Lucas und die Achterbahn der Gefühle

von Redaktion

HeimatLichter Jeder Tag ein Marathon: Vom Leben mit Syngap1 und der Kraft der Liebe

Rosenheim/Brannenburg – Die Achterbahn der Emotionen, das Karussell der großen Gefühle: Ja, da sind wir alle schon eingestiegen und eine Runde mitgefahren.

Doch wie es wohl ist, wenn es kein Anhalten und Aussteigen gibt? Wenn das Rauf und Runter nie aufhört? Wenn die Empfindungskurven so extrem und steil sind, dass man ständig aus der Bahn fliegt? Wenn sich das Karussell so schnell dreht, dass es ein Dauergewitter im Kopf gibt? Lucas (11) aus Miesbach würde es uns sicher gern erzählen – wenn er nur könnte.

Aus Liebe zum Marathon wird die Liebe des Lebens

Diese HeimatLichter-Geschichte über Lucas und seine Familie ist eine weitere bewegende Story über ein Kind mit einer seltenen Erkrankung und die Kraft der Liebe, die pflegende Angehörige von früh bis spät zu Höchstleistungen antreibt: ihm das Leben so lebenswert wie nur möglich zu machen, ihn bestmöglich zu fördern und zu verstehen, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr – das ist für alle eine Herkulesaufgabe. Ein kräftezehrender Marathon, der nie zu Ende geht.

Der Vergleich mit dem Marathon drängt sich bei der Familie Mengual aus Miesbach geradezu auf. Mama Carina (48), Fremdsprachenkorrespondentin, und Papa Marcos (53), Elektroingenieur mit spanischen Wurzeln, haben sich über den Ausdauersport kennengelernt: Aus der gemeinsamen Liebe zum Marathonlaufen ist die Liebe des Lebens geworden, der zwei Kinder entsprungen sind: 2011 kam Luis, 2014 Lucas.

Syngap1 – ein extrem
seltener Gendefekt

Dass sich Lucas nicht so entwickelte wie andere Kinder, zeichnete sich schnell ab. Warum das so war, blieb jedoch lange offen. Der Marathon begann – eine Odyssee durch Spezialkliniken, Kinderzentren und Arztpraxen, mit ständig neuen Hör- und Bluttests, Genanalysen oder Elektrodenmessungen an Herz (per EKG) und Hirnrinde (per EEG).

Dann endlich die Diagnose: Lucas hat das Syngap1-Syndrom, die Folge eines extrem seltenen Gendefekts – ein kleiner Schreibfehler in der DNA. In Deutschland sind 140 Fälle bekannt, weltweit 1700. Betroffen ist das Syngap1-Gen auf dem Chromosom 6, das für die Produktion des Syngap1-Proteins zuständig ist.

Carina Mengual beschreibt es so: „Vereinfacht ausgedrückt, produziert das Gehirn zu wenig Syngap-Eiweiß – also jenen Stoff, der unsere Synapsen nach der Benutzung wieder beruhigt. Sie bleiben überreizt – wie nach viel zu viel Kaffee oder Redbull.“

Und so spürt, fühlt, hört, sieht und schmeckt Lucas seine Umwelt viel intensiver als andere. Er hat den Blick und das Gespür für die kleinen Dinge, die das Leben so schön machen – und freut sich darüber: der Regentropfen auf der Nasenspitze, die Schneeflocke auf der Wange, ein vertrautes Gesicht, ein nettes Lächeln, eine zarte Berührung, die sanfte Wärme der Abendsonne im Nacken, das Kuscheln mit Mama, Papa oder Luis – wie gut das alles tut.

Geschmacksverstärker in der Soße: Das tut weh

Doch oft ist es auch umgekehrt: Der Geschmacksverstärker in der Pasta-Soße, der Wasserstrahl auf der Haut, das spitzige Korn im Milchreis, der böse Traum, der Schrei in der Ferne, der Lärmpegel in der Stadt – wie weh das tut! In Lucas‘ Kopf tobt dann ein heftiges Dauergewitter – und so wird aus Überempfindlichkeit Schmerz, aus Stress wird Frust, aus Zorn wird Wut.

Das Syngap-Syndrom gilt als Spektrumserkrankung. Das bedeutet leider, dass zum Autismus, zur Überreizung und zu den extremen Schlafstörungen noch geistige Einschränkungen und Epilepsien hinzukommen: Lucas kann nicht sprechen, nicht alleine essen, sich nicht allein anziehen oder die Zähne putzen.

Weil er aber körperlich gut in Schuss ist und ihm jedes Gefahrenbewusstsein fehlt, darf ihn die Mama (ihren Job hat sie längst aufgegeben) keinen Augenblick alleine lassen. Die Herdplatte, der Glasschrank, die viel befahrene Hauptstraße – alles in Griffweite oder direkt vor der Haustür.

Umso besser, dass der Garten im Haus Marini in Brannenburg nicht nur schön und groß ist, sondern auch umzäunt. Da besteht bei Möchtegern-Ausreißern wie Lucas keine „Fluchtgefahr“.

Das Haus Marini ist die erste Tages- und Ferienpflege mit Übernachtung weit und breit für Kinder mit Einschränkungen. Im September hat es eröffnet. Weil die Einrichtung für Familien wie die Menguals ein Segen ist, steht das Haus im Zentrum der OVB-Weihnachtsaktion unter dem Dach der HeimatLichter.

„Lucas hat im September erstmals bei uns übernachtet – völlig problemlos“, sagt Haus-Marini-Geschäftsführer Thomas Stingl. Seither weiß Carina Mengual wieder, wie es sich anfühlt, eine Nacht durchzuschlafen – ein „Luxus“, den sie sich zuvor jahrelang nicht gönnen durfte.

Lucas braucht seine Auszeiten im Grünen, ebenso wie Platz zum Austoben. Deshalb hat der idyllische Marini-Garten vor dem Inntaler Bergpanorama sicher seinen Beitrag zur geglückten Übernachtungs-Premiere geleistet. Noch wichtiger ist für die Menguals jedoch die Gewissheit, dass ihr Sohn in Brannenburg „in allerbesten Händen“ ist. Dafür sind sie schon jetzt „unendlich dankbar“, ebenso für jede Art von Unterstützung, die sie daheim im Landkreis Miesbach bekommen – von Bekannten und Freunden über die Therapeutinnen und die Erzieherinnen der Heilpädagogischen Tagesstätte bis zu den empathischen jungen Leuten vom BRK-Fahrdienst.

Und Luis (14), der gesunde ältere Bruder? Er würde mit Lucas durch dick und dünn gehen – obwohl er, wie viele andere Geschwister von Kindern mit Einschränkungen, oft zu kurz kommt. Im Alltag ebenso wie in dieser Geschichte. Dass Papa und Mama 2026 etwas mehr Zeit für ihn haben werden, während Lucas im Haus Marini bestens aufgehoben ist, wird Luis guttun.

Luis und sein Retterherz: Die nächste Geschichte?

In seiner Brust schlägt schon jetzt ein großes Helferherz. Luis engagiert sich in der Jugendfeuerwehr, will Rettungssanitäter werden. Wenn es so weit ist, gehört die nächste Geschichte ihm ganz allein. Fest versprochen.

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HeimatLichter und Haus Marini

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