauptverhandlung für etwa 20 Minuten und schickte Zuschauer und Presse ins Foyer des Amtsgerichts. Was drinnen, im Großen Saal, zwischen Kammer, Verteidigung und Staatsanwaltschaft besprochen wurde, blieb drinnen. Weder Gericht noch Staatsanwaltschaft Rosenheim und die Verteidiger Regina Rick und Dr. Yves Georg äußerten sich zum Inhalt des Gesprächs.
Hanna-Prozess:
Was wurde da beredet?
Auch die Mitteilung des Landgerichts Traunstein geizt mit Details. Die Beteiligten des Prozesses seien übereingekommen, „dass die nächsten drei Termine entfallen und das Verfahren erst am 25. November fortgesetzt wird“, heißt es in dem Schreiben von Gerichtssprecherin Cornelia Sattelberger. Bis zu diesem Zeitpunkt wollen alle Beteiligten auch mit Behördenleitung und Angeklagten abklären, wie es weitergehen soll. Erst dann wird es also etwas Neues zu erfahren geben – es sei denn, es ergibt sich vorher etwas: „Sollte es vor dem 25. November allgemein bekannt werden, wie die weiteren Verhandlungstage aussehen werden“, folgten weitere Informationen, schreibt Sattelberger.
Das klingt nach dem, was landläufig „Deal“ genannt wird. Verteidiger Dr. Yves Georg winkt ab. „Solche ,Deals‘ sind nach der Strafprozessordnung ganz und gar unzulässig. Und das Gespräch über den Fortgang des Verfahrens kam nicht überraschend, die Vorsitzende hatte es schon im Oktober in öffentlicher Hauptverhandlung angekündigt.“ Was aber wurde dann besprochen? Yves Georg: „Dazu werden wir uns gegenwärtig nicht äußern.“
Tatsächlich sehen viele Beobachter einen Freispruch von Sebastian T. als wahrscheinlichsten Ausgang der Verhandlung. Keine Tatwaffe, keine direkten Tatzeugen, kein Geständnis – Indizien, indirekte Zeugen sind alles, worauf sich die Anklage stützt.
Doch da knirscht es. Die Aussage des Hauptbelastungszeugen, der im ersten Prozess um den Tod von Hanna Wörndl den Ausschlag gegeben und zur Verurteilung von Sebastian T. zu neun Jahren geführt hatte, war in der Neuauflage des Verfahrens von Gutachtern förmlich zerlegt worden.
So rückte die ursprüngliche Belastungszeugin Verena R. wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie hatte der Polizei im Herbst 2022 als Zeugin erzählt, dass Sebastian T. früh, schon am Abend des 3. Oktober 2022, von einem Mord in Aschau erzählt habe. So früh, dass nach Meinung der Polizei nur er als Täter in Frage kam.
Doch sind die Zweifel an diesem Gespräch mit Täterwissen nie verstummt. Verena R. gab das Gespräch in verschiedenen Versionen wieder, zudem soll es mal am Abend des 3. Oktober, mal am 4. oder gar erst am 5. Oktober in Aschau geführt worden sein.
Auch ihre Schwester Lea erinnerte sich an die überraschende Frage, die Sebastian T. tatsächlich am Abend des 3. Oktober gestellt haben soll: Ob sie gehört hätten, dass in Aschau ein Mord geschehen sei? Dieses Gespräch aber soll sich vor der Heimfahrt von einem Tischtennisspiel im Freundeskreis ereignet haben. Und zwar nicht in Aschau, sondern in Übersee.
Auch andere Bekannte aus dem Kreis um Sebastian T. verwickelten sich häufig in Widersprüche – oder konnten sich aktuell, drei Jahre nach der fatalen Nacht, in der Hanna Wörndl ertrank, nicht mehr wirklich erinnern.
Fragen warf zum Beispiel auch ein Messer auf, das Sebastian T. sehr geschätzt haben soll. Die Ermittler fanden es nie. Jedoch relativierte sich auch die Rolle dieses Messers im Laufe des neuen Prozesses ohnehin. Ein Zeuge sagte, Sebastian T. habe es stets bei sich gehabt. Dann sagte er, T. habe es öfter dabei gehabt. Und dann: Er habe gehört, dass Sebastian T. das Messer manchmal bei sich gehabt habe. Das wären in einer Vernehmung drei Versionen einer Beobachtung. Fazit: Klare Aussagen sind selten in diesem Fall, eine Richtung schwer zu finden.
Es steht zu bezweifeln, dass das Gericht von der Schuld Sebastian T.s zu überzeugen ist. Welche Zeugen sollten nun noch Klarheit in den Fall bringen? Ging es darum in diesem Rechtsgespräch? „Das ist Spekulation“, sagt Anwalt Walter Holderle. Er vertrat als Beistand von Hannas Eltern die Nebenklage im „Eiskeller-Prozess“. So lange, bis sich Hannas Eltern vor gut vier Wochen aus dem Prozess zurückzogen.
In den nächsten Tagen werden sich die Prozessparteien sicherlich darüber austauschen, welche Ergebnisse das Verfahren gebracht hat. Und welche noch zu erwarten sind. Ob es da Meinungsverschiedenheiten gibt oder ob man da einigermaßen nah beieinander liegt, erscheint vollkommen offen. „Sollten alle Beteiligten zur Überzeugung gelangen, dass eine weitere Beweiserhebung nicht mehr erforderlich ist, könnte dies natürlich dazu führen, dass das Verfahren früher beendet ist“, sagte Landgerichtssprecherin Cornelia Sattelberger. Keine weitere Beweiserhebung? Kann sich Rechtsanwalt Walter Holderle nicht vorstellen. Dies allenfalls dann, wenn die Verteidigung von ihrer „nie nachvollziehbaren Unfalltheorie“ abrücken würde.
Einigt man sich
auf Kompromiss?
Die Frage nach erwiesener Unschuld müsste das Gericht nicht unbedingt beantworten, juristisch gesehen ist Freispruch gleich Freispruch. „Es gibt strafprozessual keinen Freispruch erster und zweiter Klasse“, sagte Rechtsexperte Peter Dürr dem OVB schon vor Beginn des Prozesses.
Sattelberger zeigt aber auch noch eine weitere Möglichkeit auf: Es könne natürlich auch sein, dass die Beteiligten sich überlegen, welche Beweismittel sie nun noch erhoben haben wollen. Etwa, dass die Verteidigung nachdenkt, welche Gutachter sie für die Untermauerung der Unfallthese benötigt. Dann wären die nächsten zwei Wochen so etwas wie eine Denkpause.