Ringen um Umgang mit assistiertem Suizid

von Redaktion

Interview Dr. Michael Iberer über Konsequenzen aus der Entscheidung der Kessler-Zwillinge

Rosenheim/Landkreis – Es sei „eines der komplexesten Themen in der ärztlichen Tätigkeit“, sagt Dr. Michael Iberer, dem im Interview deutlich anzumerken ist, wie sehr auch die Ärzte im Kreisverband Rosenheim um den richtigen Weg im Umgang mit dem assistierten Suizid ringen. Seit dem gemeinsamen Tod der Kessler-Zwillinge in München steht die Thematik im Fokus. Über die Sorge um Selbsttötungen, die zu verhindern gewesen wären, und notwendige Reformen aus Sicht von Medizinern, spricht Iberer im Interview. Warum er und viele Kollegen sich hin- und hergerissen fühlen zwischen der Akzeptanz einer solchen Entscheidung zur Selbsttötung und dem ärztlichen Anspruch, sie zu verhindern.

Wie stehen Sie persönlich zur Suizidassistenz?

Ich sehe den Wunsch nach einem assistierten Suizid grundsätzlich als Ausdruck der Selbstbestimmung eines Menschen und respektiere diese Entscheidung. Gleichzeitig halte ich das Thema für so existenziell, dass es einer besonders sorgfältigen Abwägung und Begleitung bedarf. Autonomie ist wichtig – aber ebenso wichtig ist es, sicherzustellen, dass diese Entscheidung frei, informiert und nicht aus einer behandelbaren Krise heraus getroffen wird.

Ist Ihnen ein solches Anliegen schon einmal angetragen worden?

Persönlich bin ich bisher in meiner hausärztlichen Tätigkeit noch nicht mit einer konkreten Bitte um assistierten Suizid konfrontiert worden. Ob und in welchem Ausmaß Kolleginnen und Kollegen solche Anfragen bereits erhalten haben, kann ich nicht verlässlich beurteilen. In Gesprächen wird aber deutlich, dass die Unsicherheit im Umgang mit dieser Thematik groß ist.

Wie würden Sie mit der Thematik im Patientengespräch umgehen?

Sollte mir ein Patient mit einem solchen Wunsch gegenübertreten, wäre für mich zunächst am wichtigsten, zu verstehen, was hinter diesem Wunsch steckt. Ist es Angst vor Schmerzen? Einsamkeit? Das Gefühl, zur Last zu fallen? Oder eine depressive Erkrankung? Ich halte es für eine ärztliche Kernaufgabe, hier Zeit zu investieren, Alternativen aufzuzeigen und gemeinsam mit dem Patienten Wege zu suchen, Leid zu lindern – bevor man überhaupt über Suizidassistenz spricht.

Reichen andere Lösungswege, etwa über die Palliativmedizin oder einen Hospizaufenthalt, aus?

Ich wünsche mir deutlich mehr und besser zugängliche Palliativversorgung. Die Aus- und Weiterbildung in Palliativmedizin, Schmerztherapie und Kommunikation am Lebensende müsste aus meiner Sicht konsequent gestärkt werden. Hospize und spezialisierte ambulante Palliativteams können viel dazu beitragen, dass ein Sterben in Würde möglich ist – ohne dass Menschen das Gefühl haben, der einzige Ausweg sei der assistierte Suizid.

Welche Rolle haben bei diesem Vorgang Ärzte? Sie müssen ja das tödlich wirkende Mittel verschreiben oder herrichten, auch wenn der Betroffene es selbst anwenden muss.

Ärztinnen und Ärzte spielen in diesem Feld eine zentrale Rolle, weil sie in der Regel diejenigen sind, die Diagnosen stellen, Prognosen einschätzen und Medikamente verordnen. Ich sehe kritisch, wenn Sterbehilfe „geschäftsmäßig“ organisiert wird, etwa über Vereine oder Gesellschaften, bei denen in relativ kurzen Gesprächen und standardisierten Abläufen über eine so weitreichende Entscheidung befunden wird. Hier sehe ich eine reale Gefahr: Gerade depressive Patientinnen und Patienten, die vorübergehend nicht zu einer freien Willensbildung fähig sind, könnten Entscheidungen treffen (oder in sie gedrängt werden), die sie mit besserer Behandlung ihrer Krankheit so nicht getroffen hätten. Die Problematik von solch verkürzten Begutachtungen findet sich ja immer wieder auch in Medienberichten. Der Hausarzt oder die Hausärztin kennt den Patienten meist seit Jahren und im Gesamtzusammenhang – gesundheitlich, psychisch und sozial. Ich bin überzeugt, dass diese kontinuierliche Beziehung die beste Grundlage bietet, um seriös zu beraten und Missbrauch oder Fehlentscheidungen zu verhindern.

Wie bewerten Sie die ethischen Fragen rund um einen solchen Suizid?

Ethisch bewegen wir uns hier in einem Spannungsfeld zwischen Respekt vor der Selbstbestimmung und der ärztlichen Pflicht, Leben zu schützen und Leid zu lindern. Problematisch wird es aus meiner Sicht dort, wo gesellschaftlich subtil der Eindruck entsteht, schwer kranke oder alte Menschen „sollten“ sich vielleicht für den Suizid entscheiden, um niemandem zur Last zu fallen. Eine solche Entwicklung fände ich hoch bedenklich. Die Würde des Menschen darf nicht an Leistungsfähigkeit oder Belastbarkeit für andere gekoppelt werden.

Ist die Gesetzeslage für Sie ausreichend oder würden Sie sich als Ärzteschaft klarere beziehungsweise andere Regelungen wünschen?

Die aktuelle Rechtslage ist – vorsichtig formuliert – für viele Ärztinnen und Ärzte schwer zu handhaben. Wir wünschen uns klarere und praxistaugliche gesetzliche Rahmenbedingungen, insbesondere was Qualitätssicherung, Schutz vulnerabler Personen und die Rolle von kommerziellen Anbietern betrifft. Regeln sollten so gestaltet sein, dass sie einerseits die Selbstbestimmung ernst nehmen, andererseits aber sehr hohe Anforderungen an Aufklärung, psychiatrische Mitbeurteilung und die Prüfung von Alternativen stellen.

Erwarten Sie mehr Fälle nach dem Suizid der Kessler-Zwillinge?

Wenn prominente Personen ihren assistierten Suizid öffentlich machen, kann das dazu führen, dass sich mehr Menschen mit dieser Möglichkeit beschäftigen. Ob die Zahl solcher Fälle tatsächlich steigt, bleibt abzuwarten. Kritisch wäre für mich eine Entwicklung, in der der assistierte Suizid gewissermaßen normalisiert oder gar stilisiert wird. Wünschenswert fände ich dagegen, dass die aktuelle Diskussion genutzt wird, um Palliativangebote auszubauen, Hausarzt-Patienten-Gespräche über das Lebensende zu stärken und offen über Ängste, Bedürfnisse und Grenzen der Medizin zu sprechen.Heike Duczek

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