Neubeuern – Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christkind. In den meisten Gemeinden stehen alljährlich zum Jahresende die Haushaltsplanungen an und dabei geht es oft recht intensiv zu. Nicht zuletzt dann, wenn es um die Höhe der Kreisumlage geht. Die, so kann man viele Bürgermeister hören, sei dabei, die Gemeinden finanziell an die Wand zu drücken und es wirkt oft so, als sei diese allein schuld an der prekären Finanzlage vieler Gemeinden. Neubeuerns Bürgermeister Christoph Schneider (Unabhängige Neubeurer) hält diese Ursachenverknüpfung für zu kurz gedacht. Wir haben uns mit ihm über die Situation in den Gemeinden unterhalten.
Herr Schneider, wie erleben Sie in diesem Jahr die Haushaltsvorbereitungen und damit die intensiven Diskussionen zur Kreisumlage?
Die Diskussion über die Kreisumlage ist zwar wichtig, letztlich aber in meinen Augen zu hoch aufgehängt. Natürlich tut jeder halbe Prozentpunkt, der nicht erhöht wird, auch meiner Gemeinde kurzfristig gut, mittelfristig wird uns aber eine niedrige Kreisumlage alleine nicht viel bringen. Als Bürgermeister zu glauben, dass es in Zukunft ausreichen wird, den Landrat jedes Jahr bei der Umlage zu drücken, wäre naiv.
Aber die Finanzen sind doch in der Tat angespannt.
Das ist richtig und richtig ist auch, dass viele Gemeinden mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Aufgaben werden immer mehr, die gesetzlichen Standards immer höher, was dazu führt, dass die Rücklagen, so man welche hat, immer weiter abgeschmolzen werden: Jeder braucht ein gutes Angebot an Kindergartenplätzen, die marode Schule muss nach Jahren halt doch mal angefasst werden und über die ein oder andere Straße redet man ja ohnehin teilweise schon seit zehn Jahren. Die Erwartungshaltung an uns Gemeinden ist unglaublich hoch, die Standards, die wir gesetzlich erfüllen sollen, massiv. Es wird von allen Seiten eigentlich total unterschätzt, was Gemeinden in unserem System leisten und wie sie das manchmal bei leeren Kassen noch schaffen. Aber: Viele der nötigen Investitionen wurden mangels finanzieller Mittel auch immer wieder aufgeschoben und irgendwann kommt man an den Punkt, wo das einfach nicht mehr geht, will man nicht den Verlust der vorhandenen Infrastruktur riskieren.
Also ist die Kreisumlage doch ein Thema…
Ja. Aber man muss das, so meine ich, differenziert sehen. Es reicht nicht, dass das Thema „Kommunale Finanzen“ auf die Kreisumlage reduziert wird, zumal dahinter ja auch ein kommunaler Wert in Form von wichtiger Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäusern steht. Das Thema ist vielschichtig, fängt im Bund und beim Land an und hört bei den Bürgerinnen und Bürgern auf.
Ein breites Feld – wie finanziert sich denn überhaupt eine Gemeinde?
Die wichtigsten zwei Säulen bei bayerischen Gemeinden sind die Beteiligung an Einkommen- und Umsatzsteuer und die Gewerbesteuer. Sie machen wohl bei den meisten Kommunen das Gros der Einnahmen aus. Gemeinden, welche über wenig Steuerkraft verfügen, kriegen dann noch Schlüsselzuweisungen, um über die Runden zu kommen. Dann gibt es natürlich noch Gemeinden, in denen die Zweitwohnungssteuer und weitere Finanzierungsmöglichkeiten aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eine größere Rolle spielen. Für das Laienverständnis ist es aber wichtig, zu wissen, dass die meisten Kommunen von der Einkommen- und Gewerbesteuer leben.
Und das reicht nicht mehr aus?
Das ist das Problem. Durch das allgemeine Preisniveau, die Inflation und den Arbeitsmarkt mit sehr hohen Tarifsteigerungen gestaltet es sich in vielen Gemeinden mittlerweile so, dass die Einkommensteuerbeteiligung für die Gehälter aufgebraucht wird, die Gewerbesteuer für die Kreisumlage. In einem guten Jahr bleibt vielleicht ein wenig was über, in einem schlechten Jahr zahlt man was drauf. Ohne Schulden kommt man aber im Wesentlichen nur aus, wenn man Investitionen schiebt oder noch ein paar Rücklagen hat. Mit dem Aufschieben von Projekten ist man aber auch nicht sonderlich gut beraten, weil im Prinzip jedes Projekt, das ich aufschiebe, pro Jahr um zehn bis 15 Prozent teurer wird.
Was wäre denn jetzt Ihr Lösungsansatz?
Den einen Lösungsansatz gibt es nicht. Um seinen Haushalt in den Griff zu bekommen, sind vielschichtige Maßnahmen notwendig. Insgesamt sehe ich aber zwei zentrale Ansätze, denen man nachgehen müsste.
Die da wären?
Zunächst wäre es wünschenswert, dass sich der Gemeindeanteil an der veranlagten Einkommensteuer erhöht. Die Kommunen kriegen hier 15 Prozent. Jedes Prozent mehr würde uns schon mal eine fixe Einnahme mehr bescheren, die allgemein in den Haushalt laufen könnte und vor allem auch nicht zweckgebunden ist. Das bedeutet, dass jede Gemeinde das Geld da einsetzen kann, wo es gebraucht wird. Meiner Meinung nach wäre es dazu auch sinnvoll, das eine oder andere Förderprogramm zu streichen. Förderprogramme sind oft Bürokratiemonster und mit Auflagen versehen, die vor Ort nicht immer ganz passen. Wenn ein Teil der entsprechenden Mittel direkt den Gemeinden zugutekäme, wäre das möglicherweise sinnvoller: Vor Ort wissen die Bürgermeister und Gemeinderäte doch am besten, wo und wie das Geld eingesetzt werden soll.
Und der zweite Ansatz?
Da sind wir Gemeinden in der Pflicht: Allein von Steuererhöhungen oder Umverteilungen wird sich die finanzielle Situation der Kommunen nicht verbessern. Es gilt vor allem, die örtliche Wirtschaft zu fördern.
Was sollen die Gemeinden denn da tun, welchen Hebel haben sie?
In erster Linie den des Bauplanungsrechts. Wie oft – und auch unlängst wieder – vom IHK-Regionalausschuss Rosenheim berichtet, fehlen in unseren Gemeinden Gewerbeflächen. Wir haben die Planungshoheit und können vor Ort entscheiden, dass man Gewerbeansiedlung will und auch festlegen, wo sie sein soll. In Neubeuern erschließen wir gerade 5,5 Hektar Mischgebiets- und Gewerbeflächen. Das ist auch einer meiner Hoffnungsschimmer für eine angespannte Haushaltslage in unserer Gemeinde.
Ich hoffe, dass ich den ein oder anderen Unternehmer finde, der sich von der Konzeption unserer gewerblichen Entwicklung überzeugen kann und bei mir vor Ort investiert. Arbeitsplätze, Innovation und Fleiß sind die Parameter, die uns künftig Gewerbesteuereinnahmen bringen.
Also finden Sie, dass die Diskussion über die Gemeindefinanzen auf eine neue Basis gestellt werden muss?
Ich finde eben, dass man das Thema breiter angehen müsste. Dabei gilt: Es ist ja nicht so, dass die jetzige Debatte um die Kreisumlagenerhöhung grundsätzlich falsch ist. Insgesamt sind die Diskussionen im Landkreis Rosenheim ja auch recht fair geführt. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Kreisräte und Landrat kommen bei einer Klausur zusammen und jeder darf seine Sicht auf das Thema äußern. Ein wenig Basar ist am Ende immer dabei, aber insgesamt ist die Art und Weise, wie das abläuft, okay.
Aber?
Aber wir müssen breiter schauen, müssen eben auch wieder aktiv Wirtschaftsförderung betreiben: für unsere Unternehmen da sein, gute Rahmenbedingungen für sie schaffen. Vor allem aber müssen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern nachvollziehbar erklären, wo das Geld der Gemeinden herkommt und wofür es eingesetzt wird.
Die Finanzausstattung der Gemeinden also auch als Hebel gegen die allgemeine Politikverdrossenheit?
Eine gute finanzielle Ausstattung der Gemeinden wäre im Hinblick auf die politische Stimmung im Land unglaublich wichtig. Dass da Rekordsteuereinnahmen sind und trotzdem vor Ort Geld fehlt, ist für die Bürger nicht erklärbar. Sie fragen sich, was eigentlich mit ihrem Steuergeld passiert. Dass dann die extremen politischen Gruppen noch die Subventionen der Radwege in Peru zum Thema machen und in den sozialen Netzwerken Dinge einseitig und überzogen dargestellt werden, überfordert unsere Gesellschaft.
Deshalb gilt: Wir brauchen nicht nur mehr Steuertransparenz. Wir brauchen vor allem eine gute und solide kommunale Infrastruktur. Damit könnte man vielen Unsicherheiten und Befürchtungen vorbeugen. Eine gut ausgestattete Schule, die am Elternabend Eindruck hinterlässt, eine Fahrbahn, die nach vielen Jahren mal kein Schlagloch mehr hat: Es sind die kleinen Dinge, die oftmals die größte Wirkung haben.
Johannes Thomae