„Ich bekomme täglich Hilferufe“

von Redaktion

Interview Regina Rick und Yves Georg über die Urteilsverkündung in Laufen

Laufen/Aschau – Nachdem Sebastian T. am Dienstag freigesprochen worden ist vom Vorwurf des Mordes an Hanna W. aus Aschau, sagte seine Mutter Iris: „Das haben wir alles Frau Rick zu verdanken.“ Regina Rick, Anwältin aus München, und ihr Hamburger Kollege Yves Georg, Spezialist für Revisionen, haben verhindert, dass ein junger Mann unschuldig hinter Gittern sitzt. Im Interview erzählen sie, wie sie die Urteilsverkündung erlebt haben.

Haben Sie nach dem Freispruch gefeiert?

Regina Rick: Ja. Wir saßen bis zum Abend im Hotel in Laufen, ganz in der Nähe des Gerichts, und haben gegessen und auch angestoßen. Sebastian T. war sehr fröhlich, die ganze Familie ist unglaublich erleichtert.

Die Richterin hatte Tränen in den Augen, hat sich bei Sebastian T. entschuldigt. Packt auch Sie so ein Fall emotional?

Rick: Klar. Da hatte ich schon auch Tränen in den Augen. Als mein Mandant geweint hat, habe ich gerade mitgeschrieben, wie die Richterin das Urteil begründet – sonst hätte ich ihn getröstet.

Yves Georg: Die Vorsitzende hat Größe gezeigt und das getan, was Repräsentanten des Staates tun sollten – nämlich Verantwortung für das Handeln des Staates zu übernehmen.

Im ersten Prozess sind Sie gescheitert, Sebastian T. wurde zu neun Jahren Haft verurteilt. Warum? Die Beweislage ist laut Urteil doch eindeutig.

Rick: Ich bin im ersten Prozess erst am elften Verhandlungstag dazugekommen, nachdem mich die Familie engagiert hat. Das war viel zu spät. Ich habe getan, was ich konnte, und habe noch 21 Anträge geschrieben. Einer hat dann ja auch zum Erfolg der Revision geführt, die Herr Georg im Wesentlichen durchgeboxt hat. Die Richter in der ersten Instanz hätten Sebastian T. auch verurteilt, wenn man ihnen ein Video gezeigt hätte, auf dem Frau W. alleine in den Bach gefallen ist.

Georg: Die Richter waren offensichtlich voreingenommen. Man kann es nicht anders sagen.

Hängt Gerechtigkeit von der Qualität der Anwälte ab?

Georg: Klar. Bessere Dachdecker decken auch bessere Dächer. Man kann darüber klagen, aber das Problem scheint mir nicht behebbar.

Rick: Würde ich auch sagen, ohne Zweifel. Die unglaubliche Arbeit, die wir uns gemacht haben, um unseren Mandanten vor einem rechtskräftigen Fehlurteil zu bewahren, müssten eigentlich Polizei und Sachverständige erledigen. Aber das passiert leider nicht.

Nicht jeder kann sich Top-Anwälte leisten.

Rick: Wenn wir alles abgerechnet hätten, was wir gearbeitet haben, hätte die Familie T. das nicht bezahlen können. Wir werden uns darum bemühen, dass T. möglichst viel Geld zurückbekommt, aber draufzahlen wird die Familie auf jeden Fall. Für die gesetzlichen Gebühren könnte man diese ganze Arbeit nicht leisten.

Viele zweifeln nach dem Urteil am Rechtsstaat. Was sagen Sie denen?

Georg: In Teilen ist unser Rechtsstaat in einem schlechten Zustand. Dazu gehören Verteidiger, die nicht ordentlich arbeiten, das muss man auch ehrlich sagen.

Rick: Es gibt zwei Probleme, die sich lösen ließen. Erstens: Die Polizei wäre gut genug ausgestattet, um ordentliche Ermittlungen zu führen – aber hier war die Arbeit miserabel. Und das ist kein Einzelfall. Zweitens: Sachverständige passen ihre Gutachten häufig den Erwartungen der Strafverfolgungsbehörden an. 

Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, das Urteil und gegebenenfalls auch die Ermittlungsarbeit zu prüfen.

Rick: Das halte ich für ein Gerücht. Damit rechnen wir nicht ernsthaft.

Sie haben auch die Freiheit von Manfred Genditzki erkämpft, der ebenfalls unschuldig wegen Mordes verurteilt wurde. Werden Sie jetzt überhäuft mit Anfragen von Menschen, die sich für Justizopfer halten?

Rick: Ja. Das sind unfassbar viele, jeden Tag bekomme ich mehrere Anfragen, man muss fast sagen: Hilferufe. Mein Büro beantwortet alle, aber ich kann nicht für jeden quasi umsonst arbeiten. Ich schaue mir die Fälle genauer an, die mich interessieren und in denen ein Wiederaufnahmeverfahren Erfolg haben könnte.

Genditzki saß 13 Jahre lang im Gefängnis, Sebastian T. hätte das erste Fehlurteil beinahe sein Leben ruiniert. Welcher Fall hat Sie mehr mitgenommen?

Rick: Es ist immer berührend, wenn sich solche Dramen abspielen. Genditzki war nochmal tragischer, weil er wegen schlampiger Polizeiarbeit und fehlerhafter Gutachten so unfassbar lange unschuldig im Gefängnis saß. Es ist unglaublich viel Arbeit, so ein Fehlurteil zu Fall zu bringen. Natürlich ist das ein gutes Gefühl. Carina Zimniok

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