Rosenheim – Mit der Gesamtnote 1,9 war Rosenheim bei einer IHK-Umfrage im Jahr 2017 der Klassenprimus – im Vergleich zum Landkreis (Note 2,0) und zu den Nachbarlandkreisen (2,0 bis 2,2). Höchste Zufriedenheit herrscht nach Informationen des Rosenheimer IHK-Geschäftsführers Wolfgang Janhsen nicht nur mit der Anbindung an das Fernstraßennetz und mit „der extrem guten Breitbandversorgung“, sondern auch mit den sogenannten „weichen Faktoren“: Rosenheim besitzt ein hervorragendes Image und ein attraktives Sport- und Freizeitangebot. Solche Punkte wirken auf den ersten Blick unerheblich für einen Wirtschaftsstandort, spielen in Zeiten des Fachkräftemangels jedoch eine bedeutende Rolle. Im Kampf um kluge Köpfe machen nicht nur die Unternehmen das Rennen, die gut zahlen, sondern auch diejenigen Firmen, die in Kommunen ansässig sind, die eine hohe Lebensqualität bieten.
Rosenheim punktet in diesem Bereich, doch es gibt ein Problem, das den Standort schwächt. „Es muss dringend bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt werden“, appellierte Janhsen. Er denkt dabei weder an Angebote für hoch bezahlte Manager oder für sozial Schwache: „Es geht um die mittleren Einkommensschichten.“
„Der fehlende Wohnraum ist ein Riesenproblem“, bestätigte auch Andreas Holzner, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Rosenheim. Auch er sprach von einem gut bewerteten Standort, der darunter leide, dass sich selbst die Mittelschicht kein eigenes Haus mehr leisten könne.
Zu teuer sind nach Ansicht des Handwerks und der Unternehmen, die an der Umfrage der IHK teilgenommen haben, außerdem die Mieten für Büros und Gewerbeflächen in Rosenheim. Kleine Handwerksbetriebe wie Frisöre, Bäcker und Metzger könnten sich eine Ansiedlung kaum noch leisten, bedauerte Holzner. Es fehlen außerdem bezahlbare Grundstücke für kleinere Betriebe. Sie möchten oft aufgrund der guten Infrastruktur in Rosenheim bleiben, weichen jedoch oft aus Kostengründen auf das Umland aus.
Fast jede Kommune weist mittlerweile Gewerbegebiete aus. Ein Konkurrenzkampf, bei dem Rosenheim immer häufiger das Nachsehen hat, weil es in den Nachbarorten günstigere Gewerbeflächen gibt. „Wir verlieren relativ viele gute Betriebe an das Umland“, bestätigte Wirtschaftsdezernent Thomas Bugl im Ausschuss das Ergebnis der IHK-Umfrage. Das liege unter anderem daran, dass die Grundstückspreise in Rosenheim etwa 2,5-mal höher seien als in der Region. Deshalb setzt die Stadt auch auf die Ausweisung eigener Gewerbegebiete – aktuell neu in Brucklach. Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer würde außerdem gerne viel öfter interkommunal zusammenarbeiten bei der Ausweisung von Gewerbegebieten – so wie derzeit am Oberfeld.
Ein weiterer Standortnachteil macht der Wirtschaft zu schaffen, den Janhsen jedoch als nicht Rosenheim-spezifisch bewertete: die Bürokratie. Das verwundert aus zwei Gründen nicht: Der Durchschnittsbürger hat nach Informationen der IHK zweimal im Jahr Kontakt mit einer Verwaltung, ein durchschnittliches Unternehmen 100-mal. Die Oberbürgermeisterin betonte, dass die meisten bürokratischen Auflagen und Regulierungen nicht hausgemacht, sondern vom Gesetzgeber der Stadtverwaltung aufgedrückt würden. Außerdem hakt es bei der Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen: Es fehlen Schnittstellen und Zugänge, berichtete CSU-Stadtrat und IHK-Regionalausschussvorsitzender Andreas Bensegger.
Hohe Grundstücks- und Mietpreise, zu wenig bezahlbarer Wohnraum, zu viel Bürokratie: Fast zehn Prozent mehr Unternehmen als 2015 (28 Prozent) sprachen in der aktuellen IHK-Umfrage von einer Wachstumsverzögerung durch Standortmängel. Trotzdem würden 85 Prozent sich erneut für Rosenheim entscheiden – ein guter Wert, so Janhsen. „Ein knallhartes Manko gibt es für Rosenheim nicht“, beruhigte er den Ausschuss. Und appellierte: „Keine ruckartigen Kurskorrektoren.“ Bei Wohnraumbeschaffung und Bürokratieabbau benötigt eine Kommune sowieso den langen Atem.