Aschau – Das Leben in Aschau geht weiter. Auch an diesem Mittwochmorgen. Daran scheinen auch die tief hängenden, dunklen Wolken über der Gemeinde im Chiemgau nichts zu ändern. Trotz der getrübten, nasskalten Stimmung erledigen einige Menschen in der Bahnhofsstraße ihre Einkäufe, sitzen im warmen Café oder bahnen sich ihren Weg durch das dichte Schneetreiben. Fast könnte man den Eindruck gewinnen: Es ist alles wie immer. Wäre da nur nicht die Nachricht, die sich am Dienstag wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitet haben muss: Sebastian T. ist ein freier Mann. Der 23-Jährige hat nach Auffassung des Landgerichts Traunstein um die Vorsitzende Richterin Heike Will nichts mit dem Tod von Hanna Wörndl zu tun. So sprach ihn das Gericht in der Neuauflage des sogenannten „Eiskeller-Prozesses“ von allen Vorwürfen rund um die Tragödie vom 3. Oktober 2022 frei. Wirklich zu überraschen scheint diese Entscheidung die Menschen in Aschau nicht mehr. „Es gab ja keine Beweise, und der Angeklagte wollte sich nicht dazu äußern, was soll man machen“, sagt ein älterer Herr am Bahnhofsvorplatz. Ob sich Sebastian T. mit seinem Schweigen einen Gefallen getan hat, bezweifle er aber. „Man kann ihm nur wünschen, dass er das Erlebte nun auch irgendwie verarbeiten kann“, sagt er. Der Mann macht eine kurze Pause und schiebt dann leise hinterher: „Das wird wahrscheinlich aber nicht leicht – vor allem hier im Dorf.“ Während der Mann seine braune Mütze tief ins Gesicht zieht und sich verabschiedet, kommt eine Frau mit ihren Einkäufen aus dem Supermarkt zurück. Zeit, sich genau über das Urteil zu informieren, habe sie bisher nicht gehabt. „Ehrlicherweise habe ich nicht mehr jeden Schritt des Prozesses verfolgt“, sagt sie. In den Wochen nach der Tragödie, bei der die Medizinstudentin nach einem Besuch des Clubs „Eiskeller“ ihr Leben verlor, sei das anders gewesen. Das ganze Dorf sei in Aufregung gewesen, sagt die Frau. Sie wohne direkt an der Prien, der Fluss, in dem Hanna Wörndl damals tot aufgefunden wurde. „Es verging fast kein Tag, an dem kein Hubschrauber über unser Haus geflogen ist“, erzählt sie. Jetzt – über drei Jahre danach – sei das Thema aber nicht mehr so präsent. Dennoch sei sie froh, dass jetzt ein Urteil gefallen ist – unabhängig davon, wie das am Ende ausgefallen ist. „Wir haben zum Glück einen Rechtsstaat, wenn man es ihm nicht nachweisen kann, ist es richtig so“, betont sie.
Die Frage nach Schuld oder Unschuld ist aber nicht alles, was die Menschen in Aschau umtreibt. „Mal ganz abgesehen davon, ob er schuldig oder unschuldig ist, es ist schon auffällig, dass Sebastian T. sich überhaupt nicht geäußert hat“, sagt eine Frau, die vorsichtig durch den Schneematsch am Gehsteig der Kampenwandstraße watet. Kurz bleibt sie stehen und erklärt, dass sie dafür gar kein Verständnis habe. „Klar, das haben ihm seine Verteidiger geraten, gut finde ich so was aber nicht“, sagt sie.
Genauso befremdlich habe sie es gefunden, wie die Verteidigung die beiden Hauptbelastungszeugen – die damals beste Freundin von Sebastian T. und dessen Mithäftling – während der Aussagen vor Gericht so in die Mangel genommen hat. „Die wussten teilweise ja gar nicht mehr, was ihnen geschieht“, sagt die Frau. Sie hätte sich gewünscht, dass es die Möglichkeit gegeben hätte, den Angeklagten genauso zu befragen.
Man sei jetzt genauso schlau wie vor drei Jahren – und wisse immer noch nicht, wie Hanna Wörndl zu Tode gekommen ist. „Es gibt eigentlich nur Verlierer“, sagt die Frau, „Ruhe wird es im Dorf mit diesem Urteil nicht geben“, sagt sie und verschwindet im Schneetreiben.
Julian Baumeister