Pilgerreisen sind „in“

Auf dem Weg zum lieben Gott

von Redaktion

Noch etliche 100 Kilometer bis zum lieben Gott – „obwohl“, sagt der Rosenheimer Pfarrer Sebastian Heindl, „manche schon unterwegs dorthin finden.“ Die Menschengruppe bewegt sich im Einheitstempo voran. Wieder näher ran an Rom, dem Endziel der Pilgerreise, in einigen Jahren. Was für eine Lebensaufgabe.

Rosenheim – Wallfahrten sind „in“. Insbesondere bei der Altersgruppe der 50- bis 70-Jährigen. Und insbesondere seit Hape Kerkelings „ich bin dann mal weg“-Jakobsweg. Indes sieht Pfarrer Sebastian Heindl von der Stadteilkirche solche Angebote als Teil seines Pastoralkonzeptes. Die erstaunliche Wandlung der Menschen auf einem Pilgerweg lässt sich für ihn auf einen Nenner bringen: „Man lernt, einfach nur zu leben.“

„Bei 200 Kilometer

pro Woche brauchen wir zehn Jahre“

Pfarrer Sebastian Heindl

Die aktuelle Rom-Etappe ist die dritte von mehreren anvisierten. Die 20-köpfige Schar witzelte bereits: Bei jeder Jahresetappe à circa 100 Kilometer werde man aufgrund des eigenen Alters wohl nie ankommen. Und Pfarrer Heindl errechnete: „Auch bei 200 Kilometer pro Etappe brauchen wir zehn Jahre bis Rom.“ Also wird man im nächsten Jahr umorganisieren.

Hieß das wichtigste Rüstzeug zuvor ausschließlich „Füße“ – man wanderte jeweils 100 Kilometer von Kufstein nach Innsbruck, 2017 von Innsbruck nach Brixen und heuer von dort nach Salurn/Südtirol – wird das künftig durch Teilstrecken per Zug ergänzt.

Was benötigt der moderne Pilger? Einen Rucksack mit Wäsche zum Wechseln, eventuell seine Medikamente und ein paar Pflaster gegen Blasen – und alle zusammen eine rote Tischdecke. Die wird bei der Mittagsrast, natürlich im Freien, auf dem Boden ausgebreitet für Käse, Brot, eine Flasche Rotwein, Wurst. Ein einfaches Mahl. Eine Woche lang. Gefrühstückt wird in der Pension, die man spontan auf d’Nacht aufsucht. So geerdet lassen Anspannungen nach und der Alltag verblasst.

Ein etwas antiquarisches Bild von Wallfahrern

Nächste Frage: Was ist mit Gesang auf dem Pilgerweg? Sozusagen als Mental-Nahrung, um illusorisch die lange Wegstrecke zu verkürzen? Ein offenbar antiquarisches Bild von Wallfahrern. Denn: „Gesungen wird nicht“, sagt Pfarrer Heindl, „aber gesprochen.“ Die Gesellschaft findet sich spontan immer wieder zu zweit, höchstens zu dritt, zusammen, wobei das jeweilige Ensemble ständig wechselt während der Wanderschaft. Heindl offenbart: Die ganz verschiedenen Menschen, vom Akademiker bis zum Arbeiter, finden zueinander, verraten einander oft auch viel Privates, das man zuvor so gut gar nicht kannte.

Die tief greifende Gesprächskultur hat am Ende der Etappe ihren Höhepunkt und auch zuvor schweigsamere Männer erreicht. Tatsächlich ist der Anteil der weiblichen Wallfahrer größer als jener der Männer. Acht waren es bei der Etappe nach Salurn. Woran das liegt, kann Heindl nicht sagen. Seine Vermutung aber mit Blick auf die Altersgruppe: „Diese Generation ist unabhängig, auch von Kindern.“

Irgendetwas fehlt doch im Pilger-Rucksack – die Bibel. Aber nein, aus der Bibel wird nicht vorgelesen, der Pfarrer gibt einen Morgenimpuls zu einem bestimmten Thema, über das sich die Runde am Abend ausführlicher austauscht. Zum Beispiel ein Psalm, der sich mit der Natur befasst, Begebenheiten mit Menschen, die man auf der Reise trifft. Im Mittelpunkt: „Nicht Frömmigkeit. Lebensthemen!“ Hören, Sehen, Riechen, Genießen sind die Aufforderungen auf der Wanderschaft. Spontane Entschlüsse wie etwa beim Anblick einer Kapelle, diese dann zu besichtigen, eine Gruppenlösung bei Unwägbarkeiten wie bei geschwollenen Füßen oder auch ein gleichmäßiges Geh-Tempo entwickeln sich Schritt für Schritt.

Pfarrer Heindl hat auf seinen Pilgerreisen, acht bisher in Rosenheim, stets festgestellt: „Die Schnellen werden langsamer und die Langsamen schneller.“ Klingt fast biblisch.

Das Fazit der Pilger und ihres Pfarrers ist identisch: „Schöpfung wahrgenommen, Zufriedenheit erfahren, Dankbarkeit erlebt, Achtsamkeit geübt, Rücksicht gespürt, die eigene Lebenslage erfasst und im Miteinander Erfolg gehabt.“

Das schloss denn auch Wehwehchen auf der Pilgerreise ein: Mancher umwickelte mit seinem nassen Tuch den geschwollenen Knöchel des anderen, berichten die Teilnehmer.

Im nächsten Jahr heißt die Fuß-Etappe voraussichtlich „von Trient bis Verona“. Von Rosenheim bis Trient aber sitzen die Pilger wohl im Zug – sie wollen irgendwann auch ankommen in Rom, der Ewigen Stadt.

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