Rosenheim – Ihr Gesicht ist noch gezeichnet von der Auseinandersetzung, die Hände zittern, die Stimme versagt. Eigentlich sei ihr Ehemann doch ein hilfsbereiter, rücksichtsvoller und sensibler Lebenspartner, ein liebevoller Vater für die beiden kleinen Jungs, erzählt Elli bei ihrem ersten Besuch in der Selbsthilfegruppe von Al-Anon. Nur wenn er getrunken habe, dann sei er nicht wiederzuerkennen: laut, aggressiv, gewalttätig. Und am nächsten Tag so voller Reue, erschrocken über sein Tun. Immer wieder glaubt Elli seinen ehrlich gemeinten Versprechungen, ab sofort nie wieder zu trinken.
Seit Jahren geht das so, nur die Häufigkeit der Ausraster hat in den vergangenen Monaten zugenommen. Verzweifelt suchte Elli Hilfe bei Freunden, in der Familie. „Doch die raten mir immer nur, mich von ihm zu trennen, aber es muss doch noch eine andere Lösung geben“.
Erst der Hinweis ihres Hausarztes brachte den entscheidenden Tipp: „Es gibt eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholkranken, die Al-Anon-Gruppen“. In der Al-Anon-Gruppe ganz in der Nähe ihres Wohnortes fand Elli die Hilfe, nach der sie so lange gesucht hat. Hier treffen sich wöchentlich Frauen und Männer, Väter und Mütter, Freunde und Verwandte von alkoholabhängigen Angehörigen, die alle eines möchten: trotz der Suchtproblematik des Angehörigen ein lebenswertes Leben führen.
Anonymität und absolutes Vertrauen
Eine Lösung für das Alkoholproblem des Partners könne man ihr hier nicht bieten, erfährt Elli an ihrem ersten Abend bei Al-Anon, aber eine Lösung, wie sie selbst mit dem Suchtproblem ihres Partners umgehen kann, wie sie für sich und ihre Kinder gut sorgen und wieder in ein lebenswertes Leben zurückfinden kann. Und was für Elli besonders wichtig ist: In den Gruppen herrscht Anonymität, niemand wird je nach dem Namen, Wohnort oder Arbeitsplatz fragen. „Denn nur wo absolutes Vertrauen herrscht, kann ich meine innersten Ängste und Sorgen offen und ehrlich besprechen“ weiß Elli heute.
Und genau hier zeigt sich die Grundlage des Erfolges in der Geschichte der Selbsthilfegruppe. „Im Treffen höre ich, wie andere mit kritischen Situationen umgegangen sind, hier hört man mir zu, ohne mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe“ erklärt die Angehörige. „In der Gruppe kann ich über alles reden, was mich belastet und ich habe immer dann, wenn es mir schlecht geht, jemanden, der mir zur Seite steht, wo finde ich das denn außerhalb der Gemeinschaft?“
Alkoholismus ist eine Familienkrankheit
Viele der anwesenden Frauen und Männer in der Al-Anon-Gruppe waren in einer ähnlichen Situation, denn Alkoholismus ist eine Familienkrankheit. Krank ist in der Regel nicht nur der Alkoholkranke, sondern auch die Familie. Gewalttätigkeit, sozialer Abstieg, Scham, Lügen, finanzielle Probleme und die Angst, den Suchtkranken durch Trennung oder Tod zu verlieren, zerstören letztendlich das Leben der gesamten Familie.
Rund 600 Al-Anon-Selbsthilfegruppen einschließlich der Selbsthilfegruppen „Al-Anon Erwachsene Kinder“, in denen sich jugendliche und erwachsene Kinder von Alkoholkranken treffen, gibt es in Deutschland. Vor 50 Jahren wurde Al-Anon in Deutschland gegründet. Die amerikanischen Soldaten brachten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker nach Deutschland, sondern auch die Idee der Gruppen, in denen sich ausschließlich die Angehörigen der Alkoholkranken regelmäßig treffen. Denn in den USA wurde die erste dieser Angehörigengruppen bereits im Jahr 1951 von Lois W., der Ehefrau eines Mitbegründers der Anonymen Alkoholiker, gegründet. Was einst mit einer kleinen Gruppe von Angehörigen begann, wurde zu einer weltweiten, erfolgreichen Bewegung, die selbst in Krankenhäusern und Gefängnissen Gruppen anbieten.
Im Rahmen des 50. Jubiläums der deutschen Al-Anon-Gruppen finden auch in diesem Jahr zahlreiche Treffen in ganz Deutschland statt, an denen Angehörige von Alkoholkranken wie auch anderen Interessierten anonym und unverbindlich teilnehmen und sich dabei über die Angebote von Al-Anon informieren können. re