Rosenheim/Prien – Johannes Hefter (34) klebt sich nicht nur Fotos in sein Bilderalbum. Auch schlaue Sprüche kommen hinein. Der allerwichtigste: Lebe deinen Augenblick, denn es kommt keiner zurück. Johannes hält den Satz extra in die Kamera des OVB-Reporters, damit ihn auch wirklich alle lesen können.
Ja, von Johannes können wir alle eine Menge lernen. Dass das Leben kostbar und köstlich ist. Und dass die süßeste Freude nicht das Nehmen ist, sondern das Geben.
Deshalb lässt er sich Lindorkugeln, die er über alles liebt, nicht nur auf der eigenen Zunge zergehen. Der junge Mann aus Prien verschenkt sie auch reihenweise an nette Mitmenschen: Kollegen, Mitbewohner, Taxifahrer, Zugbegleiter oder Arzthelferinnen.
Jede einzelne Schokokugel ist ein kleines Dankeschön – für ein freundliches Lächeln, einen wertschätzenden Blick, einen zuvorkommenden Handgriff oder ein paar warme Worte. Denn in dieser Welt, die sich immer schneller und immer mehr ums Internet dreht, kommt es leider oft vor, dass sich die Menschen übersehen, sich nicht grüßen, sich ignorieren oder sogar respektlos behandeln.
Harter Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung
Für diese elementaren Kleinigkeiten des menschlichen Daseins hat Johannes ein besonders feines Gespür. Ihn schmerzt es noch mehr als andere, wenn er sich übergangen oder unfreundlich behandelt fühlt. Weil er kein vom Glück gesegneter Alleskönner ist, sondern ein Mensch mit Einschränkungen, dem wenig Gesundheit in die Wiege gelegt worden ist – dafür umso mehr lebensbedrohliche Komplikationen.
Johannes ist nichts geschenkt worden. Freiheit und Selbstbestimmung hat er sich hart erkämpfen müssen – Meter für Meter, Minute für Minute, Schritt für Schritt, Handgriff für Handgriff. Inzwischen kommt er fast mit allem klar. Nur das Sprechen bereitet ihm weiterhin große Mühe.
Die OVB-Weihnachtsspendenaktion unterstützt 2025 unter dem Dach der HeimatLichter auch den Verein „Leben mit Handicap“, der in Prien ein Haus für junge Menschen mit Handicap geschaffen hat: drei Wohngemeinschaften mit je zehn Männern und Frauen, verteilt auf drei Etagen. Johannes war einer der Ersten, der im Herbst 2012 einziehen durfte.
Sein eigenes Zimmer dort im zweiten Stock, die neun Mitbewohner in der WG, sein Job beim Bäcker Müller in Prien, die Radltouren um den Chiemsee, die Ausflüge in die Berge, die Theater-, Café- und Lokalbesuche: All das ist seine Heimat. Das ist sein Leben.
Und es ist ein zuckersüßes Leben – nicht nur wegen der Schokokugeln, sondern vor allem wegen der famosen Entwicklung, die Johannes hinter sich hat. „Es ist schon erstaunlich, wie er sich entfaltet“, freut sich Larissa Kiewitz, seine Bezugsperson in der WG.
Ihre Kollegen in der Wohnanlage haben Johannes als misstrauischen und kontaktscheuen Menschen kennengelernt, heute beschreibt sie ihn als „lebensfroh, neugierig, fröhlich und großzügig“. Dabei hat Kiewitz ihre Lektion von ihm schon gelernt: „Den Augenblick lieben und leben.“
Eine Wandlung, die zeigt, was möglich ist, wenn Menschen mit Einschränkungen die Hilfe zur Selbsthilfe erhalten, die ihnen zusteht, und jemand dafür sorgt, dass sie zu ihrem Recht kommen. Genau darum geht es in einem aktuellen Beratungsprojekt des Vereins „Leben mit Handicap“, dem ein Teil der HeimatLichter-Spendengelder gewidmet ist.
Geburtsgewicht
von 700 Gramm
Johannes ist 1991 viel zu früh zur Welt gekommen, 30 Zentimeter klein und 700 Gramm leicht. In den ersten Tagen sinkt das Gewicht sogar auf dramatische 620 Gramm, sein Leben hängt am seidenen Faden. Aber er kommt durch.
Im Kleinkindalter folgen lange Klinikaufenthalte und viele Operationen, mehrere Behinderungen werden diagnostiziert, kognitive und motorische. Mit acht wird Johannes 1999 eingeschult, er besucht die Förderzentren in Rosenheim und Aschau – und holt immer mehr auf.
2009 ist dann Schluss mit der Schule. Es folgen einige Praktika und Anstellungen in Rosenheim, Prien, Rohrdorf und Frasdorf. Dann der WG-Start 2012 und schließlich der zweite große Wurf: die Festanstellung in der Backstube der Bäckerei Müller in Prien, einer der süßesten Arbeitsplätze weit und breit, keine 200 Meter Luftlinie von seiner Haustür entfernt; wie geschaffen für Johannes, der nicht nur Schokokugeln mag, sondern auch für sein Leben gern Kuchen, Torten und Kaiserschmarrn isst.
Mit drei Wünschen zum
Bewerbungsgespräch
Zum Bewerbungsgespräch im Juli 2024 kommt Johannes mit drei Wünschen: ein netter Chef, nette Kollegen und gutes Essen. Alle drei gehen in Erfüllung – und die Bäckerei macht auch einen Glücksgriff: Sie bekommt sogar mehr als einen zuverlässigen, flexiblen und stets gut gelaunten Mitarbeiter. Jedenfalls gibt es keinen Zweiten, der die Krapfenteiglinge und Croissants mit so viel Hingabe und Leidenschaft aufs Blech legt – fünf Tage die Woche, von 6 Uhr früh bis 11.30 Uhr. Und so viel Liebe fürs Detail steckt einfach an – ebenso wie Johannes‘ Begeisterungsfähigkeit und Großzügigkeit, sein Gespür für den Moment und die Kollegen. „Wir sind froh, dass wir den Johannes haben. Aus unserem Team ist er nicht mehr wegzudenken“, bringt es Geschäftsführer Luitpold Müller auf den Punkt.
Jetzt hofft Johannes, dass möglichst viele Leute für die HeimatLichter spenden. Damit sich auch die nächste Generation mit Handicap, die noch eine WG oder Arbeit sucht, genauso entfalten kann wie er. Und ginge es nach ihm, würde er jedem einzelnen Spender und jeder Spenderin persönlich eine Lindorkugel als kleines Dankeschön in die Hand drücken.
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