Rosenheim –Ein Freitagmorgen vor dem Postamt in der Klepperstraße. Es ist 8 Uhr, kalt und es regnet. Einer dieser Tage an denen man sich am liebsten die Decke über den Kopf zieht und im Bett bleibt – oder zumindest im Warmen. Nicht für mich: Ich werde für einen Tag meinen Platz hinter dem Schreibtisch gegen einen Fahrradsattel tauschen.
Schwarz-gelb gekleidete Postboten erwarten mich bereits am Eingang und zeigen mir den Weg zu meiner Zustellerin. Im Zustellerbereich geht es hektisch zu. Briefe, Postkarten, Zeitschriften und kleinere Pakete werden hier sortiert und auf die entsprechenden Touren abgestimmt. „Langweilig wird es nie“, lacht Regina Schmöller. Die 1,50 Meter große Postlerin werde ich während ihres Arbeitstags begleiten. Seit sechs Jahren arbeitet sie bei der Deutschen Post als Fahrradzustellerin. „Der Job ist nicht für jeden geeignet. Man muss dafür geboren sein“, sagt die 53-Jährige und führt mich durch das Postgebäude. Schnell wird klar, die zierliche Frau mit der schwarzen Brille macht alles im Eiltempo – reden, gehen, Briefe sortieren.
Während ich erst um 8 Uhr eingetroffen bin, ist Schmöller bereits seit 6.10 Uhr im Postamt und sortiert Briefe. „Mein Bezirk braucht eigentlich nicht viel Vorbereitungszeit“, erklärt sie und fügt hinzu: „Viele fangen auch früher an“. Wenn Schmöller in die Arbeit kommt, ist ein Teil der zuzustellenden Sendungen bereits vorsortiert. Maschinen nehmen den Postbeamten einen Teil der Arbeit ab, dennoch bleibt viel zu tun. Nicht erfasste Sendungen sortiert die 53-Jährige selbst ein.
„Beim Sortieren ist es wichtig, beispielsweise Nachsendeanträge zu berücksichtigen“, erklärt sie. Grüne Karten machen auf diese Besonderheiten aufmerksam. Drei bis vier Stunden dauert die Vorarbeit, bevor sich Schmöller auf ihr gelbes Fahrrad schwingt und den Rosenheimern die Post bis vor die Haustür bringt.
Mit 60 Kilogramm beladen
Die Post hat Rosenheim in verschiedene Zustellbezirke eingeteilt. Je nach Bezirk werden die Sendungen entweder zu Fuß, per Auto oder eben mit dem Fahrrad ausgetragen. „Man benötigt schon eine gute körperliche Fitness“, erklärt die Zustellerin und deutet lachend auf ihre Muskeln. Wie die Postboten erzählen, ist es normal, in den ersten Monaten des Jobs mindestens zehn Kilogramm Gewicht zu verlieren: „Das bringt der Beruf so mit sich“, so die 53-Jährige.
Schmöllers Bezirk ist ein Fahrradbezirk. Die schlanke Postbotin belädt ihr gelbes Zweirad mit drei schweren Taschen. „Mit bis zu 60 Kilogramm Ladung bin ich teilweise auf dem Rad unterwegs“, erklärt sie und fügt hinzu: „Vorne mehr Gewicht und hinten weniger, das fährt sich leichter.“ Die Briefe und kleineren Pakete, die in keinem der drei Taschen einen Platz finden, werden in Postablagekästen deponiert, die auf unserer Tour liegen und von Postautos befüllt werden. Hier wird Schmöller ihre leeren Taschen mit neuer Post auffüllen.
Nachdem Schmöllers Fahrrad beladen ist, zeigt sie mir das für mich vorgesehene. Die Stützräder am Vorderrad erinnern mich an meine ersten Radlversuche als Kind. Ich hoffe, dass ich mich heute besser anstellen werde. „Jetzt laden wir das Fahrrad mal noch nicht voll“, scherzt Schmöller. Drei Kilometer müssen wir fahren, bevor wir unseren Bezirk erreichen. Bei dieser Ankündigung gerate ich schon vor der Abfahrt ins Schwitzen.
„Bereit?“, fragt die Rosenheimerin und tritt kräftig in die Pedale, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich habe Mühe, hinterherzukommen. Es regnet und ich versuche, positiv zu bleiben, was mir – ehrlicherweise – nicht gelingt. Der erste Berg liegt vor uns. Mühevoll krieche ich nach oben, während Schmöller, mit 60 Kilogramm Extra-ladung, den Anstieg mit Leichtigkeit erklimmt. Schon nach zehn Minuten habe ich die größte Bewunderung für die zierliche Frau.
„Die Leute freuen
sich über die Post“
Regina Schmöller
Das Schönste am Beruf? „Die Leute freuen sich, wenn die Post kommt.“ Außerdem liebt die 50-Jährige die Natur, egal bei welchen Witterungsverhältnissen. „Die kleinen Dinge des Lebens eben“, lacht sie. Der Regen und die Kälte erschweren es mir, mich auf die Schönheiten der Natur zu konzentrieren, aber Übung macht ja bekanntlich den Meister.
Nach unserem Anfahrtsweg geht es endlich mit dem Briefeverteilen los. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele unterschiedliche Briefkästen gesehen –groß, klein, bunt, eckig. Die Rosenheimer scheinen sich in Kreativität übertreffen zu wollen. „Die sehen schön aus, sind aber nicht wirklich praktisch, für größere Briefe oder Pakete“, klagt Schmöller, die sich auch oft mit Verletzungen an den Fingern herumschlagen muss.
Vorsichtig befördere ich meinen ersten Brief in den vorgesehenen Briefkasten, nicht ohne vorher dreimal zu überprüfen, ob der Name auf dem Umschlag und der Name auf dem Briefkasten auch wirklich übereinstimmen. Mit dieser Geschwindigkeit würde wahrscheinlich niemand in Rosenheim seine Post zur richtigen Zeit bekommen. Gut, dass es Regina Schmöller gibt.
Während voller Fahrt mit der einen Hand lenken und der anderen die Briefe sortieren, dass macht Schmöller eigentlich im Schlaf. „Der Regen erschwert einiges. Ich habe keinen freien Blick und keine freie Hand“, sagt sie. Ich frage mich, wie schnell die Postlerin unterwegs ist, wenn es nicht regnet.
Zustelltour ist
16 Kilometer lang
Fünf Stunden und 16 Kilometer später sind das Fahrrad und die Ablagekästen leer und jeder im Bezirk hat seine Post. Ich bin erschöpft. „Man gewöhnt sich dran“, muntert mich Schmöller auf, auch wenn ich das sehr bezweifle.