1.000 Meter über dem Abgrund

von Redaktion

Auf einem schmalen Band schwebt Valentin Rapp in der Luft, unter ihm geht es 1.000 Meter in die Tiefe. Der Raublinger Slackliner balancierte über die Angel Falls, dem höchsten Wasserfall in Venezuela. Nach seiner Rückkehr spricht er von Weltrekorden, einem Land im Zwiespalt und einem unglaublichen Abenteuer.

Raubling/Venezuela – „Es haut einen um.” Mit diesen vier Worten beschreibt Valentin Rapp das Gefühl, worauf er und sein Team jahrelang hingearbeitet haben. Eine Slackline über den Angel Falls, dem höchsten Wasserfall der Erde. Doch bis zum ersten Schritt auf dem schmalen Band in gut 1.000 Metern Höhe war es ein weiter Weg.

„Im Kopf hatten wir das schon lange”, sagt der 32-jährige Raublinger. Er ist in der Szene bekannt und hat sich als Athlet und Filmemacher seit zehn Jahren dem Sport verschrieben, auch in den extremen Varianten. Doch beim Kerepakupai Vena, wie die Angel Falls von den indigenen Einwohnern von Venezuela genannt werden, geht es um mehr als den Rekord von der höchsten Wasserfall-Slackline der Welt. „Es geht um etwas Einmaliges, Kompliziertes und Anstrengendes, um ein Erlebnis, das man nie mehr vergisst.“ So beschreibt der Extremsportler die Mischung, die zum „Amanöm“ führt, was übersetzt so viel wie „die Schönste“ bedeutet.

Die Angel Falls in Venezuela sind unter Slacklinern bekannt. So sprach Lukas Irmler, mehrfacher Rekordhalter und Profi-Highliner aus Freising, schon vor rund 14 Jahren in einem Interview von der Überquerung der hohen Wasserfälle. „Für mich ist diese Highline die Erfüllung eines sehr lange geträumten Traums”, sagt der Initiator der Reise. Im Jahr 2024 wurde es schließlich konkret und zu Rapp und Irmler kamen Antonia Rüede-Passul vom Bodensee, Jens Decke aus Kassel, Karl Schrader aus Stralsund und Rafael Bridi aus Brasilien dazu. Zusammen planten sie eine Reise, bei der Slackline nicht die größte Herausforderung werden sollte. „Wir haben uns mehrfach überlegt, ob wir überhaupt anreisen können”, sagt Rapp. Das Auswärtige Amt rät aktuell von einem Urlaub dringend ab. „Die Lage in dem südamerikanischen Land ist angespannt und könnte sich auch kurzfristig weiter verschlechtern”, heißt es aktuell aus Berlin.

Diesen Eindruck teilt auch das Slackline-Team. „Viele leben in Armut und sind daher unzufrieden mit der Regierung. Gleichzeitig droht der Einmarsch der USA”, beschreibt Rapp seine Eindrücke aus der Hauptstadt Caracas. Die US-Regierung hat das Land seit geraumer Zeit im Visier. Offiziell wegen Drogenschmuggels und kartellähnlichen Zuständen. Doch auch das reiche Ölvorkommen des Landes spielt bei dem Machtkampf in der Karibik eine Rolle.

Sobald die Slackliner sich dazu entschlossen hatten, die Reise dennoch anzutreten, waren sie allerdings bald zu abgelegen, um davon etwas mitzubekommen. Zweieinhalb Wochen ging es ohne Handyempfang durch die vielfältige Landschaft. „Dschungel, Sumpfgebiet, Felsen, es war jeden Tag eine Herausforderung“, beschreibt der Raublinger. Es brauchte daher eine spezielle Art der „Resilienz und Akzeptanz”, wenn die Füße kaum mehr trocknen konnten, die Navigation im Dschungel schwierig wurde, der 20 Kilogramm schwere Rucksack auf den Rücken drückte und tausende Mücken erbarmungslos zustachen. Doch die sechs Highliner schafften es, sich mit einem Guide bis zur Spitze der Angel Falls durchzukämpfen.

Auch dann wurde es noch einmal kompliziert. „Die 148 Meter lange Line zu spannen, war nicht leicht. Es war alles sehr ausgesetzt und wir mussten gut zusammenarbeiten”, meint Rapp. Doch am Ende wurde das komplette Team belohnt und jeder durfte einmal über dem Abgrund schweben. „Für mich bedeutet diese Highline die Auferweckung eines sehr alten Traums“, sagt selbst der erfahrene Profiathlet Raphael Bridi aus Brasilien. Zurück in Raubling sitzt Valentin Rapp aktuell an der Aufarbeitung der besonderen Reise und schneidet die Bilder und Videos zusammen. „Konkrete Termine gibt es noch nicht”, meint er. Aber es könnte gut sein, dass die Highline über den Angel Falls kommendes Jahr bei dem ein oder anderen Filmfestival zu sehen sein wird.

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