Interview mit Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer

„Mobilität ist das Zukunftsthema“

von Redaktion

„Uns sind die Hände gebunden“, hieß es 2017 oft im Stadtrat. Immer häufiger scheint der Entscheidungsspielraum der Stadt durch Vorgaben von oben eingeschränkt. Die OVB-Stadtredaktion hat mit Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer über verbliebene Spielräume und darüber, wie eine Kommune sie nutzen kann, gesprochen.

Neue EU-Richtlinien, neue Gesetze aus Berlin, neue Vorgaben aus München – und am Ende müssen Städte und Gemeinden dies alles umsetzen: Täuscht der Eindruck, dass der Gestaltungsspielraum der Kommunen immer enger wird?

Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer: Der Spielraum wird tatsächlich enger. Wir müssen uns jedoch an die Richtlinien halten und sind an sie auch gebunden, wenn wir öffentliche Förderungen nicht verlieren wollen. Manchmal ist es jedoch sogar umgekehrt. Beispiel: doppische Haushaltsführung (Anmerkung der Redaktion: doppelte Buchführung in einer Kommune). Die hatten wir in Rosenheim schon eingeführt, da hat sich die Regierung noch total schwer getan damit, doppische Haushalte überhaupt zu prüfen. Das Kunststück dieser spannenden Zeit ist es für Kommunen, Gesetzesvorgaben einzuhalten und trotzdem den eigenen Spielraum, der nach wie vor vorhanden ist, zu nutzen. Aber es ist immer eine Gratwanderung. Es wird tatsächlich vieles von oben nach unten geregelt. Die Konnexität, also das Prinzip, dass der zahlt, der anschafft, funktioniert leider nicht so, wie wir uns das wünschen würden. Baumaßnahmen werden beispielsweise nur dann gefördert, wenn sie der Norm entsprechen. Wenn ich aber auf den Schnitt eines Grundstücks reagieren und deshalb vielleicht anders bauen muss, bekommen wir die Förderung nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Förderungen als Pauschale ausgezahlt werden. Für uns als Verwaltung wäre das gut.

Beispiel E-Akte: Die Stadt muss für neue Rechner und neue Software Millionen in die Hand nehmen, weil ein Stichtag droht. Andererseits werden Ausstellungen gestrichen, weil Rosenheim sparen muss. Ist das nicht frustrierend?

Haushaltspolitik ist immer ein Spagat zwischen politischen und administrativen Wünschen auf der einen Seite und den finanzpolitischen Möglichkeiten auf der anderen. Emotionen und Gefühle wie Frustration haben da keinen Platz. Zur E-Akte: Da müssen wir durch, die Einführung muss eine Stadt finanziell verkraften können. Wichtig ist es nur, die Mitarbeiter des Rathauses mitzunehmen und nicht zu überfordern. Ich bin aber überzeugt, dass wir am Ende dauerhaft viel Geld sparen, wenn Akten digitalisiert sind. Davon werden vor allem zukünftige Mitarbeiter profitieren. Das spart Zeit und da werden Ressourcen frei, die wir für das direkte Bürgergespräch nutzen können. Auch die Bürger werden sich freuen, wenn keine Behördengänge mehr notwendig sind, sondern viele Verwaltungsverfahren von Zuhause aus über das Internet abgewickelt werden können. Auf dieses Ziel arbeiten wir hin, auch wenn es noch ein langer Weg ist.

Ein anderes Beispiel ist die Biotonne. Obwohl die Stadt eine solche Sammlung für unnötig hält, ist sie gezwungen, ein Konzept zu entwickeln. Täuscht der Eindruck, dass Sie das Thema besonders ärgert?

Inhaltlich ja. Denn wir haben eigentlich ein hervorragendes Entsorgungssystem – und eine leistungsstarke Müllverbrennung vor Ort. In Augsburg haben sich seit der Einführung der Biotonne die Kosten verdoppelt – und damit auch die Gebühren. Ich sehe es nicht ein, eine weitere Tonne einführen zu müssen, nur um abgenagte Hühnerknochen zu entsorgen. Die Tonnen müssen gesäubert werden, der Inhalt fängt im Sommer an zu gären und zu riechen. Das ist unhygienisch. Wäre es nicht besser, diese Abfälle in die Müllverbrennung zu geben? Die Entscheidung über diese Frage sollte man nach meiner Überzeugung der Stadt überlassen. Nachdem der Landkreis Altötting derzeit gerichtlich klären lässt, ob die Sammlung von Küchen- und Speiseabfällen tatsächlich erforderlich ist, möchten wir zunächst das Ergebnis dieses Verfahrens abwarten. Dabei geht es auch darum, eventuelle Ausgaben, die auf die Gebührenzahler umzulegen wären, zu vermeiden. Außerdem haben wir ja eine Lösung: das Bring- statt das Holsystem mit Biotonne. Wir haben an mehreren Standorten Presscontainer aufgestellt, an denen die Bürger ihre Küchen- und Speiseabfälle kostenlos abgeben können. Hierfür haben wir inzwischen 523 Benutzungschips abgegeben.

Auch beim Thema Flüchtlinge müssen die Kommunen die Hauptlast der Aufgaben schultern. Die Kosten für die Unterbringung werden zwar übernommen, aber auf den Personalkosten bleibt die Stadt zum Großteil sitzen. Was müsste sich in Ihren Augen ändern?

Die nicht erstatteten Personalkosten für die Betreuung von Flüchtlingen und unbegleiteten minderjährigen Ausländern belaufen sich in Rosenheim bis Jahresende auf rund 5,8 Millionen Euro. Bei den Transferleistungen für die Asylbewerber werden uns bisher 800000 Euro nicht erstattet.

„Man darf erwarten, dass wir nicht auf Kosten hängen bleiben.“

Gabriele Bauer

Obwohl wir als Kommune eine Aufgabe aufgebürdet bekommen haben, für die wir nichts können, erfüllen wir diese Aufgabe sachgerecht, gut und humanitär. Dann darf man von der Bundesrepublik und vom Freistaat aber auch erwarten, dass sie uns so unterstützen, dass wir nicht auf Kosten hängenbleiben.

In Sachen Inklusion ist es mit Barrierefreiheit allein nicht getan, oder?

Wir bemühen uns darum, bei jedem Umbau eines städtischen Gebäudes. Neubauten werden grundsätzlich mit einem Aufzug ausgestattet, Unterrichtsräume den Anforderungen an niedrige Nachhallzeiten für Menschen mit Hörbehinderung angepasst und mit optischen Leitsystemen versehen. Derzeit ist mindestens je ein Schulort in Rosenheim mit einem Lift ausgestattet. Doch bei älteren Gebäuden haben wir oft ein Riesenproblem. Ein Beispiel war die Notwendigkeit, im Sebastian-Finsterwalder-Gymnasium innerhalb kürzester Zeit einen Lift für einen erkrankten Schüler und einen Lehrer einzubauen, der auf den Rollstuhl angewiesen war. Das war ein Kraftakt. Heftig nacharbeiten müssen wir außerdem auf unseren gepflasterten Plätzen. Dort benötigen wir mehr große Steine und Quader, damit auch Menschen mit Gehbehinderung, Rollstuhl, Rollatoren und Kinderwagen hier besser zurechtkommen. Barrierefreiheit ist für mich persönlich ein ganz großes Thema, denn jeder kann ganz schnell durch einen Unfall oder eine Erkrankung in eine solche Situation kommen. Eine Behinderung darf aber niemanden ausschließen.

Der Gesetzgeber hat die Brandschutzvorschrift in den letzten Jahren deutlich erhöht. Bei sämtlichen Sanierungen ist nun der Brandschutz ein enormer Kostentreiber. Hat man es in Ihren Augen übertrieben?

Die Stadt ist hier in zweifacher Hinsicht gefordert: als Eigentümerin und Bauherrin öffentlicher Gebäude wie Schulen und Kitas, an die besondere Anforderungen an den Brandschutz gestellt werden, und als Bauaufsichtsbehörde, die zusammen mit der Feuerwehr die Vorschriften für den vorbeugenden Brandschutz umzusetzen hat. Ich möchte kein zweites Reichenhall oder Schneizlreuth erleben. Ich stehe hinter jedem Mitarbeiter, der einmal einen Brandmelder zu viel einbauen lässt als einmal einen zu wenig. Ich stehe hinter jedem Mitarbeiter, der geschimpft wird, weil er das Regelwerk zu 100 Prozent eingehalten hat. Klar ist: Barrierefreiheit, Brandschutz, energetische Sanierung – all das kostet. Aber es geht um Menschenleben und um den Klimaschutz, für beides tragen wir Verantwortung.

Täglich Staus an den Stadteingängen: Rosenheim ächzt unter den Verkehrsproblemen. Alle sind sich einig, dass der Öffentliche Personennahverkehr gestärkt werden muss – auch um Schadstoffe in der Luft zu reduzieren. Doch auch hier kann die Stadt nicht so aktiv werden, wie sie will. Vor allem beim Busverkehr ist der Handlungsspielraum durch komplizierte Konzessionsregelungen begrenzt. Wie kann die Kommune hier trotzdem eingreifen?

Über die Vergabe der Konzessionen entscheidet die Regierung von Oberbayern. Die Stadt hat bereits mehrere Vorstöße bei ihr unternommen, um die Laufzeiten so zu staffeln, dass die Linien dann harmonisiert werden könnten. Dies ist bisher an der Konzessionsbehörde gescheitert. Deshalb soll mit der jetzt laufenden Fortschreibung des Nahversorgungsplans eine gemeinsame Forderung von Stadt, Landkreis und Landkreisgemeinden für eine durchgreifende Verbesserung des Busverkehrs formuliert werden. Grundsätzlich bin ich felsenfest davon überzeugt: Mobilität ist das Thema der Zukunft. Der Verkehr betrifft uns alle: Wir dürfen Rosenheim nicht isoliert sehen, denn die Stadt steht in Wechselwirkung zu ihrem Umland, von dem aus die Menschen nach Rosenheim ein- und auspendeln. Nicht umsonst bauen wir deshalb den neuen regionalen Busbahnhof. Eine kleinflächige Stadt wie Rosenheim muss außerdem attraktiver werden für das Radfahren. Schon heute ist es ja so, dass ich von Fürstätt aus Richtung Innenstadt mit dem Rad schneller vorwärts komme als mit Bus oder Auto. Doch ich erhoffe mir noch weitere positive Effekte – etwa von der neuen Bahnhaltestelle Aicherpark. Die Haltestelle Hochschule hat ja schon bewiesen, wie sehr uns solche Angebote voranbringen bei der Entzerrung des Verkehrs. Doch wir müssen auch ehrlich zur Kenntnis nehmen: Lösungen wie in München mit der U-Bahn wird es in Rosenheim nicht geben können. Wir müssen auf viele verschiedene Einzelmaßnahmen in Zusammenarbeit mit unseren Nachbarkommunen und dem Landkreis setzen.

Wo hat die Stadt Rosenheim noch eigenen Gestaltungsraum? Und in welchen Bereichen ist es Ihnen persönlich besonders wichtig, diesen auch zu nutzen?

Mein bestes Beispiel ist die Landesgartenschau. Wir haben die Chance genutzt, über sie die Stadt und ihre Quartiere qualitätsvoll weiterzuentwickeln – mit einem unverwechselbaren Charakter. Aktuelles Beispiel für unsere Gestaltungsfreiheit ist das Areal am Bahnhof. Hier haben wir uns durch den Ankauf der Grundstücke und Gebäude den größtmöglichen Gestaltungsspielraum gesichert. Wir nutzten die Chance, den Vorplatz als wirkliches Entree in die Stadt zu entwickeln. Durch Neubauten wie den regionalen Busbahnhof und das Gründerzentrum können wir Marken setzen. Das zeigt Wirkung, denn uns folgen private Investoren, die bereit sind, mit ins Boot zu steigen. Ein Beispiel sind die Posthöfe in den ehemaligen Telekom-Gebäuden und das Neubauvorhaben der Volks- und Raiffeisenbank in der Bahnhofstraße. Oder der Gillitzer, wo Privatleute sich gesagt haben: Ja, da investieren wir. Das zeigt: Wenn die Stadt etwas anstößt, hat das eine Sogwirkung. Dass ich die Lebenschance erhalten habe, diese Stadt mitzugestalten, erfüllt mich mit Dankbarkeit.

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