Traunstein/Prien – Ein inzwischen 70 Jahre alter verheirateter Rechtsanwalt aus Baden-Württemberg führte ein Doppelleben – mit einem Liebesnest in Prien, in dem er sich mit jungen Männern vergnügte. Dabei wurde er am Wochenende 26./27. Juni 2024 Opfer einer Gewalttat. Die Täter, einen 24-jährigen Escort aus Venezuela und einen 32-jährigen Jamaikaner, verurteilte die Erste Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Heike Will zu jeweils siebeneinhalb Jahren Gefängnis – wegen erpresserischen Menschenraubs, besonders schwerer räuberischer Erpressung und besonders schweren Raubs.
Geschädigter hat
„ein kleines Geheimnis“
Der verheiratete Geschädigte war zur Tatzeit 68 Jahre alt, noch berufstätig, lebte sozial integriert. Er hatte nach Worten der Vorsitzenden Richterin „ein kleines Geheimnis“, nämlich eine Vorliebe für junge, unbehaarte Männer mit wenig Muskeln. Weit weg von zu Hause habe er sich ein Liebesnest eingerichtet. Über das Internet habe er Sexpartner akquiriert, darunter den 24-jährigen Angeklagten. Richterin Will schickte voraus: „Was muss passieren, dass so jemand zur Polizei geht? Würde er das tun, nur weil man sich bei der Bezahlung nicht geeinigt hat? Sollte er deshalb sein jahrzehntelanges Geheimnis preisgeben, in Kauf nehmen, dass seine Familie und seine Freude alles erfahren?“
Der Sachverhalt der Anklage von Staatsanwalt Florian Jeserer stehe zur Überzeugung der Kammer aufgrund der umfangreichen Beweisaufnahme fest. Das Opfer sei über viele Stunden gefesselt festgehalten worden, mit verbundenen Augen und zugeklebtem Mund, sei bedroht und beraubt worden. Der Geschädigte habe in zwei Vernehmungen intime Details berichtet. Die wenigen Widersprüche habe er aufklären können. Ein Motiv für eine Falschbelastung sei nicht erkennbar. Bei der ersten Vernehmung, so die Vorsitzende Richterin, sei der Rechtsanwalt sehr zurückhaltend gewesen, habe rumgedruckst, später aber alles erzählt. Seine Angaben seien glaubhaft gewesen und hätten sich vielfach bestätigt – vom Kennenlernen des 24-Jährigen über eine einschlägige Plattform, vom ersten Treffen mit sexuellen Handlungen gegen Entgelt. Dabei habe sich der Geschädigte in den jungen Mann aus Venezuela verliebt: „Die Kontakte sollten deutlich über sexuelle Treffen hinausgehen.“ Dazu habe er dem Escort Einblick gewährt in seine finanziellen Umstände, in seine berufliche Tätigkeit, eine Beteiligung an millionenschweren Geschäften in Aussicht gestellt. Richterin Will dazu: „Er wollte sich als attraktiver Partner für den deutlich jüngeren Mann darstellen. Er hat gesagt: ‚Ich liebe dich von ganzem Herzen‘.“ Er habe dem Angeklagten helfen wollen und ihm 10000 Euro versprochen. In Chats habe man ein weiteres Treffen verabredet. Von einer „home invasion“, einem Überraschungsbesuch durch den Mitangeklagten, oder von Sexkontakten mit einem Dritten, wie die Täter behauptet hatten, sei keine Rede gewesen.
Unter den Beweismitteln nannte die Vorsitzende Richterin zum Beispiel DNA-Spuren des 32-Jährigen an dem Panzertape mit entsprechenden Rötungen am Geschädigten, Fingerspuren an der Dusche, einer Saftflasche und einem Handschuh zur Analmassage. Sämtliche Spuren passten zur Darstellung des Anwalts. Bei der Festnahme Tage später in Frankfurt seien seine Spuren an den Handschellen, an ihm gestohlenen Parfums und Uhren entdeckt worden. Laut Chatverkehr hatten die Angeklagten nach Worten Wills „einen Plan mit dem eindeutigen Motiv, den Geschädigten um sein Vermögen zu erleichtern“. Die Männer hätten sich über den „Mutterficker“ unterhalten. So schrieb der 24-Jährige: „Die Schlampe möchte, dass ich tagelang bei ihm bleibe. Du musst am Donnerstag kommen. Am Wochenende funktionieren keine Überweisungen.“ Man habe sogar versucht, nachts ein Konto im Ausland zu eröffnen und dafür ein Foto des Geschädigten angefertigt. Der Geldtransfer sei aber an einem Überweisungslimit gescheitert. Um dennoch an Geld zu kommen, sei der Anwalt mit einem Messer bedroht worden – am Hals und am Genital. Das Messer hätten die Täter später mitgenommen, ebenso sein Handy, damit er nicht sofort die Polizei anrufen könne, betonte die Vorsitzende Richterin. Die Kammer hege „keine Zweifel“ an den Angaben des Geschädigten.
Die Version der Angeklagten über ihre Verteidiger sei „eine reine Schutzbehauptung“. Der „heftig verliebte“ Geschädigte habe bestimmt keinen weiteren Sexpartner dabeihaben wollen. Die Verteidiger hätten sehr spät „eine Geschichte konstruiert, die übereinstimmt mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme“. Der „Schönheitsfehler“ sei das „Überfallszenario samt Fesselung“, mit der der Geschädigte einverstanden gewesen sein sollte. Richterin Will hob heraus: „Das kann nicht stimmen.“ Der Geschädigte habe seine sexuellen Wünsche immer deutlich zum Ausdruck gebracht gegenüber dem 24-Jährigen. Außerdem habe der Anwalt Kontakt zu dunkelhäutigen Männern wie dem 32-Jährigen stets abgelehnt.
Unter den strafschärfenden Aspekten nannte die Vorsitzende Richterin das planvolle Vorgehen, die lange Tatzeit, die herabwürdigenden Umstände: „Die Naivität des Opfers wurde gnadenlos ausgenutzt.“ Der 24-Jährige habe zwar ein Schmerzensgeld von 13000 Euro bezahlt, aber keine Verantwortung für sein Handeln übernommen, sondern sie dem Geschädigten zugeschoben.
Richterin Will rügt das
Vorgehen der Verteidiger
An die Verteidiger, Julian Praun aus Traunstein, Dr. Adam Ahmed aus München und Temba Hoch aus Bremen, wollte Richterin Will „noch etwas loswerden“: „Die Kammer will ihre Verteidigungsstrategie nicht hinterfragen. Doch für die Angeklagten tut es uns sehr leid.“ Bei einem Geständnis zu Prozessbeginn, mit welchem dem Senior „Peinlichkeiten erspart geblieben wären“, wäre das Gericht zu einem minderschweren Fall gekommen mit der Folge einer Freiheitsstrafe von nur drei bis vier Jahren. Leider sei die Verteidigung „sofort auf Konfrontation gegangen“. An die Männer auf der Anklagebank richtete die Vorsitzende Richterin: „Sie haben sich diese Verteidiger ausgesucht.“ Auf Anfrage wollte keiner der Verteidiger etwas zu eventuellen Rechtsmitteln gegen das Urteil erklären.
Monika Kretzmer-Diepold