Wie das Ethikkomitee am Romed-Klinikum arbeitet

„Wir geben Zeit“

von Redaktion

„Ethik in der Medizin – das erfordert vor allem eins: Zeit“, ist Professor Dr. Christoph von Ritter überzeugt. Er ist Mitglied des gemeinsamen Ethikkomitees der Romed-Kliniken. Und hier geht es vor allem um eins: sich Zeit zu nehmen – für komplexe und schwierige ethische Entscheidungen.

Rosenheim – Blinddarmdurchbruch, Operation, pflegerische Nachbehandlung: So klar ist der Weg von der Einlieferung ins Klinikum bis zur Entlassung nach Hause selten. Die moderne Medizin erfordert aufgrund ihrer Komplexität oft schwierige Entscheidungsprozesse. Nicht immer gibt es nur eine einzige Lösung, nur den einen passenden Behandlungsweg. Und immer häufiger geht es auch um ethische Fragen.

Alle Beteiligten

an einem Tisch

Ein Bereich, in dem diese eine wichtige Rolle spielen: die Intensivmedizin. Der Stationsleiter am Romed-Klinikum Rosenheim, Franz Hartmann, hat sich deshalb zwei Jahre lang zusätzlich zum Ethikberater im Gesundheitswesen ausbilden lassen. Für Hartmann, auch Mitglied in der Rosenheimer Ethikgruppe und im gemeinsamen Komitee aller vier Häuser, ist dieses Forum ein Instrument, das aus dem schwierigen Klinikalltag nicht mehr wegzudenken ist. Zeitnah werden bei ethischen Fragen nach seinen Angaben alle Beteiligten an einen Tisch geholt – Vertreter der Ärzteschaft, der Pflege, der Therapie, des Klinikmanagements, der Seelsorge und der Bürgerschaft. Jeder nimmt aus seinem Blickwinkel Stellung, am Ende eines Dialogs aller Beteiligten folgt ein Votum, keine Entscheidung. Denn sie bleibt weiterhin dem behandelnden Arzt vorbehalten.

Dieser empfindet die Möglichkeit, einen schwierigen Fall aus vielen Sichtweisen zu betrachten, als wertvolle Entscheidungshilfe, berichtet von Ritter aus seiner 30-jährigen Berufserfahrung als Arzt. „Ich bin überzeugt: Das Ethikkomitee unterstützt alle Beteiligten, dem Menschen in Not besser helfen zu können.“

Das liege vor allem am interdisziplinären Ansatz. Jeder – Mediziner, Pflegefachkraft, Therapeut, Klinikverwalter, Seelsorger und Patientenvertreter – gebe das Beste in seinem Bereich. Das erweitere die Sicht auf die Problemstellung, zeige, wie sie aus anderen Blickwinkeln beurteilt werde, betont von Ritter. Auf diese Weise werde der Patient ganzheitlich betrachtet, denn nicht nur für Krankenhausseelsorger Pfarrer Andreas Fuchs steht fest: „Es geht in der Medizin nicht nur um den Leib, sondern immer auch um die Seele.“ Deshalb gebe es bei vielen ethischen Fragestellungen nicht nur die eine Antwort – vor allem in der Intensiv-, Schmerz- und Palliativmedizin.

In Letzterer ist in den vergangenen Jahren die Selbstbestimmung des Patienten in den Fokus gerückt. Nicht immer gilt das Überleben auch als lebenswert – beispielsweise dann, wenn ein Patient rund um die Uhr auf die Gerätemedizin angewiesen ist. Der persönliche Wille kann in einer Patientenverfügung festgehalten werden – grundsätzlich eine „großartige Sache, sich frühzeitig auf die Endlichkeit des Lebens vorzubereiten“, findet von Ritter. Doch selbst wenn eine Verfügung vorliegt, ergeben sich manchmal ethische Fragen, berichten er und Intensivpfleger Hartmann. Hat sich die Einstellung im Laufe der Jahre geändert? Bildet die Verfügung wirklich auch den aktuellen Willen ab? Was empfinden die Angehörigen? „Es ist oft schwer, herauszufinden, was richtig ist“, so die Erfahrung von Hartmann.

Das Ethikkomitee können nach seinen Angaben übrigens nicht nur Mitarbeiter der Romed-Kliniken um Unterstützung bitten, sondern auch Patienten und ihre Angehörigen. Ihre Interessen vertritt in Rosenheim auch ein Mitglied – die ehemalige Stadträtin und Sozialpolitikerin Sieglinde Wunsam. Sie gibt dem schwächsten Glied in der Kette, den Patienten, eine Stimme.

Die Ethikgruppe am Romed-Klinikum tagt deshalb nicht nur etwa viermal im Jahr, um Problemstellungen im Haus zu durchleuchten, sondern auch fallbezogen. Es gibt zwei Herangehensweisen, erläutern Hartmann, von Ritter und Fuchs: Eine Anfrage aus einer Station wird an die Ethikgruppe des Hauses herangetragen. Diese setzt sich zusammen, lässt sich die Problematik erklären und beleuchtet danach – ohne den Antragsteller – die Fragestellungen aus unterschiedlichen Sichtweisen, erarbeitet verantwortbare Lösungsvorschläge, die dem Antragsteller erläutert werden. Oder Vertreter des Ethikkomitees besuchen die Station, in der sich eine Problematik ergeben hat. Ein Ethikberater moderiert ein Gespräch, bei dem der Fall aus allen Blickwinkeln beleuchtet wird – ebenfalls mit dem Ziel, am Ende dieses Dialogprozesses zu einem tragbaren Ergebnis zu kommen.

Das erfordert vor allem eins: Zeit. Ein Faktor, der im heutigen, von einer diagnosebezogenen Abrechnung und hohem ökonomischen Druck bestimmten Klinikalltag immer seltener wird, wie von Ritter und Hartmann bedauern. Diese Zeit nimmt sich das Ethikkomitee – Zeit auch, um Antworten auf Fragen zu finden, die in keiner Fallpauschale abgebildet werden.

Körper, Geist,

Seele, Emotionen

Als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität stellt von Ritter immer wieder fest, dass ethische Problemstellungen auch Medizinstudenten beschäftigen. „Am Mittagstisch kommen sie dann, die Fragen der etwas anderen Art. Die Studenten wollen wissen, wie sie mit schwer kranken Patienten und Angehörigen komplexe ethische Fragen besprechen können.“ Hartmann bestätigt auch bei Auszubildenden in der Pflege dieses Bedürfnis nach Hilfestellung bei Themen, die über das rein Medizinische und Pflegerische hinausgehen. Der Mensch, ergänzt Seelsorger Fuchs, besteht nicht nur aus einem Körper, der funktioniert oder nicht, sondern aus mehr: Geist, Seele, Emotionen.

Artikel 9 von 11