Heute ist internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

„Gehetzt und gejagt“

von Redaktion

Immer mehr prominente Frauen machen Gewalterlebnisse publik. Eine Hashtag-Aktion gibt den Opfern sexueller Belästigung eine Stimme. Am heutigen UN-Tag gegen Gewalt an Frauen haben in Rosenheim auch SPD, DGB und KAB dem Schweigen den Kampf angesagt.

Rosenheim/Landkreis – Der Arbeitskollege, der bei der Weihnachtsfeier zudringlich wird, der Ehemann, der das nicht pünktliche Abendessen mit einem Wutausbruch „kommentiert“, der Ex, der ständig anruft und vor der Haustür lauert, der Nachbar, der mit seinen anzüglichen Bemerkungen irritiert, der Fremde, der im engen Bus zu nahe kommt: „Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter“, betont die SPD-Unterbezirksvorsitzende Elisabeth Jordan. Die Spannbreite reicht von herabwürdigenden Bemerkungen bis zum Pograbscher, von der Vergewaltigung bis zur Tötung. Gewalt tritt in allen sozialen Schichten auf – daheim, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum.

„Es geht um Machtausübung“

Ob mit Worten oder mit der Faust: „Es geht um Machtausübung“, ist Gudrun Unverdorben, Diözesansekretärin der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) für die Region Rosenheim, überzeugt. Abhängigkeitsverhältnisse – am Arbeitsplatz oder in der Familie – erschweren es Frauen, sich zu wehren. Die häufige Folge: Voller Scham ziehen sie sich zurück. Sie meiden den Kopierraum, wo der Vorgesetzte den Körperkontakt sucht, bleiben daheim, weil der Partner sonst auszurasten droht. Als „Platzanweisung“ empfindet SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl dieses Verhalten. Frauen würden durch ihren Versuch, Übergriffen zu entgehen, dazu gezwungen, Orte zu meiden oder Positionen nicht einzunehmen – sie würden „gehetzt und gejagt“, so Noichl. Gewalt gegen Frauen dürfe nicht länger als normal gelten, obwohl sie statistisch gesehen die Normalität darstelle, appelliert sie. „Damit dürfen wir uns nicht abfinden.“ Für die Europaabgeordnete ist die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen „die größte Menschenrechtsverletzung in Europa“.

Ziel müsse es sein, Frauen zu stärken, das Schweigen zu brechen, forderte Unverdorben für den Sozialverband KAB. Noichl sieht es in diesem Zusammenhang als wichtig an, dass das Opfer die Zügel in der Hand behält, also nicht gedrängt wird, einen Belästiger anzuzeigen. Werde der Frau die Entscheidung über die Frage, ob sie den Übergriff öffentlich mache, abgenommen, werde sie ein zweites Mal zum Opfer.

Wichtig seien Stellen, an die sich Betroffene ratsuchend wenden könnten, wo sie jemanden fänden, der zuhöre, aber auch Begleitung anbiete, wenn es zur Anzeige komme. Im Unternehmen könnten dies Betriebsrätinnen sein, schlug Christa Müller vom DGB vor, der zum Aktionstag einen Leitfaden gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz herausgegeben hat. Müller sieht die Notwendigkeit, auch in der Arbeitswelt noch mehr über die Thematik sexueller Belästigung zu informieren. Und auch klarzumachen, dass Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind, dagegen vorzugehen. Betroffene sollten mehr als nur zwei Monate Zeit haben, eine Klage einzureichen, so Müller weiter.

Jordan sieht auch die Kommunen in der Pflicht: Sie forderte für die Stadt Rosenheim, dass zur Aufgabe in der neu geschaffenen Stelle für den Vollzug des Prostitutionsschutzgesetzes auch sozialrechtliche Beratungen gehören müssen. Prostitution ist für Noichl grundsätzlich Gewalt an Frauen.

Beschwerdestelle bei der Stadt gefordert

Jordan forderte, dass die städtischen Zuschüsse für den Mädchen- und Frauennotruf sowie für das Frauenhaus verdoppelt werden. Im Rathaus müsse eine zentrale Beschwerdestelle zum Thema sexuelle Belästigung geschaffen werden – für Mitarbeiter der Verwaltung und der kommunalen Einrichtungen, für Kinder, die städtische Kitas, und für Jugendlichen, die städtische Schulen besuchen, sowie für Kunden der Stadt.

Britta Promann, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen ASF) Rosenheim, sieht außerdem die Notwendigkeit, für die Thematik mehr zu sensibilisieren. Frauen würden noch heute oft auf ihren Körper reduziert, Grapschen oder anzügliche Bemerkungen nach wie vor häufig als Kavalisersdelikt gesehen. „Hinschauen, erkennen und unterbinden“, forderte Promann. „Nein heißt Nein“: Dieses Prinzip gilt auch für das Privatleben, ergänzte Noichl: „Private Gewalt ist keine Privatsache.“

Zahlender Gewalt

Jede vierte Frau in Deutschland erlebt Gewalt durch den aktuellen oder früheren Beziehungspartner.

70 Prozent der Frauen in der Bundesrepublik kennen sexuelle Belästigung.

In Bayern flüchten jedes Jahr mehr als 2000 Frauen mit ihren Kindern in ein Frauenhaus.

Im EU-Durchschnitt wurden 18 Prozent der Frauen bereits gestalked.

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