Rosenheim/Prien – Wer Carolin (32) beim Bowling zuschaut, dem fallen spontan zwei Redensarten ein: Sie schiebt eine ruhige Kugel. Und sie macht das mit links. Schade, dass keiner der Ärzte zuschaut, die vor Jahrzehnten befürchtet hatten, Carolin werde womöglich nie laufen können. Sie kämen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Denn so glatt, wie Carolin Burkhardt ihre türkis-graue Bowlingkugel über die Bahn flitzen lässt, ist ihr Start ins Leben leider nicht verlaufen: War die Schwangerschaft schon kompliziert, so setzte die Geburt, die sich über mehrere Tage hinzog, noch einen drauf.
Rückschläge und
Hiobsbotschaften
Dann die Kleinkindphase – geprägt von Entwicklungsverzögerungen, Einschränkungen, Therapien und düsteren medizinischen Prognosen. Mutter Bettina Burkhardt (63): „Es hieß, meine Tochter wird nie laufen, Rad fahren, Ski fahren oder schwimmen lernen.“
Von wegen. Heute läuft Carolin, sie fährt Rad, fährt Ski, kann schwimmen. Aber das ist es nicht allein, warum sich die heutige HeimatLichter-Geschichte um die junge Frau aus Prien dreht. Bemerkenswert ist vor allem, wie selbstbestimmt Carolin ihr Leben meistert und wie viel Verantwortung sie übernimmt – nicht nur für sich, auch für andere.
Die OVB-Weihnachtsspendenaktion unterstützt 2025 unter dem Dach der HeimatLichter unter anderem den Verein „Leben mit Handicap“, der in Prien ein Haus für junge Menschen mit Einschränkungen geschaffen hat: drei betreute Wohngemeinschaften mit je zehn Männern und Frauen, verteilt auf drei Etagen. Carolin war eine der Ersten, die im Dezember 2013 eingezogen sind – wenige Tage nach ihrem 20. Geburtstag.
Dass die bestellten Möbel nicht rechtzeitig kamen, dass sie die ersten Nächte auf einer Matratze in einem schmucklos leeren Zimmer schlafen musste – für Carolin kein Problem. Das nahm sie in Kauf. Schließlich handelte es sich um eine einmalige Chance. Und die wollte sie beim Schopf packen.
Dabei war es ihr bis dahin sehr gut gegangen – zu Hause in Raubling, mit Mutter Bettina, Bruder Tobias sowie Fritz und Helga, den Großeltern. Doch wenn aus Kindern Erwachsene werden, wächst halt auch der Drang nach mehr Freiheit, Eigenständigkeit und Selbstbestimmung.
Zumal sich Carolin in der Philipp-Neri-Schule in Rosenheim vor allem körperlich und motorisch bemerkenswert gut entwickelt hatte. Heute arbeitet sie in den Rosenheimer Caritas-Wendelstein-Werkstätten in der Verpackung, fühlt sich aber fit genug für den ersten Arbeitsmarkt: „Über eine Anstellung dort würde ich mich sehr freuen.“
Wenn Buchstaben wie
Kegel umherfliegen
Schade nur, dass es Carolin im richtigen Leben mit Zahlen und Buchstaben genauso geht wie mit den Pins nach einem geglückten Wurf – sie fallen beim Lesen und Rechnen in ihrem Kopf in ein wildes Durcheinander zusammen.
Sind 100 Euro für einen Liter Milch zu viel und für ein Haus zu wenig? Mit allen schriftlichen und finanziellen Dingen, die man im Alltag regeln muss, tut sie sich schwer.
Geld zählen, Rechnungen überweisen, Arzttermine ausmachen, Verträge überprüfen, Anträge stellen – das muss die Mama oder die Betreuerin in der Wohnanlage für sie erledigen.
Anders ist es mit dem Kochen in der WG. Jeden Dienstag ist Carolin dran – und kocht immer genau so viel, dass alle satt werden und nichts übrig bleibt. Zuletzt gab es Blumenkohlauflauf mit Kartoffeln – für die Köchin ein Kinderspiel: „Die passende Auflaufform hernehmen, Kas drauf, rein in den Ofen, fertig!“
Sprachrohr für mehrere Tausend Handicap-Sportler
Bemerkenswert ist auch, dass Carolin Burkhardt trotz ihrer Lese- und Rechenschwäche seit 2023 im Athletenrat von Special Olympics Bayern sitzt – ein Ehrenamt, das ihr viel bedeutet. Immerhin macht sie sich damit als Sprachrohr für mehrere Tausend Athletinnen und Athleten mit geistiger Beeinträchtigung in Bayern unter dem Dach der Special Olympics stark.
Dabei gibt es viel zu tun: die Großveranstaltung noch besser und bekannter machen, homogenere Wettkampfklassen schaffen, den Austausch der Sportler – unter anderem Basketballer, Schwimmer, Floorballer, Judoka oder Bowler – über die einzelnen Disziplinen hinweg verbessern und vor allem: die Inklusion vorantreiben. „Dass es dabei um mehr geht als den barrierefreien Zugang zum Rathaus oder zum Bahnhof, haben noch nicht alle verstanden“, so die Athletensprecherin.
Doch die jüngsten Special Olympics in Erlangen im Sommer 2025 machen ihr Mut. „Das war Gänsehaut pur“, erinnert sie sich – und meint nicht nur den stolzen Moment, als sie die Fahne – beklatscht und angefeuert von 3000 Zuschauern – ins Stadion tragen durfte und kurz darauf das Feuer entzündet wurde. Auch die große Athleten-Disco, mitten in Erlangen auf dem Rathausplatz, hatte es in sich: Sportler und Erlanger Bürger feierten gemeinsam eine ausgelassene Party – „Inklusion pur, einfach nur wunderbar, schwärmt Carolin.
Auch sportlich lief es dort famos für die knapp 40 Handicap-Sportler des SB DJK Rosenheim. Carolin holte Silber – und das war nicht die einzige Medaille, über die sich ihr Bowling-Team freuen durfte.
Reicht die Kraft
2026 für Gold?
Die nächsten großen Träume und großen Spiele hat die 32-Jährige schon vor Augen: die deutschen Special Olympics 2026 im Saarland. Bowling wird dort eine von 27 Sportarten sein. Die Vorfreude ist mindestens so groß wie der unermüdliche Trainingseifer, den Carolin beim regelmäßigen SBR-Training im Inn-Bowling in Rosenheim zeigt.
„Ohne gute Technik geht dir irgendwann die Kraft aus“, sagt sie. Reicht es in Saarbrücken sogar zu Gold? Schön wäre es. Und wenn nicht? Halb so wild, es gilt das olympische Motto: Dabei sein ist alles. Nicht alle können siegen, aber alle können gewinnen!
Bei der OVB-Weihnachtsspendenaktion ist das übrigens genauso.
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