Aus dem Gerichtssaal

Lügen ohne Ende aufgetischt

von Redaktion

Vor dem Jugendschöffengericht Rosenheim hatte sich ein Somalier zu verantworten, der innerhalb von fünf Wochen in Rosenheim 15 Delikte begangen hatte – darunter Ladendiebstähle, Belästigungen und Beleidigungen.

Rosenheim – Eine Kernfrage lautete: Wie alt ist der schmächtige Angeklagte? Äußerlich wirkt er wie ein 17-Jähriger. Angegeben hatte er das Geburtsjahr 1998, dem zufolge wäre er 19, also Heranwachsender.

Folgt man aber seiner Geschichte, so wäre er – vorausgesetzt, die Altersangabe stimmt – mit acht Jahren der Chef einer Kinderbande in Mogadischu gewesen, mit zehn Kindersoldat, mit elf nach Kenia geflohen. Bereits im Alter von zwölf Jahren hätte er im Sudan als Chauffeur gearbeitet, dort bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet und zwei Jahre im Gefängnis verbracht. Mit 14 sei er nach Libyen geflohen, habe dort in einer Schlepperbande 5000 Dollar verdient, die er dazu benutzt habe, 2015 mit 17 Jahren nach Italien zu flüchten, berichtete der Angeklagte. Der Dolmetscher bestätigte jedoch die Annahme, dass der Angeklagte mindestens 25 Jahre alt sei.

Zur Last gelegt wurden ihm neun Ladendiebstähle zwischen dem 4. April und 5. Mai 2017. Weil ihm sein Handy gestohlen worden sei, habe er sich die Handtasche einer Frau im Salingarten geschnappt, um an deren Telefon zu gelangen. Ebenfalls im Salingarten hatte er sich Männern der Rosenheimer Sicherheitswacht widersetzt, als die ihm einen Platzverweis erteilten, weil er Passanten belästigt hatte. Einem versetzte er eine Ohrfeige. Wenige Tage später ließ der Angeklagte in der Kaiserstraße in aller Öffentlichkeit die Hosen herunter und onanierte vor aller Augen, so die Anklage.

Belästigungen, Beleidigungen, Ladendiebstähle

In der Adlzreiterstraße wurde er wenig später von einer Polizeistreife angehalten, wobei er erneut die Hose herunter ließ und eine Beamtin mit beleidigenden Worten zum Geschlechtsverkehr aufforderte. Daraufhin wurde er in das Inn-Salzach-Klinikum gebracht. Bereits am Tag danach attackierte er eine Mitpatientin, betatschte diese und drängte sie zu sexuellen Handlungen.

Die Verteidigerin, Rechtsanwältin Gabriele Sachse, erklärte, dass ihr Mandant in allen Anklagepunkten geständig sei. Der Vorsitzende Richter Hans-Peter Kuchenbaur verwies auf den kurzen Zeitraum, in dem der Somalier alle Straftaten begangen habe. Dieser habe seine Taten auch mit dem Hinweis begründet, sein Bruder sei in Somalia gestorben und er sei deshalb aus Kummer andauernd betrunken gewesen.

Auch hier ging die Fantasie mit dem Angeklagten wohl durch. Er gab an, täglich sechs Flaschen Wodka getrunken zu haben. Abgesehen davon, dass er weder finanziell in der Lage gewesen wäre, sich so viel teuren Alkohol zu kaufen, würde kaum jemand diese Alkoholmengen überlebt haben. So hatte man ihn bei einer der Festnahmen einem Alko-Test unterworfen, wobei 0,3 Promille festgestellt wurden.

Auf alle Nachfragen antwortete der Angeklagte „Ich war besoffen“. Untergebracht war er eigentlich in Kiefersfelden, weil er einen Deutsch-Unterricht in Bad Aibling besuchte. Er blieb jedoch häufig bei einem Freund in Rosenheim, wo es dann zu den Delikten kam.

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe akzeptierte die Altersangabe und sprach sich für ein Urteil nach Jugendrecht aus.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stellte, wie alle Verfahrensbeteiligten, schädliche Neigungen fest, was zwingend zu einer Jugendstrafe führen müsse – zwei Jahre und sechs Monate seien angemessen.

Die Verteidigerin verwies auf das Geständnis und auch darauf, dass ihr Mandant bereits fast sechs Monate in U-Haft verbracht habe und dass das die erste Verurteilung ihres Mandanten sei. Deshalb sei eine Jugendstrafe von 18 Monaten ausreichend, die man angesichts der Umstände auch zur Bewährung aussetzen könne.

Das Gericht befand eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren für richtig – wobei die Untersuchungshaft ausdrücklich nicht angerechnet werde. Dazu bedachte man den Angeklagten mit einem engen Netz von Bewährungsauflagen. Man wolle ihm eine Chance, aber keinen Freibrief geben. Alkoholverbot mit ständigen Kontrollen, Drogentherapie und Sozialarbeitsstunden würden ihm keinerlei Spielraum lassen.

Weil bereits die höchstmögliche Strafe für eine Bewährung ausgesprochen worden sei, werde jede Abweichung vom rechten Weg unweigerlich in das Gefängnis führen, hieß es abschließend vom Gericht.

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