Ein Verbrechen steht weiter im Raum

von Redaktion

Läuft ein Mörder frei in der Region Rosenheim herum? Die Staatsanwaltschaft könnte nach dem Freispruch für Sebastian T. künftig weiter im Fall Hanna ermitteln. Auch die Verteidigung will, dass noch mehr Fakten ans Licht kommen. Worum es dabei genau geht.

Aschau – So viel ist sicher: Es wird keine Fortsetzung des Hanna-Prozesses gegen Sebastian T. geben. Der Staatsanwalt hat in seinem Plädoyer – er beantragte wie die Verteidigung Freispruch – auf Rechtsmittel verzichtet, von anderer Seite kann keine Revision beantragt werden. Die Eltern seien nicht mehr Verfahrensbeteiligte und damit auch nicht mehr rechtsmittelberechtigt, sagte Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle auf Anfrage des OVB. Die Familie Wörndl hatte sich im Oktober aus dem Prozess um den Tod ihrer Tochter zurückgezogen.

Keine Hinweise auf
Ermittlungsansätze

Doch auch nach dem juristischen Abschluss dieses Falls und dem Freispruch für Sebastian T. sind wichtige Fragen zu klären.

Wird es Ermittlungen geben? Durchaus möglich, aber aktuell nicht wahrscheinlich. „Wir gehen weiterhin davon aus, dass es ein Gewaltverbrechen war“, sagt Dr. Rainer Vietze, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Dafür sprächen weiterhin die Gutachten, die seinerzeit dem Gericht vorgelegen hätten. Aber – es gebe keine neuen Erkenntnisse und keine konkreten Hinweise auf mögliche Ermittlungsansätze. „Wir können Ermittlungen nur durchführen, wenn wir einen Anfangsverdacht gegen Unbekannt oder eine bestimmte Person haben“, sagt Vietze. Eine Richtung, in der man ermitteln kann, liegt derzeit nicht vor.

Das Gegenteil wollte und will weiterhin die Verteidigung beweisen: Hanna Wörndl soll demnach einem Unfall zum Opfer gefallen sein. Das kam aber im zweiten Prozess um die Tragödie von Aschau nicht mehr wirklich zur Sprache. Schließlich lag dem Gericht nur daran, zu klären, ob eine Verbindung zwischen dem Tod von Hanna und dem Angeklagten bestand. Und die Kammer konnte eine solche Verbindung ausschließen.

„Da wäre noch mehr ans
Tageslicht gekommen“

Eine Klärung der Todesursache war für den Freispruch nicht notwendig, Gutachten der Verteidigung zur Untermauerung der Unfallthese gelangten also gar nicht erst in die Hauptverhandlung.

Nach Rücksprache mit den Gutachtern will Regina Rick deren Stellungnahmen veröffentlichen. Dazu gehören Gutachten über die Verletzungen Hannas, die nach Darstellung der Verteidigung durch den Aufprall auf ein Wehrschütz an der Prien, beziehungsweise durch einen Sturz über eine 2,20 Meter hohe Stufe im Flussbett verursacht worden seien.

Hanna Wörndl ertrank am 3. Oktober 2022 gegen halb drei morgens im Bärbach oder in der Prien. Sebastian T., so viel stand von Beginn an fest, war in der fatalen Nacht in Aschau laufen und kam auch in die Nähe des „Eiskellers“, wo Hanna mit Freunden feierte. Eine Kamera fing den Jogger mutmaßlich ein, ihre Aufnahmen waren Thema bereits beim ersten Prozess.

Regina Rick will außerdem die Aufnahmen einer zweiten Kamera präsentieren. Daraus und aus den Bildern der bekannten ersten Kamera lasse sich die Laufgeschwindigkeit von Sebastian T. errechnen. Demnach wäre Sebastian T. zu spät in die Nähe des vermeintlichen Tatorts gelangt, um mit dem Tod von Hanna Wörndl zu tun haben zu können.

„Prozessual korrekt, aber nicht in unserem Sinne“: So denkt Anwältin Rick über das frühe Ende der Hauptverhandlung. Weil sie nicht länger Verfehlungen der Ermittler ansprechen konnte. „Wir wollten nicht, dass man das Verfahren so schnell beendet“, sagte sie. „Da wäre noch mehr ans Tageslicht gekommen.“

Haben Ermittlungsfehler
ein Nachspiel?

Hintergrund sind mögliche Verfahren auf Amtshaftung. Demnach muss der Staat Entschädigung leisten, wenn nachgewiesen werden kann, dass ein Beamter durch Fahrlässigkeit oder Vorsatz Schaden verursacht hat. Solche Verfahren hatten Yves Georg und Regina Rick schon direkt nach dem Freispruch angekündigt.

Die Diskussion über ein Nachspiel im Hanna-Prozess hatte auch Richterin Heike Will befeuert, die nach dem Freispruch von einem Rechtssystem sprach, das dem Angeklagten Unrecht zugefügt habe. Vor dem Hintergrund dieser Entschuldigung wirkte eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft alarmierend. „Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, wird die Staatsanwaltschaft diese sorgfältig prüfen und gegebenenfalls die Ermittlungsarbeit entsprechend nachbereiten“, hieß es darin.

„Nachbereiten“ also: Geht es dabei um die Fehler bei den Ermittlungen, die Richterin Will ebenfalls angesprochen hatte? Ermittelt die Staatsanwaltschaft am Ende gegen die Rosenheimer Kripo?

Dr. Rainer Vietze, Sprecher der Staatsanwaltschaft, präzisiert: Eine Aufbereitung der Ermittlungsarbeiten sei, zumal nach einem so großen Prozess, Routine. Was eventuelle Vorwürfe angehe, könne man mangels Anhaltspunkten nichts sagen. Die Behörde müsse dazu ohnehin die schriftliche Begründung des Urteils abwarten.

Bereits Stefan Sonntag, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, hatte gegenüber dem OVB von pauschaler Kritik seitens der Verteidigung gesprochen. Selbstkritisch prüfen könne man nur konkrete Vorwürfe.

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