Handelt es sich um einen Femizid?

von Redaktion

Der gewaltsame Tod einer 50-Jährigen in Burgkirchen beschäftigt Polizei und Öffentlichkeit. Der Tatverdächtige sitzt in Haft und die Spurensuche in Burghausen dauert an. Zur aktuellen Entwicklung, was die Zahlen zu Gewalt gegen Frauen sagen und wie der derzeit viel diskutierte Begriff „Femizid“ einzuordnen ist.

Burgkirchen/Altötting/Rosenheim – Nach der tödlichen Attacke vom vergangenen Mittwoch ist Burgkirchen tief erschüttert. Eine 50-jährige Frau wurde laut Polizei gegen 20.50 Uhr von ihrem Ex-Partner auf offener Straße und im Zentrum des Orts angegriffen. Dabei sei sie laut Präsidium von dem 47-Jährigen „mit einem gefährlichen Gegenstand“ tödlich in der Halsgegend verletzt worden.

Jugendliche unter
Ersthelfern

Unter den Ersthelfern befanden sich zahlreiche Jugendliche, doch trotz sofortiger Reanimationsversuche starb die 50-Jährige noch am Tatort. Nachdem der italienische Tatverdächtige mit einem Auto geflüchtet war, wurde er am Donnerstag, 4. Dezember, kurz nach Mitternacht von Spezialeinsatzkräften in seiner Wohnung in Burghausen festgenommen, hatte die Polizei mitgeteilt.

Bislang soll er sich zur Tat noch nicht geäußert haben – sein Motiv bleibt also vorerst unklar. Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, Daniel Katz, gibt an, dass von einer Tat mit möglichem Beziehungshintergrund ausgegangen wird. Am Freitagnachmittag suchten zahlreiche Polizeibeamten die Burghausener Altstadt nach Beweismitteln ab. Sie markierten unter anderem eine mehrere hundert Meter lange Blutspur, die von einem Stellplatz in der Wöhrseetiefgarage über die Mautnerstraße führte, das Platzl querte und sich dann an der Salzlände fortsetzte, bis sie an einem Wohnhaus endete. An der Salzachmauer markierten die Beamten eine Stelle mit Pfeilen: Von dort aus könnte beispielsweise die Tatwaffe entsorgt worden sein. Auch am vergangenen Freitag fanden weitere Absuchmaßnahmen des Burghausener Salzachufers statt – unter anderem mit einem Schlauchboot.

Die Polizei warnt ausdrücklich davor, sich an Spekulationen über die Tat zu beteiligen. Tatsache ist auch, dass sich bei vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit breitmacht. „Grundsätzlich gilt: Wenn Sie sich unsicher fühlen oder verdächtige Wahrnehmungen machen, scheuen Sie sich nicht und teilen uns Ihr Anliegen über den Polizeinotruf 110 mit“, heißt es in der aktuellen Polizeimeldung. In den sozialen Medien sorgte der Fall für wilde Spekulationen, Mutmaßungen und Debatten. Unter anderem wurde diskutiert, ob es sich um einen „Femizid“ handeln könnte und wie „Femizide“ zu definieren sind.

Auf der Internetseite des Bundeskriminalamts heißt es, dass bislang keine bundeseinheitliche Definition des Begriffs „Femizid“ existiere und für die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) keine Tatmotive erfasst werden.

Aber auch wenn „Femizide“ in den polizeilichen Zahlen der PKS nicht bezifferbar seien, ließen sich doch aus den Lagebildern der Tötungsdelikte Erkenntnisse ableiten: „Die „Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung“ zeigt etwa, dass der Anteil weiblicher Opfer innerhalb von (Ex-) Partnerschaften bei über 80 Prozent liegt.“ Vor dem Hintergrund des Fehlens einer klaren Definition hat sich die Polizei von Bund und Ländern dafür ausgesprochen, eine bundeseinheitliche polizeiliche Definition zu „Femiziden“ zu erarbeiten.

Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Julia Habermann von der Ruhr-Universität Bochum gehört der Forschungsgruppe „Femizid“ an der LMU München an. Sie betont: „Der Femizid-Begriff ist kein juristischer Begriff. Strafrechtlich kann es sich bei den Tötungsdelikten, die öffentlich als Femizide bezeichnet werden, um Taten handeln, die als Totschlag oder Mord verurteilt werden.“ Entscheidend seien die Motive: „Femizide sind auf die hierarchische Ordnung der Geschlechter und Rollenvorstellungen über Frauen und Männer zurückzuführen“, so Habermann.

Eine häufige Konstellation sei die Tötung einer ehemaligen Partnerin, nachdem sie sich getrennt habe und ein eigenständiges Leben führen wolle. „Ich sehe darin den Ausdruck einer selbstbestimmten Lebensführung, die durch den Mann nicht akzeptiert wird, da er dadurch seinen Macht- und Kontrollanspruch verliert.“

Laut Habermann spielen sehr traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit eine wichtige Rolle – etwa Dominanz, Kontrolle und der Anspruch auf Verfügung über die Partnerin. Gewalt beginne dabei oft weit vor einer Eskalation. „Vielen Femiziden geht Kontrollverhalten voraus: die Kontrolle von Finanzen, des Smartphones, von Kontakten zu Freunden und Familie.“ Genau hier liege ein gesellschaftlicher Auftrag zur Prävention: Gewalt müsse früh erkannt und angesprochen werden – im sozialen Umfeld, in Schulen, im beruflichen Bereich.

Habermann formuliert es so: „Um geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen zu reduzieren, müssen wir Ungleichheit abbauen und uns damit auseinandersetzen, was wir unter Weiblichkeit und Männlichkeit verstehen.“ Das Bundeskriminalamt spricht in seinem aktuellen Lagebild von einem weiterhin „erheblichen Ausmaß“ geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 308 Frauen und Mädchen Opfer von Tötungsdelikten (versucht und vollendet) im Bereich Partnerschaftsgewalt. „Diese 308 weiblichen Opfer machen 80,6 Prozent aller Opfer von Tötungsdelikten innerhalb von Partnerschaftsgewalt aus“, heißt es dazu in der Meldung. Zum Vergleich: Bei anderen Tötungsdelikten im Jahr 2024 waren 29,9 Prozent der Opfer weiblich.

Alle Zahlen
liegen im Plus

Unter Delikten „häuslicher Gewalt“ wird polizeilich Gewalt innerhalb von Familien, aber auch Partnerschaftsgewalt verstanden –  unabhängig davon, ob die Beteiligten zusammenleben oder nicht. Ein gemeinsames Merkmal aller Fälle häuslicher Gewalt ist dabei die persönliche Beziehung zwischen den Tatverdächtigen und den Opfern.

Bei Delikten der häuslichen Gewalt waren 2024 70,4 Prozent der Opfer weiblich. Insgesamt wurden laut Statistik 187.128 Frauen als Opfer häuslicher Gewalt registriert, was einem Anstieg von 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Bei Fällen mit mindestens einem weiblichen Opfer wurden 152.812 Tatverdächtige erfasst, was gegenüber dem Vorjahr einem Plus von 3,2 Prozent entspricht.

Häusliche Gewalt in der Region

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