Vogtareuth – Die Proteste gegen die Umstrukturierungspläne der Schön-Klinik in Vogtareuth reißen nicht ab. Jetzt hat sich die Mutter eines „Jerwa“-Patienten erneut an die Klinik-Gruppe gewandt. „Aus dem tiefen Bedürfnis heraus, Bewusstsein zu schaffen für das, was Sie in Ihrem Haus aufgebaut haben“, kämpft Elke Fischer-Wagemann für den Erhalt eines „echten Leuchtturmprojekts, das weit über die Region hinaus wirkt“ und „Bewahrung verdient“. Warum diese Station 2021 entstanden ist und welche Zukunft es für die Patienten der „Jerwa“ geben könnte, erklärt Dr. Mate Ivancic, der Vorsitzende Geschäftsführende Direktor (CEO) der Schön-Klinik-Gruppe, auf OVB-Anfrage.
Welchen Anlass gab es für die Schön-Klinik-Gruppe im Jahr 2021, sich der Medizin für junge Erwachsene mit neuropädiatrischen-neurologischen Erkrankungen und deren Folgen zu widmen und in Vogtareuth die Abteilung „Jerwa“ zu etablieren?
Wir gingen damals von einer hohen Nachfrage und einem hohen Bedarf aus. Vier Jahre später müssen wir leider feststellen, dass die Nachfrage nie die hohen Erwartungen erfüllen konnte. Ursprünglich war die Station mit 30 Betten geplant. Gestartet sind wir mit zehn Betten, von denen im Durchschnitt in den vier Jahren gerade mal fünf belegt waren.
Uns liegen Informationen vor, dass die „Jerwa“ wirtschaftlich arbeitet und keine Defizite verursacht. Seitens der Vogtareuther Klinik-Geschäftsführung heißt es aber, die „Jerwa“ sei weder personell noch wirtschaftlich stabil. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?
Die „Jerwa“-Abteilung hat zu keinem Zeitpunkt innerhalb der letzten vier Jahre durchgängig alle zehn Betten belegen können, geschweige denn eine Nachfrage gehabt, die den Ausbau auf die ursprünglich vorgesehenen 30 Betten hätte erforderlich machen können. Grundsätzlich betrachten wir einzelne Abteilungen – und die „Jerwa“ ist nur ein Bereich innerhalb der Neurologie – niemals in puncto Gewinn und Verlust, sondern wir betrachten immer das Gesamthaus und haben die Erwartung, dass dieses wirtschaftlich gesund dasteht. Dies ist auch der Fall, wenn der Bedarf vorhanden ist und das Angebot auch entsprechend angenommen wird.
Wie wird dann abgerechnet? Nicht nach Fällen der Fachabteilungen?
Abgerechnet wird im Krankenhaus grundsätzlich fallbezogen nach DRGs (Diagnosis Related Groups). Diese Pauschalen orientieren sich an der Art und Schwere der Erkrankung, dem Behandlungsaufwand und bestimmten Kodierungen (ICD, OPS). Eine Fachabteilung kann viele unterschiedliche Fallarten behandeln, die jeweils eigene DRGs auslösen. Daher ist die Abrechnung nicht an die Abteilung gebunden, sondern an den jeweiligen Patientenfall und die medizinische Dokumentation.
Wie schätzen Sie die medizinischen Erfolge der „Jerwa“ ein?
Da es sich um sehr individuelle Erkrankungen handelt und das Angebot nur in geringem Umfang angenommen wurde, kann man keine wissenschaftlich fundierte Aussage zu medizinischen Erfolgen tätigen, die auf Langzeitstudien oder qualitativen Erhebungen fußen. Wir hatten allerdings den Eindruck, dass wir Patienten helfen konnten.
Die „Jerwa“ hat von der multiprofessionellen Zusammenarbeit der Experten der Fachabteilungen für Neurologie mit Schmerztherapie, Neurochirurgie mit Epilepsiechirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Skoliose sowie Neuropädiatrie und Kinderorthopädie gelebt. Könnte Ihrer Meinung nach auch jede andere Klinik, die diese Fachabteilungen hat, eine Station wie die „Jerwa“ aufbauen?
Kein Krankenhaus in Deutschland wird eine Abteilung mit derart komplexen medizinischen Anforderungen sinnvoll betreiben können, wenn die Nachfrage geeigneter Patienten fehlt.
Das bayerische Gesundheitsministerium bemüht sich aktuell darum, das Behandlungsangebot der „Jerwa“ an andere Klinikstandorte zu verlagern. Ist die Schön-Klinik-Gruppe bereit, ihr seit 2021 erworbenes Know-how anderen Kliniken zur Verfügung zu stellen?
Sofern entsprechende Anfragen an uns herangetragen werden, werden wir diese selbstverständlich auf ihre Machbarkeit prüfen. Konkrete Anfragen liegen derzeit nicht vor.
„Jerwa“-Patienten und ihre Angehörigen haben mehrfach betont, dass es deutschlandweit keine geeigneten Einrichtungen für stationäre, vor- und nachstationäre Behandlungsphasen gibt. Sie behaupten das Gegenteil. Welche näheren Informationen über konkrete Kliniken mit einem „Jerwa“-ähnlichen Angebot liegen Ihnen vor?
„Jerwa“ ist kein medizinisch klar definiertes Fachgebiet, sondern steht als Akronym für junge Erwachsene, die komplexe neurologische Erkrankungen haben. Uns ist bewusst, dass die Versorgung von Patienten mit komplexen neurologischen Krankheitsbildern eine Herausforderung darstellt. Dennoch ist die Aussage, es gebe deutschlandweit keine geeigneten Einrichtungen, so nicht zutreffend. Es existiert eine Reihe spezialisierter Fachkliniken und Zentren mit neurologischen, neurochirurgischen und orthopädischen Schwerpunkten, die entsprechende medizinische Eingriffe vornehmen, die bei Patienten mit den oben genannten Indikationen anfallen – zum Beispiel Shuntbehandlung, Einsatz von Baclofenpumpen etc. Darüber hinaus stehen Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) für die ambulante Behandlung zur Verfügung. Auch in Hamburg gibt es nach unserer Kenntnis eine Klinik, die seit vielen Jahren Menschen mit schweren Behinderungen behandelt.
Nach Informationen des bayerischen Gesundheitsministeriums hat die Schön-Klink-Gruppe zugesichert, die derzeitigen „Jerwa“-Patienten bei der Suche nach neuen Behandlungsplätzen zu unterstützen. Wie sieht diese Unterstützung konkret aus? Für wie viele Patienten haben Sie bereits neue Behandlungsplätze gefunden?
Ein Teil der monatlich zehn bis zwölf Patienten kann – je nach Indikation – in der neuropädiatrischen Abteilung der Schön-Klinik Vogtareuth oder in der neurologischen Fachabteilung der Schön-Klinik Bad Aibling weiterbetreut werden. Für die übrigen Patienten bleibt die Möglichkeit bestehen, sich – wie auch vor Gründung der Abteilung – ambulant in der Spezialsprechstunde vorzustellen. Dort wird im Einzelfall eine ambulante Therapie individuell organisiert und koordiniert.
Sie behaupten, Sie stünden mit den Angehörigen der Patienten im persönlichen Austausch. Diese dementieren das aber. Wie erklären Sie das?
Wir stehen in engem Austausch mit den behandelnden Teams und haben mit ausgewählten Angehörigen auch persönlich gesprochen. Ein weiterer Gesprächstermin ist in Planung. Es ist verständlich, dass unterschiedliche Eindrücke entstehen können – insbesondere in einer Phase, in der viele Emotionen im Spiel sind. Entscheidend ist, dass die Patientenversorgung jederzeit im Mittelpunkt steht. Alle Anfragen von Angehörigen wurden von uns beantwortet.
Elke Fischer-Wagemann, die Mutter eines „Jerwa“-Patienten, hat sich jetzt mit einem sehr emotionalen Brief an Sie gewandt, um die Station zu erhalten. Wie reagieren Sie darauf?
Wir stehen mit Frau Fischer-Wagemann selbst in Kontakt und schätzen den offenen und konstruktiven Austausch, den wir bisher mit ihr hatten. Sie hat sich in einem Brief an mich gewandt und hierauf eine Antwort erhalten. Darüber hinaus hat sie von unserem Regionalgeschäftsführer die Einladung zu einem persönlichen Gespräch erhalten.
Die Schön-Klinik Vogtareuth hat mit der „Jerwa“ etwas Außergewöhnliches geschaffen. Warum wird dies im Kontext des neuen Zentrums für Kinder und Jugendliche nicht erhalten?
An der Schön-Klinik Vogtareuth wird weiterhin das Zentrum für Neuropädiatrie mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr und in Einzelfällen auch darüber hinaus behandeln. Hierbei handelt es sich um ein bestehendes Fachzentrum der Klinik, das auch weiter ausgebaut werden soll.
Welche Indikationen wären erforderlich, damit junge Erwachsene mit schweren Behinderungen in der neuropädiatrischen Abteilung in Vogtareuth auch künftig betreut werden?
Dies können beispielsweise eine der folgenden Hauptdiagnosen sein: fokale partielle symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen. Oder spastische tetraplegische Zerebralparese. Oder spastische Tetraparese und Tetraplegie. Oder dyskinetische Zerebralparese. In der Regel gehen diese Hauptdiagnosen einher mit einer oder mehreren Nebendiagnosen wie beispielsweise Stuhlinkontinenz, akuter Blutungsanämie oder sehr schweren motorischen Funktionseinschränkungen.
Kathrin Gerlach