Aus dem Gerichtssaal

Nicht bedroht, nur belästigt

von Redaktion

Der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft gegen einen 31-jährigen Mechaniker aus Nigeria vor dem Schöffengericht Rosenheim erhob, war gewaltig: Der Versuch einer schweren räuberischen Erpressung wurde zur Last gelegt. Doch es handelte sich um ein Missverständnis.


Rosenheim
– Laut Anklage hatte der 31-Jährige in der Nacht vom 15. auf 16. Juli 2017 einen 23-jährigen Kufsteiner gegen 1.15 Uhr am Hals gepackt, zu ihm „I need your money“ gesagt und ihm dabei ein Messer gegen den Hals gedrückt. Der abgelehnte Asylbewerber hat in den drei Jahren, die er in Deutschland ist, bereits siebenmal in München und in Rosenheim vor dem Kadi gestanden, auch wegen Körperverletzung.

Der Angeklagte berichtete mit Hilfe eines Dolmetschers jedoch, er habe die drei Kufsteiner zufällig in Rosenheim getroffen. Diese waren auf dem Weg von einer Kneipe in die nächste und kurz vor Mitternacht angetrunken und fröhlich. Der Angeklagte schnorrte die drei um eine Zigarette an. Das Tatopfer, ein Produktionshelfer aus Kufstein, bot ihm dazu wohl eine E-Zigarette an, die er selber kurz zuvor erworben hatte. Man freundete sich an und alle Vier sangen gemeinsam afrikanische Lieder.

Der Nigerianer berichtete weiter, dass er einen Anruf aus Afrika auf sein Handy bekommen hätte. Weil nicht genug Guthaben für einen Rückruf vorhanden gewesen sei und seine Barschaft nur noch 7,80 Euro betragen habe, hätte er seine neuen Freunde gefragt, ob sie ihm die fehlenden 2,20 Euro für eine Aufladung spendieren würden. „Wir geben dir gerne einen Drink in der Kneipe aus“, so habe einer der Kufsteiner geantwortet, „aber Geld gibt es von uns nicht.“

E-Zigarette als Messer interpretiert

Der Angeklagte habe nun versucht, zu erklären, warum und wozu er dieses Geld benötige, was ihm aber nicht gelungen sei. Im Gegenteil, die Kufsteiner hätten sich wohl durch seine Bitten belästigt gefühlt. Einer sei schließlich schubsend und stoßend auf ihn losgegangen. Da habe er ihn mit der Hand von sich abzuhalten versucht. Dabei habe er noch immer die E-Zigarette des Kufsteiners in der Hand gehalten. Ein Messer habe er nie besessen, berichtete der Angeklagte.

Die drei Kufsteiner erzählten als Zeugen das Gleiche wie der Angeklagte – bis es um Geld ging. Sie hätten die Bitten des Nigerianers als unangemessene Forderung begriffen. Das angebliche Tatopfer interpretierte die E-Zigarette – ohne sie genau sehen zu können – als Messer und die Abwehrhaltung des Angeklagten als erpresserische Bedrohung.

Besonders auffallend waren zwei Umstände: Zum einen waren die ersten Aussagen der drei Kufsteiner gegenüber den Polizeibeamten anders als jene, die sie vor Gericht vorbrachten. Des Weiteren wichen die Aussagen und Erkenntnisse der drei auch untereinander völlig voneinander ab und waren zeitlich in den Abläufen divergierend.

Vor Gericht versuchten sie nicht erkennbar, den Angeklagten zu belasten. Es war wohl dem Alkohol und dem entstandenen Stress zuzuordnen, dass viele der Aussagen verschiedenen Erinnerungen und Wahrnehmungen unterworfen waren, stellte sich heraus.

Bemerkenswert: Als der Richter jedem Zeugen die sichergestellte E-Zigarette vorhielt, räumte jeder ein, dass es sich auch um diesen, völlig ungefährlichen Gegenstand gehandelt haben könnte statt um ein Messer. So blieb von der versuchten räuberischen Erpressung nur eine missglückte Bettelei.

Die Staatsanwältin sah für eine solche Anklage auch keinen Anlass mehr. Sie hielt aber eine konkrete Bedrohung nach wie vor für gegeben und beantragte eine Gefängnisstrafe von neun Monaten. Eine Aussetzung zur Bewährung wollte sie dem Angeklagten angesichts der Vorstrafen nicht mehr zubilligen.

Der Verteidiger, Rechtsanwalt Thomas Wagner, vermochte im Verhalten seines Mandanten keinerlei strafbare Handlung zu sehen. Mit den widersprüchlichen Aussagen der Zeugen sei überhaupt keine Straftat zu belegen. Sein Mandant sei eigentlich nur lästig gewesen. Und das sei sicher kein strafbewehrtes Vergehen. Er beantragte den Freispruch.

Das sah schließlich auch das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Christian Merkel so. „Die Zeugen“, so führte der Richter aus, „haben hier nicht gelogen, sie haben sich schlicht geirrt.“ Die Version des Angeklagten sei am ehesten überzeugend. Die Widersprüche in den Aussagen der Zeugen täten ein Übriges, um den Angeklagten zu entlasten. Dieser müsse umgehend Deutschland verlassen, weil er als abgelehnter Asylbewerber ansonsten durch seinen Aufenthalt bereits wieder eine neue Straftat begehe. au

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